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Kultur: Space Invasion am Stadtrand

Nur wenigen bekannt ist Adlershof, Berlins größtes Stadtentwicklungsgebiet.Dabei handelt es sich weder um ein Rieselfeld noch um eine Wiese, sondern um einen Ort, dessen große Vergangenheit mit ihren zahllosen Auf- und Umbrüchen tiefe Spuren hinterlassen hat.

Nur wenigen bekannt ist Adlershof, Berlins größtes Stadtentwicklungsgebiet.Dabei handelt es sich weder um ein Rieselfeld noch um eine Wiese, sondern um einen Ort, dessen große Vergangenheit mit ihren zahllosen Auf- und Umbrüchen tiefe Spuren hinterlassen hat.

Hier begann 1908 mit dem Flugplatz Johannistal und den Flugzeugwerken AGO, Albatros und Rumpler die deutsche Luftfahrt.Hier wurde 1912 die "Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt" gegründet, die viele markante Versuchs- und Verwaltungsbauten hinterließ.Später folgte die Akademie der Wissenschaften mit kaum weniger einprägsamen Werkstätten in zeitgemäßer Sachlichkeit.Und hier begann und endete ebenso die Geschichte des ostdeutschen Fernsehens, für das der ehemalige Bauhausschüler Franz Ehrlich einen beachtlichen Gebäudekomplex errichtete.Doch in Adlershof saßen auch Hermann Göring und später das rote Garderegiment Felix Dzerschinski.

Wo sich heute noch über 460 Hektar ein bizarres Mosaik unterschiedlicher, zumeist voneinander abgeschotteter Gebäude und Nutzungen erstreckt, entsteht nun eine "Stadt für Wirtschaft und Wissenschaft", deren Wege von der Forschung zur Produktion möglichst kurz und attraktiv sein sollen.Inmitten ehemaliger Hangars und Werkstätten künden erste Neubauten von einem neuen Aufbruch, nun jedoch zu einer urbaneren Zukunft, der sich stark von der strengen Rechtwinkligkeit der "neuen Berliner Architektur" des Zentrums unterscheidet.

Das neue Innovationszentrum für Photonik gibt davon einen sehr effektvollen Eindruck.Von den vier Neubauten des Zentrums sind es insbesondere die zwei Gebäude des deutsch-englischen Architektenpaares Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton, die mit fließenden Körpern und ungewöhnlicher Farbgestaltung auf sich aufmerksam machen.Eingelagert in das Ensemble der früheren Akademiewerkstätten, die leider nur minder glücklich modernisiert wurden, erheben sie sich in einem kleinen Hain als fast schwerelose Solitäre.

Ganz gläserne Hülle, transparent und farbig, schwingen ihre Körper in kontinuierlicher Veränderung frei in den Raum aus, scheint hier eine amorphe Materie in Bewegung erstarrt, ja kristallisiert zu sein.Weich und fließend wie Amöben, hart und leuchtend wie Kristalle, bleibt ihre Gestalt rätselhaft.Dimensionen und Volumina scheinen unbestimmt, Außen und Innen unauflösbar ineinanderzugreifen, wenn diese "Space Invaders", die entfernt an Alvar Aaltos organische Vasen der fünfziger Jahre erinnern, sich in unbestimmte Tiefen ausdehnen.Autonom und dennoch sensibel in den Bestand gesetzt, entfalten sie teils einprägsam, teils befremdend einen unverwechselbaren Eigensinn, der zur Annäherung und Enträtselung auffordert.

Was hier im städtebaulichen Wirrwarr eine neue identitätsstiftende Mitte ausbildet, sind zwei sehr unterschiedlich große Gebäude für avancierte Produzenten und Dienstleister aus den Bereichen der Optik, Optoelektronik und Lasertechnologie: eine hohe eingeschossige, wechselnden Labornutzungen dienende Stahlskeletthalle und ein großer, dreigeschossiger Stahlbetonskelettbau, der entlang seiner im Innern verborgenen Erschließungsachse kombinierte Labor- und Büroeinheiten frei wählbarer Größe und Tiefe birgt.Sehr ungewöhnliche Raumeinheiten, die eine Tiefe bis zu 20 Meter erreichen können, die mit ihren damit verbundenen Dunkelzonen den spezifischen Anforderungen abgeschirmter Lichtlabore entsprechen, währenddessen sich den außenliegenden Bürobereichen eine optimale Tagesbelichtung über die geschoßhohen Glasflächen bietet.

Ein minimiertes Stahlbetonskelett im Inneren leistet völlig stützenfrei die nötige Aussteifung des Gebäudes.Unterzüge dienen der Versteifung und nehmen zugleich die umfangreichen Installationen auf.Über die markanten Doppelstützen der zweischaligen Hülle werden hingegen die Lasten abgetragen.Im Wechsel mit den großen feststehenden Glasfeldern der Außenhaut fassen diese Stützen auch die schmalen, verglasten Luftschächte ein, die mittels natürlicher Thermik zugfreie Belüftung und Klimatisierung ermöglichen.

Der 70 Zentimeter breite Bereich zwischen den großen Schiebefenstern der innernen Haut und dem gläsernen Kontinuum der äußeren Hülle ist es denn auch, der die verborgene Nutzung der "Space Invaders" nach Außen kehrt.In den unterschiedlichen Farbwerten des natürlichen Spektrums wandern dazu Farbstreifen auf Doppelstützen und Jalousien um das Gebäude herum.Von kalten Farben gen Norden zu warmen gen Süden, von Blau und Violett zu Rot und Gelb ist ihre Bewegung kontinuierlich, die einzelnen Intervalle aber sind irritierend dissonant.Denn die beiden Absolventen der Avantgarde-Schmiede der achtziger Jahre, der Architectural Association in London, verbinden damit ein Spiel mit der psychologischen Wahrnehmung von Raum.Mittels der Dissonanzen gewinnen ihre Farben eine eigene, kaum bestimmbare Räumlichkeit.

Mögen auch manche der zahlreichen technischen Dachaufbauten mit den Silhouetten kollidieren oder ebenso an den beiden Enden der Erschließung die gefalteten Glashäute der Foyers der Idee "Amöben" zuwiderlaufen, so schmälert dies die besondere Leistung nicht.Mit den "Space Invaders" gelang Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch eine außergewöhnlich einprägsame Architektur, die Ökologie und Funktionalität intelligent verbindet - und damit gewinnt Adlershofs Aufbruch ins 21.Jahrhundert eine emblematische Form.

CLAUS KÄPPLINGER

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