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Peer Steinbrücks Mann für die Kultur: Oliver Scheytt im Willy-Brandt-Haus.

© Vincent Schlenner

SPD-Kulturpolitik: Oliver Scheytt: "Warum schließen Deutschlands Museen um 18 Uhr?"

Oliver Scheytt ist der Mann für die Kultur im Kompetenzteam von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Im Interview spricht er über Öffnungszeiten, das Urheberrecht, die Berliner Schloss-Baustelle - und die Kunst, als Bundeskulturpolitiker auch den finanzschwachen Kommunen zu helfen.

Oliver Scheytt, 1958 in Köln geboren, ist Mitglied im Kompetenzteam des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Scheytt studierte Klavier und Rechtswissenschaften, war bis 1993 Beauftragter für die Städte in den neuen Bundesländern und bis 2009 Kulturdezernent in Essen. Mit Fritz Pleitgen leitete er das Kulturhauptstadtprogramm "Ruhr 2010", seit 1997 ist er Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft. Er hatte und hat viele kulturpolitische Ehrenämter inne, lehrt Kulturpolitik in Hamburg, baut dort ein Qualifizierungsprogramm für Kultur-Führungskräfte auf und berät Kommunen in Kulturfragen. Zuletzt erschien von ihm „Kulturstaat Deutschland – für eine aktivierende Kulturpolitik“ (Transcript Verlag, 2008)

Herr Scheytt, Sie reisen gerade als Wahlkämpfer durchs Land, mit einem roten Stuhl, auf dem die Bürger ihre Wünsche an die Kulturpolitik äußern können. Welche Anliegen werden da vorgetragen?
Es sind Wünsche, die auch mir am Herzen liegen. Ein schnellerer Zugang zur kulturellen Bildung zum Beispiel, sie kann nicht früh genug beginnen. Mehr Mut zu schräger, eigensinniger, freier Kunst. Und die Aufstockung der Künstlersozialkasse: Sie hat 170.000 Mitglieder, aber die Abgabepflichtigen werden bis heute nicht kontrolliert, denn die schwarz-gelbe Koalition hat das erneut abgelehnt.

Sie haben schon in Ihrer Schulzeit Klavier an der Essener Folkwang-Hochschule studiert, entschieden sich dann aber für die Rechtswissenschaft. Weil Sie sich nicht begabt genug fanden?
Mein Vater war Kirchenmusiker und Dirigent, ich wusste, wie schwer eine Solo-Karriere ist.  Für einen Pianisten hätte es bei mir wohl nicht gereicht. Ich spielte auch Cello, sollte mich  ganz aufs Klavier konzentrieren, fühlte mich eingeschränkt. Rechtsphilosophie, Textarbeit, das hat mich intellektuell mehr herausgefordert.

Spielen Sie noch Klavier? Ihre Lieblingsstücke?
Mit 16 wollte ich gern einen Chopin-Walzer spielen, aber mein Klavierlehrer Hubert Juhre meinte, Chopin-Walzer könne man erst spielen, wenn man viele Caféhäuser genossen und Erfahrungen mit Frauen gemacht hätte. Heute spiele ich die sehr gerne. Ich mag außerdem Schubert-Impromptus, Bartók, Strawinsky, Arthur Honegger – und Unterhaltungsmusik.

Sie sind bei SPD-Parties der Mann am Klavier?
Oder einmal im Jahr im Lokal „Schwarze Rose“ in Essen, gemeinsam mit anderen. Auch mit dem Flamenco-Gitarristen Raffael Cortès, der am Samstag bei unserem „Worte für den Wechsel“-Finale auftritt, habe ich schon musiziert. Ich spiele selten öffentlich, es geht mir um den Spaß, nicht um die Show.  

Sie haben über Musikschulen promoviert, was haben Sie da untersucht?
Es ging um Musikschulrecht, eine Pionierarbeit. Die mündliche Doktorprüfung fand am 10. November 1989 statt. Den Mauerfall habe ich verpasst, denn ich büffelte nachts Latein fürs römische Recht. Gleich am 11. November war ich beim Deutschen Städtetag jedoch wieder mit Ost-West-Städtepartnerschaften betraut. Ich habe dann die erste Oberbürgermeister-Konferenz Ost am 13. Juni 1990 im Berliner Ernst-Reuter-Haus organisiert.  

Heute sagen Sie, auch der Westen braucht Infrastrukturmaßnahmen, nicht nur die neuen Bundesländer.
Wittenberg, Dessau, Leipzig, man kann nur stolz darauf sein, wie viel dort investiert wurde, während in Städten wie Oberhausen, Castrop-Rauxel oder Herne vieles verfällt. Gelder sollten nach Bedürftigkeit verteilt werden, nicht nach Himmelsrichtung. Im Ruhrgebiet mit seinen 5,3 Millionen Menschen fährt die Straßenbahn vielerorts nach 23 Uhr nur noch selten,  das ist für die Bühnen und Konzerthäuser ein Riesenproblem. Hier kämpferisch zu sein, auch das ist Aufgabe der Kulturpolitik.

"Berlin muss beispielhaft für Deutschland wirken"

Oliver Scheytt will mehr Zeitgenossenschaft, eine lebendige Kultur für eine moderne Gesellschaft - ohne das kulturelle Erbe zu vernachlässigen.
Oliver Scheytt will mehr Zeitgenossenschaft, eine lebendige Kultur für eine moderne Gesellschaft - ohne das kulturelle Erbe zu vernachlässigen.

© Vincent Schlenner

Sie kommen aus der Regionalpolitik, genau wie der amtierende Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Qualifiziert das für das Bundesamt?
Ziel jeder Kulturpolitik muss es sein, dass jeder Bürger vor Ort eine Bibliothek, eine  Musikschule, Theater und Museen vorfindet, nicht erst in 100 Kilometer Entfernung. Wir haben eine weltweit einmalig dichte, reichhaltige Bühnenlandschaft, dieser Schatz ist in Gefahr. Wegen der Finanzschwäche der Kommunen, aber auch wegen der mangelnden Sensibilität mancher Regionalpolitiker – und zwar aller Parteien.

Was kann der Bund ausrichten, wenn Theater geschlossen werden sollen? Der Kulturstaatsminister kann doch nur zum Hörer greifen, mahnen und warnen.
Als Feuerwehrmann mit der Löschspritze das Schlimmste zu verhindern, kann nicht Aufgabe des obersten Kulturpolitikers der Nation sein. Er sollte umgekehrt als Brandstifter tätig sein und die Debatte über die Relevanz und die unverzichtbaren gesellschaftlichen Wirkungen von Kunst und Kultur entfachen. Die SPD will dem Übel an die Wurzel gehen und die kommunale Finanzkraft stärken, durch Steuergesetze, eine höhere Besteuerung der Spitzenverdiener oder die Verdoppelung der Städtebauförderung. Das kommt unmittelbar der Kultur zugute, sie muss dann nicht mehr kaputt gespart werden, was vielerorts droht. Es gilt, Allianzen zu bilden, auch mit der Wirtschaft: Warum nicht eine bundesweite Kultur-und-Tourismus-Initiative? Berlin ist da Vorreiter, in anderen Regionen liegen Potentiale brach. Und schließlich sollte die Kulturlandschaft sich für die Zukunft wappnen.

Das heißt konkret?
Sie richtet sich zu wenig nach den Bedürfnissen der Menschen. Warum sind Bibliotheken sonntags zu? Warum werden Museen um 17 oder 18 Uhr geschlossen, wenn viele nach der Arbeit endlich Zeit haben? In Skandinavien ist das anders, wir müssen solche Maßnahmen mit der Kultusministerkonferenz und dem Deutschen Städtetag diskutieren. Von Bernd Neumann hat man dazu wenig gehört.

Sie würden auch von Michael Eissenhauer als Direktor der Staatlichen Museen Berlins andere Öffnungszeiten fordern?
Selbstverständlich ist das ein Thema auch in Berlin. Mit rund 400 Millionen Euro geht knapp ein Drittel des Bundeskulturetats nach Berlin, schon deshalb sollte die Stadt beispielhaft für Deutschland wirken. Hier findet gerade das Musikfest statt. Dass sich die renommiertesten Orchester hier die Klinke in die Hand geben, ist doch fantastisch!

Die Länder und Kommunen mit ihrer Kulturhoheit verfügen über 85 Prozent der gesamten deutschen Kulturausgaben, der Bund mit seinen 1,28 Milliarden Euro  nur über 15 Prozent. Trotzdem wollen Sie – anders als die CDU – das sogenannte  Kooperationsverbot aufheben, damit der Bund vor Ort direkt Kultur finanzieren kann. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Die Bundeskulturpolitik hat drei große Felder: die Kunstförderung, die Gedenkkultur und die kulturelle Bildung. Das Kooperationsverbot gilt nur bei der Bildung, mit Ausnahmen wie der Exzellenförderung an den Hochschulen. Das möchte die SPD im Grundgesetz ändern, damit nicht wie zuletzt bei den 230 Millionen Euro für kulturelle Bildung der Umweg über die Bundesverbände genommen werden muss, über den Bühnenverein oder den Musikschulverband. Die Verwaltung dieses Programms liegt bei der Deutschen Agentur für Luft- und Raumfahrt, das ist doch absurd! Außerdem dürfen nur neue Projekte oder Kooperationen finanziert werden, nicht Maßnahmen für den Bestand. So wird eine Kulturförderung organisiert, die an der Praxis vorbeigeht.

Grundgesetzänderungen brauchen eine Zweidrittelmehrheit, am Kooperationsverbot haben sich schon einige die Zähne ausgebissen. Bildungsministerin Wanka, die für die Hochschulförderung die Aufhebung wollte, ist im Bundesrat an Rot-Grün gescheitert. Blockiert die SPD sich selbst?
Nein, uns ging Wankas Vorstoß nicht weit genug, wir wollen die Aufhebung des Verbots  auch für Schulen. Erst dann könnten die von Peer Steinbrück im SPD-Investitionssprogramm vorgesehenen 8 Milliarden Euro für Ganztagsschulen und Kindertagesstätten auch für die Schaffung neuer Räume für kulturelle Bildung genutzt werden. Die Finanzmittel sollen unmittelbar da ankommen, wo der Schuh drückt, und nicht in Projektfeuerwerke verpulvert werden.

Sie wollen die  Zeitgenossenschaft der Kultur stärken. Findet die nicht längst statt, auch in der repräsentativen Kultur, wenn etwa in Bayreuth Regisseure wie Schlingensief, Castorf oder Jonathan Meese inszenieren?
Die Pflege des Erbes macht prozentual im Etat des Kulturstaatsministers einen hohen Anteil aus. Wo ist da Zeitgenossenschaft? Bei der Bundeskulturstiftung mit 40 Millionen Euro, den Berliner Festspielen mit 32 Millionen Euro, der Filmförderung mit 100 Millionen Euro – aber 80 Prozent des Etats kommen dem kulturellen Erben zugute.

Wollen Sie umschichten? Bayreuth etwas wegnehmen?
Wir wollen niemandem etwas wegnehmen, sondern fortsetzen, was fälschlicherweise auf Eis gelegt wurde, den Tanzplan oder das Netzwerk Neue Musik. Wir brauchen dringend einen Fond für interkulturelle Kulturarbeit. Hip-Hop, Street Art, all das wird viel zu wenig als Bestandteil unserer Kunst angesehen.

Was das Interkulturelle betrifft, ist vieles doch längst selbstverständlich. Fatih Akins Filme laufen für Deutschland in Cannes, Shermin Langhoff leitet jetzt das Gorki Theater.
Es gibt gute Beispiele, aber alltäglich ist es nicht. Wir brauchen zusätzliche Initiativen.

"Auch auf den Datenautobahnen opfern wir unsere kulturelle Vielfalt - ohne Not!"

Deutschlands größte Kulturbaustelle. Ein Modell des Neubaus des Berliner Schlosses in der Humboldt-Box. Das Infozentrum hat in gut zwei Jahren eine halbe Million Besucher angezogen.
Deutschlands größte Kulturbaustelle. Ein Modell des Neubaus des Berliner Schlosses in der Humboldt-Box. Das Infozentrum hat in gut zwei Jahren eine halbe Million Besucher angezogen.

© Maurizio Gambarini/dpa

Also zusätzliches Geld.

Als Kulturdezernent in Essen konnte ich meinen Etat immer erhöhen. Da ich - etwa durch meine 16-jährige Arbeit bei der Kulturpolitischen Gesellschaft - ebenso gut vernetzt bin wie Bernd Neumann, sollte es mir nicht allzu schwer fallen, im Bundestag Gelder für die Kultur locker zu machen. Zumal Peer Steinbrück der Kultur eine hohe Bedeutung zumisst.

Stichwort Urheberrecht, alle wollen es reformieren. In welche Richtung geht es bei der SPD?

Unsere Devise lautet „Vergüten statt verbieten“. Wer Musik, Literatur oder Filme downloadet, muss ein Bewusstsein für den Wert dieser geistigen Werke entwickeln.  Mikropayment-Systeme und andere Bezahlmodelle sollten entwickelt werden. Vor allem geht es um Mentalitätswandel, um die Eindämmung des „mentalen Kapitalismus“. Ideen werden abgeschöpft und wir zahlen dafür, dass sie uns von Amazon, Google oder Facebook mundgerecht wieder verkauft werden. Google bietet den Museen an, ihre Bilder für die Digitale Europäische Bibliothek zu digitalisieren, damit wächst auch der Google-Bildspeicher. Das Abschöpfen führt dazu, dass auch auf den Datenautobahnen das Recht des Stärkeren gilt und wir unsere kulturelle Vielfalt opfern, ohne Not. Auch deshalb muss die Kultur vom Freihandelsabkommen ausgenommen bleiben. Bernd Neumann fordert das zwar ebenfalls, aber seine Partei sieht das leider anders.  

Und wie halten Sie es mit den analogen Baustellen? Das Schloss mit dem Humboldtforum wird bestimmt teurer als die veranschlagten 590 Millionen Euro. Der nächste Kulturstaatsminister darf die Gelder dafür auftreiben.
Das wird ein Riesenthema, keine Frage, das Schloss ist neben der Hamburger Elbphilharmonie die größte deutsche Kulturbaustelle. Wussten Sie, dass Hochtief nicht nur die Elbphilharmonie baut, sondern auch den Auftrag für den Schloss-Rohbau hat? Wir müssen in Deutschland reflektierter mit unseren Kulturimmobilien umgehen und die inhaltlichen Fragen der Ausgestaltung des Humboldtforums vom Projektmanagement abkoppeln. Mit Baustellenmanagement habe ich Übung, in Essen ist es uns gelungen, das Folkwang-Museum, die Philharmonie und das Ruhrmuseum im Zeit- und im Kostenrahmen zum Kulturhauptstadtjahr 2010 fertigzustellen.

Die öffentliche Begeisterung für das Schloss hält sich zur Zeit in Grenzen, erst recht für die außereuropäischen Sammlungen, die es beherbergen soll.
Raumprogramme müssen frühzeitig erarbeitet werden, da ist einiges versäumt worden. Das Schloss-Äußere soll eine historische Identität vermitteln, innen findet etwas anderes statt. Was soll in der Agora geschehen? Wie passen die Weltkulturen hierher? Warum ist die Idee, die Alten Meister hier unterzubringen, nie ernsthaft erörtert worden? Funktioniert der ästhetische Bruch zwischen Innen und Außen, wie wir ihn beim industriekulturellen Erbe schätzen, auch bei einem Schloss? Diese komplexe Problemlage braucht Zeit, wir müssen frei und intensiv über Lösungen nachdenken können.

Gilt das Gleiche für die Neuordnung der Berliner Museumslandschaft mit dem nun vorgeschlagenen Neubau für die Moderne hinter der Neuen Nationalgalerie?
Hier entstehen Jahrhundertprojekte, die über  Generationen Gültigkeit haben. Als David Chipperfield uns in Essen seinen Entwurf für das Folkwang-Museum zeigte, sagte er: Als Architekt muss man sich vorsehen in einer Stadt, in der ein Gebäude aus den Achtzigerjahren – das Ruhrlandmuseum – schon wieder abgerissen wird. Das gilt erst recht in Berlin, auch hier sollten wir Tempo rausnehmen.   

Sollten Sie Kulturstaatsminister werden, was gehen Sie als erstes an?
Ein Gesamtkonzept für die deutschen Weltkulturerbestätten! Mir liegt das  Zeitgenössische am Herzen,  aber es basiert auf dem Erbe. Übrigens in ganz Europa. Unser Leitbild sollte sein, dass wir nicht ein deutsches Europa anstreben, sondern ein europäisches Deutschland. 

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

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