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Kultur: Sonnige Zuflucht

Neue Gedichte von Jürgen Theobaldy.

Wie wäre Literaturgeschichte mal nicht vertikal nach Epochen, sondern horizontal geteilt: nach sympathisierenden Dichtern quer durch die Zeit? Da hätte man die Revoluzzer, die Staatsmänner oder die Idylliker. Jürgen Theobaldy darf man Letzteren zurechnen: Er ist auf einer Linie mit Ewald von Kleist, Klopstock, Gleim – zart, formbewusst, einem Stück umgrenzter Alltagswelt zu schöner Gegenwart verhelfend: „Vergiss die Welt und fange ‚unten’ an. / Ein Rat, der mir am hellen Tag gefällt / wie sonst der aufmerksam gedeckte Tisch. / Die Zeit der ‚Blumenkinder’ war dieselbe / wie die Zeit der Bombenleger, Allestöter.“

Das ist keine Anwandlung des Lyrikinnovators der 70er, es hat diesen Theobaldy-Sound immer schon gegeben. Ein leiser, die eigene Weltfremdheit beklagender, aber auch nicht so wichtig nehmender Ton, der gar nichts von Rotz, Schweiß und Galle des großen Bruders Brinkmann hat, in dessen Schatten er jahrelang stand. Aber die Verwandtschaftslinie des 1944 in Straßburg geborenen Wahlschweizers ist breit gefächert, da findet sich auch die sapphische Ode „Durch Hauptwil“, die Eingeweihte an Hölderlins Aufenthalt von 1801 erinnert: „Aus den sommerlich weit offenen Fenstern / klingen, wo ich gehe, serbische Lieder. / Felle liegen zum Lüften auf den Simsen, / sonnige Zuflucht.“

Das ist die Kunst von Theobaldys besten Versen: Sie bleiben bei ihrer vermeintlich idyllisch eingeschränkten Perspektive und führen doch ins Weite, bis ins „Winterlicht Venedigs“, an die „Seidenstraßen“, den „Platz des himmlischen Friedens“ oder „Zum Jangtsekiang!“ hinaus. Sie können eine Welt umspannen, weil sie ihren trigonometrischen Punkt haben, von dem aus sie ihr folgen: „Sie steigen hinterm Hügel hoch, / versilbert von der Abendsonne/ und immer um dieselbe Zeit, / aus Mailand wohl, aus Rom // um übers Dachfirst zu entschwinden/nach Wien, wenn nicht Berlin, / getragen von der Gleichmut jenes Bogens, / den ihre Strecke in den Himmel spannt.“

Das ist sympathisch, weil es sich nicht erhaben macht, sondern buchstäblich am Boden bleibt. Seine Ironie schottet sich nicht ab, ist vielmehr Augenzwinkern, das weiß um die Unzulänglichkeit von Poesie in der verwalteten, vermarkteten Welt. Jan Volker Röhnert

Jürgen Theobaldy: Suchen ist schwer.

Gedichte. Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2012.

88 Seiten, 12 €.

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