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Kultur: Spaß für Spaß

Erst die Bühne, dann die Stadt: Das legendäre Meininger Theater eröffnet neu, mit zwei Premieren.

1908 brannte das Theater ab, dessen reisendes Ensemble halb Europa kannte. Ein Jahr und wenige Monate später stand es wieder da, hinter den sieben thüringischen Bergen. Und nun hat sich das wiederholt, ganz ohne Feuer und Rauch.

Fast 18 Monate war das schöne Haus geschlossen – jetzt leuchtet es wie zuvor, in selbstbewusster klassizistischer Unangreifbarkeit, aber mit Hightech-Herz, 23 Millionen teuer. Dabei ist heute nichts angreifbarer als ein Theater. Wie viele Bühnen in diesem Land stehen da mit gesenkten Augen.

Es ist ein Wunder, das Meininger Theaterwunder. Es währt nun bereits mehr als 150 Jahre. Meiningen, das ist keine Stadt mit einem Theater, das ist ein Theater mit einer Stadt. Der Intendant heißt Ansgar Haag, es ist ein sehr glücklicher Intendant, und er hatte nie einen Zweifel, womit er sein neues altes Haus wiedereröffnet: mit Shakespeare. Das ist er schon seinem großen Vorgänger schuldig.

Man hat ihn den Ludwig Thüringens genannt, aber Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen, tat der bayerische König eher leid. Anstatt die Kunst nur zu fördern und verschwenderische Komponisten zu unterhalten, nahm der Regent die Dinge am besten selber in die Hand.

Wer ist befugter, Bühnenbilder zu entwerfen und die Kostüme gleich dazu, als der oberste Mann im Staat? Der Regent. Der Regisseur also. Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen erfand das moderne Regietheater. Als Ensembletheater: Die Größten werden die Kleinsten spielen und umgekehrt! Das ist die Demokratie der Monarchen. Unter Georg gab es Spielzeiten mit neun Shakespeare-Premieren. Ansgar Haag schafft gleich im neuen Anlauf zwei.

Er hat sich für „Maß für Maß“ entschieden, diese dunkle Komödie über Staatskunst, Sittenverfall und Tugendterror. Sie ist wie andere Shakespeare-Komödien mit der Hypothek beladen, dass es für Heutige hier eigentlich nichts mehr zu lachen gibt. Haag übergab dem jungen unbekannten Veit Güssow die Regie. Denn Meiningen war schon immer dort, wo das Neue, also das Risiko ist.

Das Risiko hat aber noch einen Namen: Richard Wagner, bei dessen früher Oper „Das Liebesverbot“ selbst bekennende Wagnerianer abwinken. Wagner: „Damals war ich 21 Jahre alt, zu Lebensgenuss und freudiger Weltanschauung aufgelegt.“ Also schrieb er Shakespeares finstere Komödie „meiner Stimmung angemessen“ um, in eine große Helligkeit hinein. Der junge Wagner hatte die gleiche Hoffnung wie die Achtundsechziger des nächsten Jahrhunderts: Wenn wir nur erst alle Sinne und die Sinnlichkeit selbst befreien, werden wir dann nicht von selbst schönere Menschen?

Die Gäste des Premierenabends sitzen noch kaum auf ihren neuen Stühlen in diesem schönen Theaterraum, der trotz seiner Größe, seiner Höhe eine zauberische Intimität besitzt. Die Wände sind wie 1909 wieder mit blauer, dem Original nachgewebter Seide bespannt, das Stuckgold ringsum ist stilvoll erblasst. Ja, Räume wie dieser lassen jeden Zuschauer anders atmen, umso tiefer schleudert ihn die Anfangs-Collage aus obszönen Unterschichten-Fernsehfetzen und Politiker-Slang in seinen Sessel zurück. Doch kein Laut des Unwillens.

In Meiningen wurde das moderne Regietheater erfunden – nun gilt es, das auch auszuhalten. Die Meininger scheinen das zu wissen. Wobei dieses Kaleidoskop der verbalen und sexuellen Selbstbesudelung des Menschen offenbar zur Rechtfertigung dessen dient, was nun bei Shakespeare geschieht: Inthronisation eines Tugendterrorregimes unter Angelo, dem neuen Wiener Statthalter. Leider hat der Regisseur die gewisse Verwandtschaft dieses Vornamens mit jenem unserer Bundeskanzlerin prompt als Idee missverstanden.

„Das dauert so lange wie eine russische Nacht im Winter“, bemerkt irgendwann die Tugend-Tyrannin Lord Angela (Anja Lenßen). Da hat sie recht. Aber das Meininger Ensemble spielt sich zu allem entschlossen durch den Abend. Die Haustechniker, die anfangs tief verängstigt vor bunt blinkenden Pulten standen, wo früher Hebel waren, behalten die Kontrolle.

Den Dienst der alten Drehscheibe – unter geräuschvollem Protest auf Eisenbahnrädern rollend, angetrieben von einem Schiffsmotor – versieht nun eine beflissen stumm vor sich hinkreisende Dreh-Hubbühne. Keines der neuverlegten 500 Kilometer Kabel verweigert sich der geforderten Ensembleleistung. Und doch hätte nur Aberwitz diesen Shakespeare retten können. Aber Scheitern gehört zur Größe, das scheint man hier zu wissen.

Drei Zuschauer bemerkte der junge Wagner vor der zweiten Aufführung seines „Liebesverbots“ im Theater, während sich hinter der Bühne die Sänger prügelten und den Komponisten leise Zweifel an seinem Werk beschlichen. Regisseur Ansgar Haag hatte auch welche: Sollte er nicht, schon im Licht der historischen Erfahrung, mit Wagners Jugendbehauptung brechen, dass ein Volk allemal weiser und schöner ist als seine Regierung? So lässt er am Ende eine braunhemdige Blaskapelle wie ein Menetekel aufmarschieren. Doch kommt die keinesfalls aus der Mitte des Stücks und dieses Bühnenvolks. Sie kommt aus dem Off.

Und trotzdem: Die oft großartigen Sänger (Dae-Hee Shin, Bettine Kampp, Camila Ribero-Souza) und das Orchester spielen alle Zweifel einfach weg. Das klingt zwar nach allem Möglichen, nach Weber, Bellini, sogar nach Offenbach, bloß nicht nach Richard Wagner, aber dafür liegen eine oft berückende Frechheit und ein Witz über dem Ganzen, um im nächsten Augenblick in jähe Belcanto-Schönheit zu wechseln.

„Die Meininger kommen“, riefen im 19. Jahrhundert Europas Hauptstädte. Im Zweifel versetzen sie also noch immer Wände. So wie jetzt das gesamte Rückportal des Hauses, 600 Tonnen schwer. Auf einem Stickstoffbett schwebte es fort, um erst unmittelbar vorm See anzuhalten. Platzgewinn. So muss Theater sein: gleitend unter Tonnenlasten.

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