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Kultur: Sotto voce: Über Attraktionen im Bonbonnieren-Design

Auch wenn die leidige Schlossplatz-Debatte schon allen zum Hals heraushängt: Warum kommt eigentlich keiner auf die Idee, auf dem zentralsten Ort der Stadt ein schmuckes Konzertzentrum zu bauen? Mit einem kleineren, Kammermusikkompatiblen Saal von 700 bis 800 Plätzen, der in Berlin noch fehlt und einem größeren für Berliner Sinfonie-Orchester.

Auch wenn die leidige Schlossplatz-Debatte schon allen zum Hals heraushängt: Warum kommt eigentlich keiner auf die Idee, auf dem zentralsten Ort der Stadt ein schmuckes Konzertzentrum zu bauen? Mit einem kleineren, Kammermusikkompatiblen Saal von 700 bis 800 Plätzen, der in Berlin noch fehlt und einem größeren für Berliner Sinfonie-Orchester. In einer solchen Gegen-Philharmonie wäre die Klassik nämlich viel besser aufgehoben als im Konzerthaus. Nicht nur weil die Akustik im Schinkel-Tempel am Gendarmenmarkt nach wie vor frustriert, sondern auch, weil jedes Konzert unter dem erdrückenden Gewicht der protzig-spießigen Kristall-Lüster-Atmosphäre leidet. Während sich im großen Saal fast zwangsläufig Staatsakt-Stimmung einstellt, konterkariert das Kitschrosa im Kleinen Saal jeden Versuch moderner Programmgestaltung. Nicht von Ungefähr sind gerade die Veranstaltungen im Kleinen Saal notorisch schlecht besucht - selbst wenn Stars auftreten, merkt das kaum jemand. Das ist auch deshalb schade, weil die Initiativen und Mini-Zyklen, die Konzerthaus-Chef Frank Schneider hier startet, zu den interessantesten der Stadt gehören. Beispiel 1, gleich heute: Im Rahmen der kleinen, über die Saison verteilten Skriabin-Reihe spielt Konstantin Lifschitz. Das ist für sich schon ein Ereignis, auch wenn Gefahr besteht, dass es wieder einmal niemand merkt. Denn die Karriere des 23-Jährigen ist bisher glatt an Berlin vorbeigegangen, obwohl ihn die Fachwelt gleichberechtigt neben die Klavier-Jungstars Kissin und Volodos stellt. Nur dass Lifschitz eben keinen Medienriesen im Rücken hat, sondern bei der kleineren Firma Denon unter Vertrag ist. Und diese CDs versprechen Großes: etwa der Mitschnitt eines Mailänder Konzerts, bei dem der damals 16-jährige Ravels horrend schweres Triptychon "Gaspard de la Nuit" mit Gespür für Klangfarben und ganz eigener Poesie bewältigt. In den letzten Jahren hat sich Lifschitz zunehmend auf Bach konzentriert und nutzt auch seinen Berliner Auftritt, um den Mikroräuschen Skriabins vergleichbar Kleinteiliges des Thomaskantors gegenüberzustellen.

Womöglich noch schwerer werden die Mitglieder des Pariser Ensemble Intercontemporain gegen das Bonbonnieren-Dekor des Saals zu kämpfen haben. Hilft nichts als Augen zu und durch, denn verpassen sollte man die wohl einmalige Initiative zugunsten von Nikos Skalkottas natürlich nicht. Der Schönberg-Schüler und Gründervater der griechischen Musik ist außerhalb Griechenlands immer noch so gut wie unbekannt, und es ist gut, dass sich gerade Berlin darum bemüht, das zu ändern. Denn seine musikalische Prägung erhielt Skalkottas in der Reichshauptstadt - seine Musik ist zugleich auch ein Stück Berliner Musikgeschichte der zwanziger Jahre und das Eröffnungskonzert präsentiert durchweg Stücke aus dieser Zeit (30. 11.).

Im Grunde macht das Konzerthaus mit seinen Skalkottas-Tagen eine Programmpolitik, die man sich von den Berliner Festwochen gewünscht hätte. Denn das Risiko der Re-Etablierung eines unbekannten Komponisten ist normalerweise Sache eines Festivals, das dafür sowohl andere Geldmittel als auch einen größeren Öffentlichkeitswert hat. Denn das Konzerthaus kann es sich kaum leisten, extra für seine Skalkottas-Tage zu werben und muss für das Sinfoniekonzert am 3. 12. den üblichen Abonnenten-Kompromiss eingehen: Der heißt, vor der Pause das Neue, und anschließend Brahms, damit überhaupt jemand kommt.

Also doch: Zähneknirschend in den Protz-Bau, um der Musik willen. Die verlangt eben manchmal Opfer.

Jörg Königsdorf

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