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Kultur: Sparpolitik: Thüringer Sparwürstl

In Deutschlands Theaterkantinen kursiert derzeit ein makabrer Witz. Frage: "Was ist der Unterschied zwischen einem Stadttheater und einem Krebspatienten?

In Deutschlands Theaterkantinen kursiert derzeit ein makabrer Witz. Frage: "Was ist der Unterschied zwischen einem Stadttheater und einem Krebspatienten?" Antwort: "Ein Krebskranker hat immer noch eine Überlebenschance." Meist erntet dieser Witz nur bitteres Gelächter, denn von Rostock bis Würzburg gibt es kaum noch eine Bühne, an der nicht schon einmal die Abwicklung von Ballett, Orchester oder Sprechtheater auf der Tagesordnung der Stadtversammlungen stand.

Inmitten dieses Elends schien allein der Freistaat Thüringen ein relativ ungefährdetes Reservat zu sein: Schützend hielt vor allem Ministerpräsident Berhard Vogel seine Hand über die kulturellen Hinterbliebenschaften duodezfürstlichen Ehrgeizes - wohl wissend, dass nirgendwo in Deutschland sich der Lokalpatriotismus so stark aus dem kulturellen Selbstbehauptungswillen der einstigen Kleinresidenzen heraus definiert. Mit einer Ausgabe von 82 Mark pro Landeskind für die sechs Stadttheater und drei Konzertorchester steht Thüringen konkurrenzlos an der Spitze der deutschen Flächenländer, mit 217 Mark Zuschuss pro Besucher macht das "Grüne Herz der Republik" (Eigenwerbung) sogar der Hauptstadt Konkurrenz. Dank dieser massiven Subventionierung und einer frühzeitig eingeleiteten moderaten Fusionswelle konnte die, wenn man so will, mittelständische Theaterproduktion aufrechterhalten werden.

Damit wird es bald vorbei sein: Nach dem Willen von Thüringens Kulturministerin Dagmar Schipanski steht den Bühnen eine radikale Umstrukturierung bevor, die nichts anderes als den Abschied von der überkommenen Dreisparten-Souveränität bedeutet. Mehr als die 117 Millionen Mark an Landeszuschüssen werde es auf absehbare Zeit nicht geben, hatte sie schon früh verkündet. Jede Hoffnung, die anstehende Angleichung der Gehälter auf Westniveau sowie die periodischen Tariferhöhungen durch Umverteilung der Landesmittel auffangen zu können, sei spätestens mit der Weigerung des Bundes gescheitert, sich an der Finanzierung des Weimarer Nationaltheaters zu beteiligen. Da die Sparschraube bei den einzelnen Häusern unter Beibehaltung der Struktur nicht weiter angezogen werden könne, müssten Verbundlösungen her. Vergeblich bat die Ministerin die Kulturschaffenden um Vorschläge. Einzig aus der Landeshauptstadt Erfurt verlautete, die drei wichtigsten Bühnen Erfurt, Weimar und Meiningen finanziell zu stärken und dafür die übrigen ganz dicht zu machen.

Inzwischen ist die Katze aus dem Sack: Während die kleineren Bühnen und Orchester in einem Landestheater-Verbund aufgehen sollen, sieht der Plan der Ministerin für Erfurt und Weimar einen "Spartentausch" vor: Während das Weimarer Nationaltheater künftig beide Bühnen mit Sprechtheaterproduktionen versorgen soll, wird das Musiktheater in Erfurt gemacht und ins dreißig Kilometer entfernte Weimar exportiert. Was spräche eigentlich dagegen, fragte Schipanski provokativ, einen "Otello", der nach zwölf Vorstellungen in Erfurt abgespielt sei, anschließend auch noch in Weimar zu zeigen? Ein Argument, das durch den Theaterneubau, der gerade in der Landeshauptstadt entsteht (Bauvolumen 120 Millionen Mark) noch zusätzliches Gewicht erhält: Die neue Bühne ist in Abmessungen und Technik mit dem (unlängst renovierten) Weimarer Theater kompatibel gehalten, um eine nahtlose Übernahme der Inszenierungen zu ermöglichen.

Zumindest Erfurts neuer Intendant Guy Montavon hat mit der Symbiose denn auch kein Problem: Ein Dreispartenhaus sei eine schöne Sache, aber aus den gegenwärtigen Mitteln nicht zu finanzieren, beschied der Musiktheaterfachmann Woche kühl - kurz nachdem er die ersten Schritte unternommen hatte, das Erfurter Schauspielensemble zu liquidieren. Das Erfurter Orchester wird mutmaßlich als nächstes auf der Planke stehen: Bereits jetzt wird hinter vorgehaltener Hand eifrig darüber diskutiert, ob die Bespielung des Neubaus besser durch die Weimarer Staatskapelle oder durch die Philharmonie in Jena erfolgen solle.

Die offenen Übernahmesignale aus der Landeshauptstadt lösen in der benachbarten Kulturhauptstadt alte Ängste aus: Kaum hatte Stephan Märki, der Intendant des Nationaltheaters, von dem Erfurter Versuch erfahren, vollendete Tatsachen zu schaffen, schlug er Alarm und forderte die Theaterbesucher auf, schriftlich bei der Ministerin gegen die drohende Abwicklung der eigenen Opernsparte zu protestieren. Ein Kapitel deutscher Musikgeschichte sei bedroht, die Fusion schon aus technischen Gründen nicht zu bewältigen, das Publikum verlöre seine Bindung an "sein" Haus, und gespart werde außerdem überhaupt nichts, so der Tenor einer vierseitigen Protestnote. Weimars Chancen sind freilich gering: Den Touristen, die in der 50.000-Einwohnerstadt einen erheblichen Teil des Theaterpublikums ausmachen, dürfte es egal sein, ob die Weimarer Inszenierungen irgendwann auch einmal in Erfurt gezeigt werden, während in Erfurt schon die Neugier auf das wohl 2003 fertiggestellte neue Haus einen spektakulären Neuanfang sichert. Künstlerisch verlockend ist die Fusions-Idee allemal, dafür stehen gerade die letzten Weimarer Produktionen: Während das hochklassige Schauspielensemble mit dem neuen, vielgerühmten "Faust" schon jetzt die überregionale "Leuchtturm-Qualität" liefert, zeigt die Neuinszenierung von "Mathis der Maler" noch ein deutliches Optimierungpotenzial, weist gerade der Kraftakt, großes deutsches Musiktheater in der Wagner-Strauss-Tradition zu machen, auf die Möglichkeiten einer Optimierung durch Vereinigung der Ressourcen.

Kulturministerin Schipanski wird es sich kaum noch leisten können, von ihrem Angriff auf die Dreisparten-Autonomie abzulassen. Landesintern ist das Gelingen des Projekts Erfurt-Weimar schon jetzt zum Prüfstein für ihren Reformkurs geworden: Fällt Weimar, werden auch die übrigen Bühnen kaum noch Widerstand leisten können und sich auf eine vergleichbare Landestheaterlösung mit spartenspezifischen lokalen Schwerpunkten einstellen müssen. Ein Modell, das im Falle seines Gelingens durchaus über Thüringen hinaus Signalwirkung haben könnte.

Das Hinscheiden des Dauerpatienten Stadttheater scheint damit einen Schritt näher gerückt. Es wird Zeit, dass er an das Leben nach dem Tod denkt. Und wer weiß, ob das nicht viel schöner ist.

Jörg Königsdorf

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