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Melancholiker und starke Frau? "Pulls that man around", heißt es im "St. Louis Blues". Horst Köhlers Songwahl zum Abschied lässt einige Interpretationen zu.

© AFP

Songanalyse: Köhler gets the Blues

Horst Köhler lässt sich beim Zapfenstreich heute Abend auf eigenen Wunsch mit dem "St. Louis Blues" verabschieden. Unser Pop-Experte Kai Müller analysiert den Song, in dem es auch um eine dominante Frau geht.

Dass er den Blues hat, das ist Horst Köhler deutlich anzusehen, als er seinen Rücktritt erklärt. Knappe Erklärung. Kurzes Zögern. Drehung, und weg geht er mit seiner Frau an der Hand, während die Nation erstaunt zurückbleibt. Zum Großen Zapfenstreich, mit dem der scheidende Bundespräsident heute verabschiedet wird, hat sich der Mann nun den "St. Louis Blues" von W.C. Handy gewünscht, ein oft gesungener Evergreen aus der klassischen Blues-Ära. Und nun also auch die offizielle Bestätigung von Köhlers verschatteter Gemütslage. "I'll pack my truck and make my give-a-way", heißt es in dem Song. Er erzählt davon, dass man es nicht mehr aushält, das ständige Ertragenmüssen der eigenen Demütigung, dass die Sachen jetzt gepackt würden, um sich aus dem Staub zu machen. Wobei die Noten zerfließen wie Seelentränen, immer wieder sackt die Melodie in sich zusammen. Um Respekt geht es hier nicht.

Mag sein, dass "St. Louis Blues" Horst Köhler lange begleitet hat. Dass ihm, dem Flüchtlingskind, in diesem Lied seine eigene Heimatlosigkeit vor Augen geführt wurde und als Drama seines Strebens nach Anerkennung noch heute erscheint. Aber vor allem bezieht der Song seine Kraft aus der Enttäuschung, dass es (wieder einmal) nicht geklappt hat mit der großen Liebe. Am Ende könne man immer nur für sich entscheiden.

Angela Merkel wird sich das anhören müssen. Sie wird neben Köhler stehen und vielleicht nur eine alte, müde Melodie hören. Weiß sie, dass auch von einer "St. Louis woman with her diamond ring" die Rede ist? "Pulls that man around/If it wasn't for her and her". Wer dächte da nicht an eine Intrige?

Aber es wäre nicht Köhlers Stil, seiner Herrin des Rings auf so komplizierten Umwegen die Quittung zu präsentieren, schon gar nicht an einem so bluesfernen Ort wie dem Schloss Bellevue. Vielmehr dürfte Köhler sich diesen Song gar nicht für sich gewünscht haben, sondern seiner Frau zuliebe. Jenem Menschen an seiner Seite, den er zuletzt ganz fest gefasst hat. Denn diese Musik ist für eine Frau geschrieben. In einer Version Bessie Smiths aus einem Film von 1929 sieht man die Sängerin betrunken an einer Bar stehen, kaum fähig vor Kummer das Gleichgewicht zu halten, und davon berichten, wie ihr der Mann ausgespannt worden ist von einer anderen Frau, die ihn zu becircen weiß. Nun sei sein Herz "like a rock cast in the sea" - zu Stein geworden. Ein Mann zwischen zwei Frauen, und die eine verspricht ihm, ihn immer zu lieben. Das ist das Schauspiel jenseits der Politik. Die Wahl ist einfach. Wir wissen nun, warum Köhler sich entschieden hat.

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