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Wegweisend. Erykah Badu bleibt auch mit 40 Jahren eine der wichtigsten Erneuerinnen von Hip-Hop und Soul.

© Davids

Soul: Sängerin des Alptraums

Erykah Badu beweist im Berliner Tempodrom: Politische Durchschlagskraft und Tanzflächentauglichkeit sind vereinbar!

Von Jörg Wunder

Ohne diese Anfangsdramaturgie geht es anscheinend nicht: Erst klickt sich der Computerjockey im gut gefüllten Tempodrom eine Viertelstunde lang im Schnelldurchlauf durch die Hip-Hop-Geschichte. Dann spielt die siebenköpfige, exzellente Band zum Warmwerden ein muskulöses, zehnminütiges Funk-Instrumental. Endlich stimmt das Background-Quartett den „Badu Badu“-Sirenengesang an, um den Star des Abends auf die Bühne zu locken.

Die Spannung steigt. Mit welcher extravaganten Bühnengarderobe weiß Erykah Badu wohl diesmal zu verblüffen? Hm, der bedruckte Poncho samt Brustschmuck lässt die 40-jährige Texanerin aussehen wie eine afroamerikanische Pueblo-Indianerin mit Mörder-Highheels, zerbeultem Al-Capone-Hut und hüftlangen Haarfransen. Hat man in dieser Kombination auch noch nicht gesehen. Vor allem aber hat man so noch nicht gehört, wie sie in knapp zwei Stunden mit mehreren Jahrzehnten schwarzer Musikgeschichte herumjongliert.

Nach drei sehr erfolgreichen Alben und diversen Hitsingles in den späten Neunzigern hätte Erykah Badu vermutlich in die Sphäre der Black-Music-Superstars aufsteigen können. Stattdessen nahm sie eine fünfjährige Auszeit und kam 2008 mit dem ersten Teil einer ambitionierten „Amerykah“-Trilogie zurück, in der sie ihre ganz eigene Sicht auf den amerikanischen Albtraum schildert. Ein Meisterwerk in der Tradition der großen Polit-Soul-Alben der Siebziger, aber nicht gerade der Stoff, aus dem in den nuller Jahren Millionenseller geschnitzt wurden.

Trotz der umfangreichen Sympathiebekundungen an Berlin, zu denen auch ein forscher „Happy to see you again“-Gospel gehört, macht sie es ihren Fans nicht allzu leicht. Die stürmisch bejubelten Hits wie „Danger“ oder „Didn’t Cha Know“ werden zwischen knochenharten Funk-Jams oder psychedelischem Unterwasser-Soul mit Freistil-Gesangsimprovisationen versteckt. Oder sie mutieren gleich zu ganze Musikepochen überspannendem Bastardpop wie das soulige „Appletree“, das Badu mit einer furiosen Beatbox-Einlage zu einer Hommage an Afrika Bambaataas Hip-Hop-Klassiker „Planet Rock“ verdreht.

Man hat Erykah Badus Stimme mit vielen großen Sängerinnen verglichen, aber letztlich landet man immer wieder bei einer der allergrößten: Es ist manchmal fast gespenstisch, wie sehr ihr Gesang die Erinnerung an Billie Holiday wachruft. Wie bei der 1959 verstorbenen Jazzlegende schöpft das Einzigartige ihrer Stimme nicht aus Volumen, Kraft oder Ekstase. Vielmehr lässt sie ihr leicht nasales Organ kontrolliert, scheinbar ohne körperliche Anstrengung in unendlich feinen Modulationen erklingen. Was nicht heißt, dass sie nicht ordentlich losschreien könnte: Oft übernimmt der Chor die Melodieführung, während Badu im schrillen Diskant darüber kreischt oder mit nadelspitzen Koloraturen an der Grenze der Hörschwelle entlangsegelt.

In der fast dreiviertelstündigen Zugabe bekundet sie in einer langen Spoken-Word-Passage ihre Sympathien für die mexikanische Zapatista-Bewegung, ehe sie mit Hits wie „Soldier“ und „Window Seat“ noch mal lässig beweist, dass politische Durchschlagskraft und Tanzflächentauglichkeit sehr wohl vereinbar sind. Vielleicht ist nur gerade nicht das richtige Jahrzehnt dafür.Jörg Wunder

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