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Sonntagsinterview: "Was bisher passiert ist, ist Pitzelkram"

Susanne Schmidt weiß, wer schuld ist an der Finanzkrise und was versäumt wurde. Warum Vater Helmut sie vor Mumien warnte – und was Mutter Loki ihr vermachte.

Frau Schmidt, während der Finanzkrise 2008 dachten Sie schon darüber nach, notfalls Schweine zu halten und selbst Gemüse anzubauen. Jetzt gibt es wieder eine Krise – aber wir können kein Schwein in Ihrem Garten entdecken.

Na, wer weiß, vielleicht kommt das ja noch. Im Moment sieht es wirtschaftlich wirklich nicht gut aus. Viele Leute behaupten, die Entwicklung hätte nichts zu tun mit der Krise von 2008. Dabei ist das, was wir jetzt erleben, deren zweiter Akt. Im besten Fall müssen wir noch über Jahre mit schwachem Wachstum rechnen, mit einer Umverteilung von Sparern zu Schuldnern und mit relativ hoher Arbeitslosigkeit, wenn auch nicht unbedingt in Deutschland. Im schlimmsten Fall kann uns alles um die Ohren fliegen, nicht nur wirtschaftlich, auch politisch – denken Sie an die EU.

Die Banker sagen, die Politik sei schuld an der Krise. Weil sie nicht gespart hat.

Die Staatsschulden sind aus zwei Gründen so hoch. Einmal, weil die Regierungen die Risiken und faulen Kredite der Banken auf sich genommen haben. Irland ist ein Paradebeispiel dafür, die Iren waren in der Vergangenheit nicht besonders stark verschuldet. Zweitens sind durch die Rezession, die der Finanzkrise folgte, die Steuereinnahmen weggebrochen und die Ausgaben gestiegen – für Soziales, für Konjunkturprogramme. Die Staatshaushalte wurden also von zwei Seiten in die Zange genommen. Das zeigt: Die gegenwärtige Krise ist eine Konsequenz der Krise von 2008.

Alle westlichen Staaten sind doch seit Jahrzehnten mehr oder weniger hoch verschuldet. Ist uns die Bescheidenheit abhanden gekommen?

Die Forderung, dass Staaten keine Schulden haben sollten, halte ich für irre. Denn Regierungen sollen doch investieren, in die Infrastruktur, für die nächste Generation. Diese Investitionen rentieren sich, allerdings nur indirekt. Natürlich muss eine Verhältnismäßigkeit da sein.

Im Moment treiben die Finanzmärkte die Politik vor sich her. Sie stammen aus einem Politikerhaushalt. Hatten die Märkte immer schon diese Macht?

Ich glaube, eher weniger. Mit der modernen Kommunikationstechnologie können die Finanzmärkte viel schneller reagieren. Wir können nicht mal mit den Augen zwinkern, schon sind hunderte von Käufen oder Verkäufen getätigt. Auf der einen Seite haben wir also Märkte, die in Sekundenbruchteilen handeln, auf der anderen einen langwierigen, demokratischen Prozess.

Muss die eine Seite schneller werden oder die andere langsamer?

Ich hätte nichts dagegen, wenn dem Hochfrequenz-Handel die Luft ausginge. Auf der anderen Seite muss die Politik mit der Salamitaktik aufhören: Erst haben wir Griechenland separate Kredite gegeben, dann einen gemeinsamen Kredit, dann haben wir den Rettungsschirm geschaffen, dann den Rettungsschirm aufgestockt, erst durfte der keine Staatsanleihen aufkaufen, jetzt soll er doch … Wir brauchen Politiker, die langfristiger denken und einen größeren Rahmen schaffen.

Auf der nächsten Seite. Susanne Schmidt über die Rolle ihres Berufsstandes in der Finanzkrise.

Sie waren 20 Jahre Bankerin in London. Denken Sie manchmal, dass Sie Mitschuld an der Krise haben?

Ich habe nie ein Geschäft gemacht, von dem ich nicht überzeugt war. Das heißt natürlich nicht, dass ich keine Fehler gemacht hätte, aber ich habe kurz- und langfristige Risiken mit ins Kalkül gezogen. Das war nicht besonders karrierefördernd. Dafür konnte ich immer getrost in den Spiegel gucken. Ich finde dennoch, dass man dem einzelnen Banker schwer einen Vorwurf machen kann, solange er nichts Ungesetzliches tut.

Der böse Banker – nur ein Klischee?

Es gibt selbstsüchtige, arrogante, geldmotivierte, realitätsfremde Banker. Aber böse? Gut und böse, solche Worte überlasse ich lieber Herrn Bush junior. Leider scheint die Menschen am meisten zu stören, dass eine Reihe von Bankern sehr reich ist. Das geht aber am eigentlichen Thema vorbei.

Wer trägt Verantwortung für die Krise?

Wenn Sie mich nach einzelnen Personen fragen, noch am ehesten Alan Greenspan ...

… der US-Notenbankchef von 1987 bis 2006.

Normalerweise ist es so: Wenn die Zeiten schlecht sind, kommen die Zinsen runter. Sind sie gut, müssten sie wieder hoch. Greenspan hat die Zinsen aber dauerhaft sehr niedrig gehalten.

So dass es billig war, Kredite aufzunehmen.

Ihm war immer sehr daran gelegen, dass es den Finanzmärkten gut geht. Es gab ein nachvollziehbares Argument dafür: Wenn so kleine Leute wie Sie und ich ein Aktien-Portfolio besitzen, dessen Werte steigen, dann fühlen wir uns reicher, dann konsumieren wir mehr und das hilft der Volkswirtschaft. Und wenn die Zinsen niedrig sind, investieren die Unternehmen. Nur hat sich das als fehlerhaft herausgestellt – ebenso wie Greenspans Überzeugung, die Selbstheilungskräfte des Marktes würden schon alles richten. Die US-Geldpolitik war zu locker. Und wem hat es genützt? Das ganze Geld ist in eine gigantische Immobilienblase und auf die Finanzmärkte geflossen.

Wurden mittlerweile die richtigen Lehren gezogen?

Was passiert ist, ist Pitzelkram. Es gibt immer noch das Too-big-to-fail-Problem. Viele Banken sind zu groß – noch größer und vernetzter, als sie es vor der Lehman-Pleite waren. Wenn die pleitegingen, müsste der Staat sie retten, um größeren Schaden abzuwenden. Das wissen die Banken …

… und deshalb nehmen sie größere Risiken in Kauf.

Also: Die Banken müssen kleiner werden. Entweder müssen sie ihre Bilanz verkürzen oder Geschäftsbereiche abspalten. Auch bei der Kapitalunterlegung ist nicht genug passiert. Die Banken werden sieben bis neun Prozent Eigenkapital für die Risiken, die sie eingehen, hinterlegen müssen. Ich halte 15 bis 20 Prozent der Bilanzsumme für angemessener. Außerdem sollte man darüber nachdenken, die globale Finanzbranche zu verkleinern.

Warum reguliert die Politik Banken und Finanzen nicht strenger?

Die Banklobby hat hervorragende Arbeit geleistet mit ihren Drohungen und Erpressungen. Zum Beispiel: Wenn ihr uns einen auf die Hucke gebt, dann hauen wir eben ab. Alle Staaten haben ja Angst um ihren nationalen Finanzplatz. Dabei wären die Banken machtlos, wenn die einzelnen Länder nur zusammenarbeiten würden.

Wie kann sich die Politik unabhängiger machen?

Bessere Berater, oder jedenfalls mal solche ohne Interessenskonflikt, wären wünschenswert. Und die Politiker müssen sich mehr darauf besinnen, dass wir sie als Leitfiguren gewählt haben, sie dürfen nicht jeden Tag auf die Umfragen schauen und von Montag bis Donnerstag in den Talkshows sitzen und Zwei-Minuten-Beiträge von sich geben.

Ob Susanne Schmidt in die Fußstapfen ihres Vaters treten will, erfahren Sie auf Seite 3.

Sie sind SPD-Mitglied. Hat Peer Steinbrück Sie schon gefragt, ob Sie seine Finanzministerin werden wollen?

Na aber, heißa! Nein, ich habe nie daran gedacht in die Politik zu gehen, bei dem Vater. Da wäre ich immer die kleine Tochter, würde verglichen werden.

Die Ex-Bankerin Barbara Stcherbatcheff beschreibt in „Confessions of a girl“ die raue Männerwelt der Finanzbranche: Drogenexzesse, Bordellbesuche, den rüden Ton auf dem Parkett. Wir fragen uns …

… ob ich bei den Bordellbesuchen dabei war? Nein, war ich nicht!

Wenn man Sie hier in Ihrem alten Fachwerk-Häuschen in Kent sitzen sieht, draußen ein englisches Dörfchen wie aus dem Bilderbuch, denkt man: Sie passen doch gar nicht in die Bankenwelt!

Soll ich das jetzt als Kompliment oder als Beleidigung verstehen? Es gibt in den Banken viele, die sehr ernsthaft ihrem Beruf nachgehen und sich nicht jeden Abend auf dem Kiez herumtreiben. Der rüde Ton ist schon da, zum Teil geht es auch sexistisch zu. Mir sind die Leute aber nie dumm gekommen. Erstens heiße ich Schmidt, das hat die Leute etwas vorsichtiger sein lassen, und zweitens würde ich mir so was auch nicht gefallen lassen.

Sie schreiben, dass es in Ihren Anfangsjahren noch ausgedehnte Lunches gab und Drinks hinterher. War das Bankgeschäft damals menschlicher?

Es war weniger hektisch, und der Druck war nicht so groß. Deshalb war es aber noch nicht besser. So toll ist es nicht, wenn der Boss nachmittags um drei schon getrunken hat.

Warum wollten Sie überhaupt Bankerin werden?

Das hat sich herauskristallisiert, als ich meine Dissertation in Volkswirtschaftslehre schrieb, über Kapitalverkehrskontrollen und Wechselkurse. Da habe ich wohl verstanden: Die wirkliche Macht, die liegt bei den Banken. Vor allem hat mir der Job immer Spaß gemacht, besonders der Kundenkontakt. In meinen Mid-Teens wollte ich mal Archäologin werden. Ich habe mir vorgestellt, wie ich da mit meiner Schaufel und meinen Pinseln sitze und was ganz Tolles finde. Das hat mein Vater mir beharrlich madig gemacht. Du wirst in einem Museum enden und Mumien abstauben, hat er immer gesagt. Irgendwann hatte ich das verinnerlicht.

Sie gehören zur Generation der 68er. Haben Sie auch rebelliert?

Nein, ich war eigentlich immer vernünftig, das habe ich sicher von zu Hause mitgekriegt. Mir wurde, insbesondere von meiner Mutter, immer alles gut begründet. Und das habe ich dann eingesehen. Mental gehörte ich nicht zu den 68ern. Zumal, als es anfing aus dem Ruder zu laufen, als es hieß, Gewalt gegen Sachen sei okay.

Sie hatten als junge Frau wegen der RAF mehrere Bodyguards, konnten nicht mal eben mit den Freunden in ein Restaurant. Haben Sie sich damals gewünscht, nicht Tochter von Helmut Schmidt zu sein?

Das war schon ganz entsetzlich. Und das hätte ich mir natürlich lieber weggewünscht. Aber irgendwie musste man damit umgehen. Ich bin dann 1979 mit der Deutschen Bank nach Großbritannien. In einer deutschen Filiale hätte ich ja nicht arbeiten können. Die meisten meiner Kollegen waren Briten. Denen hat es nicht besonders imponiert, dass ich die Tochter des Kanzlers war.

Walter Kohl hat viele Jahre seines Lebens darunter gelitten, im Schatten des Vaters zu stehen.

Ich hatte dieses Problem nicht.

Würden Sie wie Kohl ein Buch über Ihre Familie schreiben?

Nein. Viele Leute haben viele gute Bücher insbesondere über meinen Vater geschrieben. Warum soll ich da noch eins schreiben? Außer eben übers Privatleben. Aber das heißt ja so, weil es privat ist.

Sie sind Hobbygärtnerin. Haben Sie das von Ihrer Mutter Loki?

Das Interesse an Pflanzen, ja. Aber meine Mutter war vor allem wissenschaftlich interessiert, und ich bin es mehr gärtnerisch. Ich habe das entdeckt, als ich nach England kam. Damals hatte ich eine Wohnung südlich der Themse gekauft, die hatte so einen kleinen idyllischen Garten zum Fluss hin. Das war in einer Gegend, in der nicht viele wohnen wollten, deshalb konnte ich mir das leisten. Und da stapfte ich nun auf einmal auf meiner eigenen Scholle herum und fing an, dies und das zu machen. Später mochte ich es auch, nach der alltäglichen Hektik hierher in die Stille meines Gartens zu kommen und ein wenig zu roden – das war ein guter Ausgleich.

Woran in Ihrem Garten hängen Sie besonders?

Was ich von meiner Mutter bekommen habe oder aus Mutterns Garten hierhergenommen habe, das wird natürlich besonders gehätschelt. Sie hat mir zum Beispiel mal Eiben mitgebracht, die stehen nun alle hinten bei uns und sind inzwischen mannshoch. Oder sehen Sie mal aus dem Fenster, da im Vorgarten: die vielen kleinen grünen Blätter da vorne – das ist eine Waldsteinie. Die mag gerne armen Boden. Bei meinen Eltern hatte sie den, während wir hier einen sehr schweren, fetten Lehmboden haben. Deshalb ist sie seit zehn, zwölf Jahren auch kaum größer geworden.

Sie leben jetzt 30 Jahre in England. Wollen Sie eines Tages nach Deutschland zurückkehren?

Ich denke nicht. Mein Mann spricht wenig Deutsch und die Kinder wohnen in der Londoner Umgebung. Auch sitzt man nach 30 Jahren ein bisschen zwischen den Stühlen. Mein Deutsch ist nicht mehr so, wie es war. Manches, was in Deutschland passiert, finde ich auch etwas nervig. Es gibt zum Beispiel regelmäßig diese Paniken, wie zuletzt nach dem Atom-Unfall in Japan. Die halten dann drei Wochen oder drei Monate an und dann gibt es wieder eine andere Panik. In England ist das nicht so. Dafür halte ich die soziale Absicherung hier für mangelhaft und die Gesellschaft ist deutlich fragmentierter als in Deutschland ...

... wie die Unruhen kürzlich gezeigt haben. Sind die Briten gerade besonders froh, ihr Pfund zu haben?

Ja. Aber es gibt keine Schadenfreude. Dafür sitzen wir hier selbst zu sehr in der Bredouille.

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In Deutschland wünschen sich nicht wenige die D-Mark zurück.

Man hört das leider auch von Leuten, die es besser wissen müssten. Wenn es die D-Mark wieder gäbe oder sich eine kleine Gruppe starker Euro-Länder zusammenschlösse, müsste diese Währung sofort aufwerten. Deutschland als Exportnation hätte den Schaden, die Konjunktur würde einbrechen. Außerdem: Deutsche Banken halten so viele Staatsanleihen, Kredite, Aktien und Derivate in Staaten, die ihre Währung dann abwerten müssten, dass sie reihenweise insolvenzgefährdet wären. Es wäre ein einziges Desaster.

Frau Schmidt, den meisten Menschen fällt mit fortschreitendem Alter auf, wie ähnlich sie ihren Eltern sind. Ihnen auch?

Die Leute sagen mir, ich würde immer mehr aussehen wie mein Vater. Ist das so?

Uns erinnern Sie eher an Ihre Mutter.

Das ist gut. Ich finde nämlich, meine Mutter sah ein bisschen besser aus.

Dafür hat das Wort Ihres Vaters seit Jahren unglaubliches Gewicht – egal, ob er sich über Politik, die Ehe oder seine Lieblingsmusik äußert.

Er ist so eine richtige Ikone geworden. Als meine Mutter noch lebte, waren die beiden eigentlich das virtuelle Königspaar.

Zu Recht?

Da es meine Eltern sind: natürlich! Aber ich finde das selbst auch ganz erstaunlich. Wahrscheinlich fehlt den Menschen etwas. Außerdem brauchen Leute im Alter meines Vaters keine Rücksicht mehr zu nehmen und können sagen, was sie denken. Das ist attraktiv. Wenn es finanziell mal ganz schlimm kommt für meinen Mann und mich, können wir draußen am Haus ja eine von diesen blauen Plaketten anbringen: Hier gingen Loki und Helmut Schmidt ein und aus. Und dann nehmen wir fünf Pfund Eintritt.

Das Interview führten Björn Rosen und Miriam Schröder.

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