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Kultur: SPD-Kultur: Eine Partei, die mit einem Satz wieder springen will

Studienräte, die keck sind, wollen im Deutschunterricht manchmal noch mit abendländischer Bildung durchdringen und alte Begriffe erklären, zum Beispiel "Oxymoron". Das bezeichnet ein Bild, in dem unvereinbare Gegensätze zusammengebracht werden; man lernt es immer anhand von Paul Celans Metapher der "schwarzen Milch".

Studienräte, die keck sind, wollen im Deutschunterricht manchmal noch mit abendländischer Bildung durchdringen und alte Begriffe erklären, zum Beispiel "Oxymoron". Das bezeichnet ein Bild, in dem unvereinbare Gegensätze zusammengebracht werden; man lernt es immer anhand von Paul Celans Metapher der "schwarzen Milch". Es gibt aber auch ein Oxymoron, das aufs Genaueste einen gesellschaftlichen Zustand bezeichnet, es heißt "SPD-Kultur".

In der Zeit, als es noch etwas zu verteilen gab, war die SPD auch einmal an der Macht, und da besetzte sie den ihr suspekten Kulturbegriff mit der Parole: "Kultur für alle". Da wurde die Chancengleichheit einfach auch auf die Kultur ausgedehnt, und die Sache war abgedeckt. Wenn es aber nichts mehr zu verteilen gibt, fällt der SPD zur Kultur nichts mehr ein. Im sozialdemokratisch vernetzten Ruhrgebiet fiel Ende der siebziger Jahre, von Kommunalpolitikern am Beispiel einer einzusparenden Oper in Dortmund oder eines Theaters in Duisburg ausgesprochen, zum ersten Mal das Wort von der "Akzeptanz", und das meinte: Es gibt eigentlich keine Kultur mit der SPD.

Die Reste einer Milieupartei werden im Moment vom Bundeskanzler ausgemerzt. Die SPD ist schon lange keine Arbeitervertretung mehr, sondern eine Partei des öffentlichen Dienstes: Finanzbeamte, Krankenkassenfunktionäre prägen das Bild. Die hat die SPD am liebsten. Kein Wunder, dass die SPD in Berlin der Posten des Kultursenators immer am wenigsten interessiert hat - das Amt, in dem es am ehesten um so etwas wie Sinnstiftung gehen könnte. Die SPD kann verwalten. Aber sie kann nicht Sinn stiften. Und in Westberlin war sie immer die Partei der Schrebergarten-Betonfraktion. Sie unterschied sich von der CDU seit Jahrzehnten einzig dadurch, dass sie nicht mehr die Macht hatte. Die SPD regierte nur mit.

Es gibt einen magischen Moment in der Geschichte. Einen Moment, in dem die SPD große Kunst war und für das Uneingelöste stand, für das Große, Allumfassende. Es war ein grauer, diesiger Apriltag im Jahre 1972. Der Schulbus befand sich gerade zwischen Neubronn und Niederrimbach, draußen brüteten die Kartoffeläcker vor sich hin. Der Fahrer befand sich immer im Kampf mit den sechzig halbwüchsigen Gymnasiasten, und deren brünstigen Lauten versuchte er mit der Hausfrauensendung des Süddeutschen Rundfunks zu begegnen, die "Gut aufgelegt" hieß oder "Mit Musik geht alles besser". An diesem Tag jedoch war alles anders. Der Busfahrer hatte eine Direktübertragung aus dem Bundestag eingeschaltet, vom "konstruktiven Misstrauensvotum" der CDU gegen den Bundeskanzler Willy Brandt, und als der Parlamentspräsident verkündete, dass dieses Misstrauensvotum gescheitert sei, brach ein ohrenbetäubender Jubel los, zwischen Neubronn und Niederrimbach, den ich nie mehr vergessen werde. Wir wussten von nichts. Aber wir wussten ganz genau, was richtig war und was falsch.

Jetzt steht die Berliner SPD plötzlich da. Man weiß nicht genau, wie sie dahin gekommen ist. Eigentlich wollte sie gar nicht weiter auffallen. Man weiß nichts von der SPD, und auch die SPD weiß eigentlich nichts. Es ist so, wie wenn man einen blassen Schalterbeamten plötzlich mit allen Scheinwerfern ausleuchtet und die Blässe ins Flirren gerät. "Wir wollen mehr Demokratie wagen", hieß ein Satz Willy Brandts, der, brüchig und pathetisch-bescheiden hervorgebracht, zu einer Losung wurde, die mehr umfasste als bloß Politik. Sie stand für ein Lebensgefühl, sie stand für den Aufbruch. Liegt in der Berliner SPD heute etwas Ähnliches verborgen? Ein Codewort, eine Kulthandlung, eine Vision? Ein kleiner Ansatz ist bereits zu erkennen. Das, was die Berliner SPD im Moment hat, das, was ein bisschen den Beton aufbricht - und es ist im Grunde bisher das Einzige - das ist der Satz von Klaus Wowereit: "Ich bin schwul, und das ist gut so!" Das eindeutige, schlichte und große "und das ist gut so!" hat vielleicht das Zeug, zu einer Formel zu werden und die SPD aus ihrem Dämmer zu wecken. Es ist ein Brückenschlag. Wir horchen dem nach, und klingt das nicht schon ganz gut? "Wir wollen mehr Demokratie wagen. Und das ist gut so!"

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