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Kultur: Souverän driften

Ballhaus Ost: Die Theatergruppe Lubricat mit Anne Tismer in „Einfache Dienstleistung“

Zuerst sind es nur ein paar grüne Pixel auf der Videoleinwand im Berliner Ballhaus Ost. Langsam entsteht ein Bild, wird eine Stirn, ein Auge erkennbar. Aus dem Off tönt knallharter Überbau: „Wir vertreten die These, dass die Arbeitsgesellschaft keineswegs am Ende ist, sondern sich radikalisiert“. Insbesondere im Dienstleistungssektor werde die totale Anpassung der Persönlichkeit an den Job verlangt. Nur „wer charakterlos ist und souverän driftend“, bleibe im Spiel. Stichwort: Aktive Selbstentfremdung. Von der Leinwand nickt jetzt ein grimmiger Karl Marx.

Soviel zur Theorie. Nach dem Stück „Zornige Menschen“ (2005), in dem sich Laien und Profis über die Verhältnisse in Hartz-IV-Land aufregten, widmet sich die Sophiensäle-Hauskompanie Lubricat um Regisseur Dirk Cieslak nun dem aktuellen Arbeitsmarkt – in der vor einem halben Jahr eröffneten Spielstätte in der Pappelallee. In „Einfache Dienstleistung“ erzählen Anne Tismer, Niels Bormann und Rahel Savoldelli als arme Würstchen Edda, Holger und Katja von der Jobsuche im Spätkapitalismus.

Dafür haben Lubricat tatsächlich Bewerbungsschreiben verschickt und Vorstellungsgespräche geführt, sich in der Systemgastronomie beworben und online den Lufthansa-Auswahltest gemacht. Aus den Ergebnissen dieser Feldforschungen, aus der seelenzermalmenden Hölle von stereotypen Fragenkatalogen wurden dann Stück und Text destilliert: Wenn Sie ein Tier wären, was wären Sie? Wie verhalten Sie sich, wenn Ihnen ein Kollege vors Schienenbein tritt? Und wie viel wollen Sie eigentlich verdienen? Was passiert mit Ihnen, wenn Sie sich in eine Kollegin verknallen?

Auf drei flachen Bühnenpodesten machen sich die drei Helden der Arbeit gegenseitig fit für den Job: „Vielleicht kannst Du jetzt nochmal sagen: ‚Ich liebe dich’, und du reagierst professionell darauf“. Darum geht es schließlich: professionell zu sein. Krakelige Handschrift? Einfach einen Bekannten bitten, die Bewerbung zu unterschreiben. „Und immer daran denken: Stärken stärken und Schwächen schwächen!“

Auf der Leinwand sind immer wieder die auf glücklich geschalteten Grinsefratzen der drei Service-Zombies zu sehen. Deren Spiel ist so großartig pointiert und ironisch, so distanziert und gleichzeitig so präzise beobachtet, dass man immer wieder laut auflacht, um sich sofort wieder mulmig zu fühlen. Obwohl: „Es geht hier nicht ums Spielen!“, brüllt Coach Holger einmal, „es geht um authentische, überzeugende Performance, in der du dich auflöst!“ Das ist auf der Meta-Ebene natürlich kokett. Denn auf der Bühne korrespondiert die Ablösung des autonomen durch das „flüssige“ Subjekt sehr einleuchtend mit der Grenzverwischung zwischen Figuren und Schauspielern, die von „der Recherche zu diesem Projekt“ erzählen. Die rote Trennkordel zum Publikum ist keine starre Grenze.

Im Übrigen ist Selbstmarketing nicht nur für Tresenkräfte und Seifenspendervertreter ein Thema, sondern auch für freie Theatermacher. Und natürlich für die Generation Praktikum. Dass Lubricat auch das Theater als Dienstleistung zeigen (wenn auch als eine mit niedrigerem Entfremdungsgrad), zeigt, wie rund und gelungen dieser Abend ist. Sogar ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt, aus dem Thesenhagel des Anfangs: „Informelle Mitarbeiter“ waren schon immer auch ein Risiko – Doppelspiele, Faulheit, Widerstand. Da gärt was. Auch im Zuschauer.

Wieder vom 1. bis 3. September und vom 7. bis 10. Oktober, Ballhaus Ost, Prenzlauer Berg, Pappelallee 15

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