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SPAGHETTIWESTERN: Für eine Handvoll Schnee

Das Vermächtnis der Prärie: Spaghetti-Western haben es in sich, sie sind Dokumente ihrer Zeit, der wilden 60er Jahre. Eine Berliner Filmreihe und ein Hamburger Festival zeigen, wie der Western in Europa neu erfunden wurde.

Der Western „Leichen pflastern seinen Weg“ stellt die Regeln des Genres auf den Kopf. Er spielt komplett im Schnee, und am Ende stirbt nicht der Böse, sondern der Held. Der Showdown besteht hauptsächlich aus Großaufnahmen, einem minutenlangen Blickwechsel zwischen Jean-Louis Trintignant als schweigsamem Rächer, dem sie vor Jahren die Stimmbänder herausgeschnitten haben, und Klaus Kinski, dem Anführer einer Kopfgeldjägerbande. Trintignant wartet auf einer Main Street irgendwo im nächtlichen Utah auf das Duell, Kinski steht, flankiert von Schergen, im Eingang des Saloons. Dann fallen Schüsse. Silenzio, der Rächer, wird in der Stirn getroffen, er sackt zu Boden, Blut mischt sich mit Schnee. In Sizilien, so berichtet der Filmhistoriker Christopher Frayling, soll ein Zuschauer aus Wut und Enttäuschung in die Decke des Kinos geschossen haben.

Italo-Western wie „Il Grande Silenzio“ – so der Originaltitel – retteten in den sechziger Jahren die in ihrer amerikanischen Heimat ramponierte Gattung, indem sie sie radikalisierten. Gewalt wurde in Zeitlupe zelebriert, die Protagonisten waren unrasiert, trugen lange Staubmäntel und schossen nicht bloß mit Colts. Franco Nero zog als „Django“ sein Maschinengewehr in einem Sarg hinter sich her. Spaghetti-Western waren ein Thema des Hamburger Cinefests, einem vom Filminstitut CineGraph und dem Bundesarchiv veranstalteten Filmfestival, das sich in diesem Jahr dem europäischen Western widmete. Eine Auswahl der Filme ist vom 3. Januar an im Berliner Zeughaus-Kino zu sehen.

Filme wie „Leichen pflastern seinen Weg“, die in ganz Europa ein junges, oft studentisches Publikum fanden, sind Dokumente ihrer Zeit. „Wir leben in einer Welt der Gewalttätigkeit“, sagte Regisseur Sergio Corbucci 1969. „Die Fernsehstationen übertragen auf einem Kanal Trickfilme, auf einem anderen die Erschießung Kennedys, auf einem dritten das Massaker von Biafra.“ Damit verglichen war jeder Western harmlos. „Vergessen wir nicht“, so Corbucci, „das Blut, das in meinen Filmen fließt, besteht aus chemischen Substanzen und Tomatensaft“.

Die Mythologie war aus amerikanischen Western übernommen, doch in Wirklichkeit handelten die Spaghetti-Western von der italienischen Politik und der Radikalisierung der Linken. So lautet die These des Sergio-Leone-Biografen Christopher Frayling. 1966 begannen in Rom Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken, 1967 erreichte die italienische Western-Produktion mit 73 Filmen einen Höhepunkt. Drehbuchautor Franco Solinas war ein bekennender Marxist, der für seinen Film „Tepepa“ einen mexikanischen Revolutionär nach dem Vorbild von Che Guevara formte. Das bald europaweit in Wohngemeinschaften hängende Guevara-Plakat, ein säkulares Heiligenbild, war vom Mailänder Verleger Feltrinelli in Umlauf gebracht worden. Studentenführer Daniel Cohn-Bendit, 1968 nach den Pariser Mai-Unruhen aus Frankreich ausgewiesen, zog nach Rom, um ein Western-Drehbuch zu schreiben, aus dem nichts wurde.

Amerikanische Western handeln von der Eroberung und Zivilisierung des Landes, die Frontier wird immer weiter nach Westen verschoben. In den italienischen Western spielt diese räumliche Grenze keine Rolle mehr, so der Publizist Robert Fischer, sie wird internalisiert, die Wildnis wandert in die Protagonisten. Gedreht wurden die Filme in der Wüste bei Almeria, im Süden des damals faschistischen Spanien. Der Andrang war so groß, dass sich die Film-Crews im einzigen Westerndorf stundenweise ablösten. Wenn amerikanische Produktionen Verfolgungsjagden inszenierten, schreibt Mario Adorf in seinen Memoiren, „hockten, auf den umliegenden Hügeln versteckt, italienische Kamerateams und ,schnorrten’ von der aufwendigen Aufnahme“.

In Almeria kreuzten sich die Wege von Spaghetti-Western und Neuem Deutschen Film. Fassbinder verwirklichte dort sein Western-Melodram „Whity“, die chaotischen Dreharbeiten inspirierten ihn später zu „Warnung vor einer heiligen Nutte“. Ebenfalls in Almeria entstand das vergessene Meisterwerk „Verflucht, dies Amerika“ von Volker Vogeler, Fortsetzung seines Heimatfilm-Westerns „Jaider – der einsame Jäger“. Fünf bayrische Wilddiebe, aus ihrer Heimat verbannt, landen bei Doc Holliday in der anarchischen Neuen Welt. Sie müssen im Saloon Schuhplattler tanzen, am Ende sprechen die Schusswaffen.

Schon zu Stummfilmzeiten hatte sich eine europäische Western-Industrie entwickelt. In der französischen Camargue entstanden Filme wie „Feuriges Herz“ oder „Die Railway des Todes“ (beide 1912), die mit Indianer-Überfällen, Goldsuchern und Eisenbahn-Verfolgungsjagden bereits wichtige Standards des Wildwest-Kitzels abdeckten. Die Cowboys trugen Schlapphüte, die Blockhütten der Siedler erinnerten stark an südfranzösische Bauernhäuser.

Das deutsche Gegenstück waren die Neckar-Western. In Heidelberg war 1912 in einer alten Fabrik ein Glashaus-Filmstudio eröffnet worden. Dort wurden Komödien, Shakespeare- und Schiller-Verfilmungen und ab 1919 auch Western wie „Das Vermächtnis der Prärie“, „Feuerteufel“ oder „Texas Jack zähmt ein wildes Pferd“ gedreht. Es waren, so der Lokalhistoriker Jo-Hannes Bauer, „Phantasmagorien, unbeleckt von jeder Kenntnis des wirklichen Westen der USA“.

Es wurde geritten, geküsst, geschossen, Nebenfiguren tauchten auf und verschwanden spurlos, das Pathos erzeugte unfreiwillige Komik. 1922 war die Produktionsfirma pleite, Regisseur Phil Justi machte in Berlin mit Proletarierfilmen Karriere. Auch das „Dritte Reich“ mochte auf Western nicht verzichten. Luis Trenkers Siedler-Drama „Der Kaiser von Kalifornien“ illustrierte die „Volk ohne Raum“-Ideologie, der Abenteuerfilm „Gold in New Frisco“ schürte antisemitische Emotionen. Ein von Hans Söhnker gespielter Neuankömmling zettelt in einem US-Städtchen einen Goldrausch an und legt einem moralisch minderwertigen, offenbar jüdischen Bankier das Handwerk.

„Western haben kein Sprachproblem“, hat James Stewart festgestellt. „Es wird nicht viel geredet, deshalb werden sie auf der ganzen Welt verstanden.“ Western sind naiv. „Potato Fritz“ wirkt so, als habe sich Peter Schamoni 1975 verspätet einen Kindheitstraum erfüllen wollen. Die Kavallerie galoppiert, Indianer drohen, Pferdetransporte werden angegriffen. Und mittendrin Hardy Krüger als ehemaliger Armeeoffizier, der aufpasst, dass keiner sein Kartoffelfeld zertrampelt. Fußball-Weltmeister Paul Breitner reitet durch einige Szenen, mit Afro-Frisur und in US-Uniform.

Was aber Coolness angeht, da ist Roland Klicks lakonisches Wüsten-Endspiel „Deadlock“ von 1970 unerreicht. Mario Adorf, Marquard Bohm und Anthony Dawson liefern sich zur psychedelischen Musik von Can einen Nervenkrieg um einen Geldkoffer aus einem Bankraub. Der Wind pfeift durch eine verlassene Minensiedlung, an einem Dach baumelt eine alte Werbefigur, ein Cowboy mit abgerissenem Arm. Entstanden ist der Film im Nahen Osten. „Nach dem Sechstage-Krieg standen sich Jordanien und Israel waffenstarrend gegenüber“, erinnert sich Klick. „Genau im Niemandsland dazwischen haben wir gedreht.“ Der Zuschauer spürt die Angst.

„Europas Western“ laufen vom 3. bis 31. Januar im Berliner Zeughauskino. Infos unter dhm.de/kino. Das Buch „Europas Prärien und Canons. Western zwischen Sibirien und Atlantik“, hg. v. CineGraph, kostet 25 €. „Potato Fritz“ und „Deadlock“ sind als DVDs bei Absolut Medien erschienen.

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