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Kultur: Sotto voce: Jörg Königsdorf über die Ruhe vor dem Tonsturm

Man kennt das vom Großstadturlaub anderswo: Da ist man mal für drei, vier Tage in Paris oder London, kauft sich kulturhungrig das nächstbeste Veranstaltungsmagazin - und stellt prompt fest, dass alle spannenden Sachen entweder gerade vorbei sind oder genau dann stattfinden, wenn man gerade wieder weg ist. Soll es also den Berlin-Touristen auf Philharmoniker- oder Barenboim-Jagd hier diesmal genau so gehen.

Man kennt das vom Großstadturlaub anderswo: Da ist man mal für drei, vier Tage in Paris oder London, kauft sich kulturhungrig das nächstbeste Veranstaltungsmagazin - und stellt prompt fest, dass alle spannenden Sachen entweder gerade vorbei sind oder genau dann stattfinden, wenn man gerade wieder weg ist. Soll es also den Berlin-Touristen auf Philharmoniker- oder Barenboim-Jagd hier diesmal genau so gehen. Während im Restmärz die Klassik-Stars quasi Taktstock-Staffellauf machen, beginnt der Monat geradezu verdächtig verhalten - so als ob sich alle abgesprochen hätten, Kritikern und Publikum vor der Kräfte zehrenden Biennale noch eine Atempause zu gönnen. Weder Phillies noch Staatskapelle noch DSO lassen sich blicken, auch an den Opernhäusern gibt es nicht die starry casts, mit denen man anderswo prunken könnte. Das macht die Auswahl für Geniehungrige einfach: Wenn schon nicht die Philharmoniker, so gibt es doch immerhin ihren Chef Claudio Abbado zu erleben. Beim Klassik/Jazz-Gipfeltreffen mit Wynton Marsalis und dem Lincoln Center Jazz Orchestra in der Philharmonie hat Abbado allerlei Edelst-Crossover zusammengestellt, sowohl Jazz-Ausflüge von Klassikern wie Strawinsky und Schostakowitsch wie Klassik-orientierten Jazz von Duke Ellington und Marsalis selbst. Wie Benny Goodman oder Keith Jarrett ist Marsalis seit langem als Klassik-Interpret aktiv und gilt als der amerikanische Spitzentrompeter auch für das Konzertrepertoire (5.-7. 3.). Wer Marsalis lieber als reinen Jazzmusiker hören will, hat dazu am 4. 3. die Gelegenheit, wieder in der Philharmonie.

Freilich, das einsam aus der dünnen Konzertsaal-Luft herausragende Top-Ereignis der Woche bleibt der Klavierabend von Mikhail Pletnjew am Montag Abend. Pletnjew ist derzeit in schier unglaublicher künstlerischer wie technischer Form. Im Gegensatz zu Barenboim und Ashkenazy hat bei ihm die wachsende Dirigiertätigkeit bislang nicht zu einem Nachlassen der pianistischen Fähigkeiten geführt, eher scheint es, als hätte Pletnjew durch die Nebentätigkeit mit seinem Russischen Nationalorchester noch an Gestaltungskraft gewonnen. Seine Interpretation der vier Chopin-Scherzi im vergagnenen November beim Luzerner Klavierfestival gehörte jedenfalls zum Faszinierendsten, was seit langem überhaupt an Klavierspiel zu hören war. Diese Vierergruppe spielt er auch diesmal im Kammermusiksaal und schüttelt anschließend als Zugabe vielleicht auch noch Balakirews legendär schweres "Islamey" aus dem Frackärmel.

Der dritte in der Starrunde neben Abbado und Pletnjew hätte eigentlich Ivo Pogorelich sein sollen, doch leider hat der legendäre Klavier-Exzentriker seinen Auftritt mit dem Budapest Festival Orchester in der Philharmonie schon vor einiger Zeit abgesagt. Statt dessen spielt Gerhard Oppitz Rachmaninows zweites Klavierkonzert. Sicher ein solider Ersatz, aber nach seinen bisherigen Berliner Auftritten und CDs nicht gerade als Charismatiker eizuschätzen, der ein Konzertpublikum in Bann schlagen könnte. Das ist insbesondere schade, weil mit Ivan Fischer ein glänzender Dirigent am Pult steht, dessen Aufstieg in die internationale Spitzengruppe sich ganz unspektakulär, allein durch die kontinuierliche Qualität seiner Arbeit bedingt, vollzogen hat. Ihn mit dem Orchester zu hören, das er in jahrelanger Arbeit noch zu Kommunismus-Zeiten zum Weltklasse-Ensemble aufgebaut hat, lohnt allein schon und ist ein Trostpflaster für alle Kulturtouristen, die die Berliner Spitzenorchester diesmal verpassen. Und allein schon deswegen wiederkommen müssen (8. 3.).

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