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Dienstleister seiner Untertanen. Der britische Schauspieler Sir Nigel Hawthorne als King Lear.

© picture-alliance / dpa

Soziologie der Macht: „Den König kann man köpfen“

Kein Führer ohne Geführte: Im Interview spricht der Soziologe und Kulturanalytiker Dirk Baecker über Machthaber und Mitmacher.

Dirk Baecker, geboren 1955 in Karlsruhe, gilt als einer der wichtigsten deutschen Gesellschaftswissenschaftler. Der Luhmann-Schüler ist Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin- Universität in Friedrichshafen. Er lebt in Basel. Zuletzt erschienen von ihm „Organisation und Störung. Aufsätze“ (Suhrkamp, Berlin 2011, 336 S., 15 €) und „Die Sache mit der Führung“ (Picus, Wien 2009, 96 S., 8,80 €). An diesem Montag um 19.30 Uhr hält Baecker an der Berliner Schaubühne den Vortrag „Herrschaft im System: Zur Kontrolle von Macht“, anschließend diskutiert er mit Heinz Bude.

Herr Baecker, Sie sprechen an diesem Montag in der Schaubühne über die „Kontrolle von Macht“. Wie funktioniert die?

Jeder Machthaber kann nur die Macht ausüben, die diejenigen, die dieser Macht unterworfen sind, bereit sind zu akzeptieren. Das hängt davon ab, welche Ressourcen, guten Gründe oder auch physischen Zwangsmittel er zur Verfügung hat. Die Legitimation stammt immer aus dem System, nie aus den Personen. Das gilt auch in kleineren Systemen, etwa in Familien. Eltern haben nur dann Macht, wenn und solange die Kinder Gründe haben, diese Macht mit Blick auf die Ressourcen dieses Systems anzuerkennen.

Etwa die Ressourcen Liebe, Geborgenheit?

Oder auch die Ressource körperliche Gewalt. Wichtig ist, dass Macht nie einfach die Eigenschaft eines Machthabers ist. Ein Machtverhältnis ist immer eine Relation.

Von René Pollesch stammt der schöne Satz, als Regisseur sei er nicht der Chef, sondern der Dienstleister seiner Schauspieler. Gilt das nicht für jeden aufgeklärten Vorgesetzten?

Das ist ein passendes Bild für die Zirkularität im Machtverhältnis, die ich meine.

Dirk Baecker gilt als einer der wichtigsten deutschen Soziologen.
Dirk Baecker gilt als einer der wichtigsten deutschen Soziologen.

© picture-alliance/ ZB

Müssen wir also dankbar sein, dass es Leute gibt, die für uns den Dienstleistungsjob Bundeskanzlerin oder Vorstandsvorsitzender oder Abteilungsleiter übernehmen?

Ja, und zwar aus zwei Gründen. Dieser Dienstleister stellt für uns den Kontext sicher, auf den wir uns als Staatsbürger oder Angestellte verlassen können müssen. Zweitens muss dieser Dienstleister den Kopf hinhalten, wenn irgend etwas schiefgegangen ist: Der König ist der, den man köpfen kann. An ihn delegieren wir unsere Verantwortung.

Was geschieht, wenn etwa in Krisensituationen in Unternehmen oder politischen Parteien nach „Führung“ verlangt wird?

Man ruft ja nicht etwa deshalb nach Führung, weil man so gerne geführt werden möchte, das wollen die wenigsten. Sondern man will mit diesem Ruf nach Führung sicherstellen, dass die eigenen Kollegen geführt werden. Man braucht eine Machtzentrale, damit alle anderen, mit denen man es innerhalb der Organisation zu tun hat, unter Kontrolle sind. Macht ist eine Dreierkonstellation.

Wie subversiv ist eigentlich politisches Theater?

Weil Sie Ihren Vortrag in einem Theater halten, drängt sich die Frage nach dem sogenannten politischen Theater auf, in dem von Brecht bis zu Volker Lösch gerne „die Mächtigen“ und „die Herrschenden“ jeder denkbaren Schandtat bezichtigt werden. Wie subversiv ist das?

Meistens ist es eher naiv. Es dient der Macht mehr, als dass es sie tatsächlich kritisiert. Damit macht man den Machthaber nur zu einer umso mächtigeren Gestalt. Der eigentliche Witz wäre, den berechtigten negativen Begriff der Macht, also den einer Macht, die ausbeutet, unterdrückt und so weiter, mit einem positiven Begriff der Macht zu koppeln. Dann stellen sich Fragen danach, was eigentlich welche Leute mit welchen Ressourcen von Macht machen. Wann kann man davon zu viel haben, und wann kann man davon auch zu wenig haben – beispielsweise in der Relation zwischen Wirtschaft und Staat. Die Art von politischem Theater, die Sie beschreiben, ist Unterhaltung für Leute, die sich im Theater darüber beruhigen wollen, dass sie in ihrem Job nichts unternehmen gegen Verhältnisse, die für sie selbst durchaus komfortabel sind. Vermutlich geht es um eine Art Selbstberuhigung im Modus eines kritischen Denkens bei durchaus einverstandenem Tun.

Was könnte man im Theater über Machtzusammenhänge lernen?

Ich erinnere mich an eine wunderbare Szene in Frank Castorfs „Clockwork Orange“-Inszenierung, in der es nicht um eine Erzählung über Macht ging, sondern in der Macht praktisch vorgeführt wurde. Der Hauptdarsteller Herbert Fritsch bedrohte vorn an der Rampe das Publikum und hielt diese Geste der Drohung durch, gefühlt vielleicht eine Minute, real wahrscheinlich wenige Sekunden. Man saß im Publikum und war selbst Teil einer sozialen Beziehung und scheinbar mitverantwortlich für das, was als Nächstes geschehen würde. Wenn das Theater das Risiko der Macht ernst nimmt, finde ich das spannend. Wenn es dieses Risiko nicht sieht, ist es naiv.

Ist das Unangenehme an diesem naiv politischen Theater nicht auch das sehr simple Bild einer prinzipiell moralisch diskreditierten Macht?

Das bürgerliche Theater muss diese Vorurteile offensichtlich pflegen. Das Bürgertum hat seine eigene Macht immer geleugnet und statt dessen Popanze aufgebaut, die kritische Beobachter dann abbauen durften. Naiv ist, wer sich die Macht nur aus der Perspektive scheinbar allmächtiger Machthaber anschaut. Schon weniger naiv ist, wer protestiert und rebelliert und so für neue Machtkonstellationen sorgt. Aber wirklich hilfreich ist erst der Blick des Kybernetikers, der von oben und unten, von innen und außen schaut und so die Interdependenzen offen legt, die jede konkrete Macht nur ausbeutet. In dieser Hinsicht kann man immer noch am meisten von Machiavelli lernen.

Verraten Sie, um was es in Ihrem Vortrag in der Schaubühne geht?

Ich nutze den Vortrag, um mich mit dem sehr anregenden Buch von Giorgio Agamben, „Herrschaft und Herrlichkeit: Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung“, auseinanderzusetzen. Agamben lässt leider seine Machtanalyse in einer Mystik der Leere enden und sieht nicht, dass das soziale Spiel zwischen Machthaber und Machtunterworfenem letztlich viel wichtiger ist als eine Substanztheorie von Macht, die dann kritisch auf ihre eigene Leere zurückbuchstabiert werden müsste.

Das Gespräch führte Peter Laudenbach.

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