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Baumeisterin des eigenen Glücks. Die 32-jährige Musikerin Wallis Bird.

© Jens Oellermann

Songwriterin Wallis Bird: Berlin, meine Tanzfläche

Die irische Songwriterin Wallis Bird suchte einen Neuanfang in Berlin – und vertont ihn auf ihrem Album „Architect“. Ein Treffen.

In eine neue Stadt kommen, drei Monate lang von einer Party zur nächsten tanzen, in einer Künstler-WG wohnen, sich verlieben, verletzt werden, weitermachen – in anderthalb Jahren Berlin kann viel passieren. Mitunter so viel, dass es den Stoff für ein ganzes Album hergibt. „Ich weiß, das klingt wie ein Klischee: Ich komme hier her und lasse mich fallen. Aber so war es. Ich brauchte einfach frische Luft.“

Wallis Bird sitzt in einem Büroraum ihrer Promotion-Agentur in Kreuzberg. Es gibt Kaffee, Wasser, Kekse und Obst. Nichts davon rührt die Irin an – sie sei gestern länger aus gewesen. Man sollte jetzt aber nicht denken, dass Wallis Bird eine Art Party-Hallodri ist. Im Gegenteil: Die 32-Jährige baut mit Ausdauer konstant ihre Karriere auf. Passenderweise hat sie ihr jetzt erscheinendes, viertes Album „Architect“ genannt.

Programmatisch heißt die erste Singleauskopplung „Hardly Hardly“: Ein Song mit clubbigen Rhythmen und der Aufforderung „Live your life – follow you.“ Birds Stimme schwankt von ruhig bis fast schreiend. Der emotionale Neuanfang, den die Musikerin in Berlin erlebt hat, er beginnt auf der Tanzfläche. „Ich konnte mich nicht in Worten ausdrücken, deshalb musste ich mich einfach bewegen. Das hat mir geholfen“, sagt sie mit rauer Stimme und herzlichem Lächeln. „Ich hatte in London einfach gar nichts gemacht. Ich bin teilweise gar nicht aus dem Bett rausgekommen, war eine Art Hausfrau: am Abend kochen und dann Fernsehen. Nach fünf Jahren dort und einer miesen Beziehung bin ich hierher gekommen und habe ein Zuhause gefunden.“

Ihr Album "Architect" ist kondensiertes Berlin

„Architect“ ist die kondensierte Essenz ihrer Erfahrung in der neuen Wahlheimat, die einige Überraschungen für die Musikerin bereithielt. Etwa die Liebe zu einer Frau, wie sie sie in „I Can Be Your Man“ besingt. „Sie war nicht in mich verliebt, also saß ich da mit diesem großen blutenden Herzen und fühlte mich furchtbar. Ich dachte, ich weiß über Gender Bescheid, aber ich weiß gar nichts. Ich war so verliebt, dass ich alles versucht hätte. Also singe ich darüber, dass ich ihr ein Leben bieten würde, das sie auch mit einem Mann haben könnte.“

Wallis Bird spricht erstaunlich offen über ihre Gefühle. Sie scheint nichts so richtig umzuhauen, auch wenn der Schmerz für den Moment überwältigend ist. Als sie noch klein war, verlor die Linkshänderin bei einem Unfall alle Finger der linken Hand – und bekam alle bis auf den kleinen wieder angenäht. Das härtet vermutlich ab. Wie sie zur Musik kam, weiß Bird nicht mehr genau, aber „es gibt ein Bild von mir als Baby mit einer Gitarre. Das war, bevor ich überhaupt wusste, was eine Gitarre ist. Ich bin diesem Weg dann einfach gefolgt.“ Dass sie das auf einer umgedrehten Rechtshändergitarre zu spielen lernt, macht ihr nichts aus. Sie entwickelt einfach ihre eigene Technik, die sie bis heute pflegt.

Ihr erstes Konzert erlebt Wallis Bird im Pub ihrer Eltern - im Pyjama.

Ihr erstes Konzert erlebt Wallis Bird im Pub ihrer Eltern: „Ich bin im Pyjama runtergegangen und habe mich fasziniert neben die Band gesetzt. Das war super!“ Der Pub liege an der Grenze zwischen dem armen und dem gepflegten Teil ihres Heimatstädtchens Enniscorthy im Südosten Irlands. Was sie offenbar geprägt hat. Über ihre Eltern spricht sie mit Stolz in der Stimme: „Sie waren zu allen nett. Jeder hat seine Geschichte und man weiß nie, wen man vor sich hat. Sie haben nie jemanden bei sich abgelehnt.“

Wallis Bird sieht sich als Arbeiterkind. Diese Selbsteinschätzung kommt hin – selbst wenn der einzige geregelte Job, den sie je hatte, gerade mal von 11 bis 15 Uhr ging. Denn Bird hat hart gearbeitet, um da zu sein, wo sie jetzt steht. Mit vielen kleinen Konzerten erspielt sie sich früh eine gewisse Popularität. Sie gründet ein eigenes Label, auf dem sie ihre EPs veröffentlicht. Und ihr Debütalbum „Spoons“, das in seinen besten Momenten an die große US-Songwriterin Ani DiFranco erinnert, erscheint 2007 bei einem Majorlabel. Zweimal wurde ihr mittlerweile der irische Meteor Award verliehen.

Live-Shows sind Wallis Birds Geheimnis

Ein Blick auf Youtube zeigt, dass die Live-Shows ihr Geheimnis sind: Die Energie, die Wallis Bird alleine mit ihrer Gitarre als Vorband von Acts wie Emiliana Torrini, The Gossip oder Billy Bragg entfesselt, ist schlichtweg ansteckend. Auf ihren eigenen Konzerten wird sie unter anderem von dem Brüderpaar Christian und Michael Vinne unterstützt, wegen derer Bird sogar einmal drei Jahre in Mannheim lebte. Das war kurz nachdem sie in der Ballyfermot Rock School Songwriting studiert hatte und am Ende durch die Prüfung fiel. „Ich hab das Studium echt nicht gemocht. Uns wurde nur beigebracht, wie man so Klischee-Songs nach dem Schema ABABCA schreibt. Das nimmt alles Experimentelle und Gefühlvolle weg!“

„Architect“ ist eine Platte mit einigen Brüchen und Explosionen, aber auch vielen „Uuuhs“ und „Aaaahs“. Besonders die dancefloororientierten Songs irritieren: „Gloria“ wirkt beispielsweise wie eine Mischung aus dem gleichnamigen Lied von Umberto Tozzi und „Crucified“ der Army of Lovers. Eigentlich beides tolle Songs – aber eben auch ziemlich trashig. Und veraltet. Dieses ungewollt Altbackene schimmert immer mal wieder durch. In Liedern wie „Gloria“ oder „Communion“ klingt Birds kräftige Stimme sogar wie eine, für die man früher das Wort „Rockröhre“ verwendet hätte.

"Hammering" oder Das Herz ist ein Muskel

Und dann kommt plötzlich wieder ein Song wie „Hammering“, der sich auf eine stampfende Akustikgitarre konzentriert, sparsame Effekte addiert, bis er schließlich seine ganze Kraft ausbreitet: „The heart is just a muscle that I am teaching“. Ja, das Herz ist nur ein Muskel, der funktioniert – egal wie dramatisch das Gefühlschaos drum herum gerade ist. Noch gefühlvoller geht es beim Albumfinale mit dem ruhigen Gitarrenstück „River of Paper“ zu. Es gehört zu der Sorte sehnsuchtsvoller Liebeslieder, die man am liebsten alleine hört, um sich davon ernsthaft statt nur peinlich berühren zu lassen. Das Stück endet mit dem Geräusch einer Tür, die geschlossen wird. Denn egal wie bunt die Party war, irgendwann müssen alle gehen. Und die Ruhe kehrt zurück.

„Architect“ erscheint bei Bird Records/Rough Trade; Konzert: Postbahnhof am Ostbahnhof, 7.5., 20 Uhr

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