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SPIEL Sachen: Baby Doll von nebenan

Den „wohl dreckigsten aus Amerika stammenden Kinofilm, der jemals legal aufgeführt wurde“, nannte das „Time Magazine“ 1956 den Streifen „Baby Doll“, für den der Dramatiker Tennessee Williams das Drehbuch geschrieben hatte. Die „New York Times“ lobte vor allem Elia Kazans „hervorragende Regie“ und freute sich über zahlreiche „klinisch interessante“ Fälle.

Den „wohl dreckigsten aus Amerika stammenden Kinofilm, der jemals legal aufgeführt wurde“, nannte das „Time Magazine“ 1956 den Streifen „Baby Doll“, für den der Dramatiker Tennessee Williams das Drehbuch geschrieben hatte. Die „New York Times“ lobte vor allem Elia Kazans „hervorragende Regie“ und freute sich über zahlreiche „klinisch interessante“ Fälle. Als da wären: der Baumwollfarmer und Alkoholiker Archie Lee sowie seine schrullige Tante Rose Comfort, die ein sehr spezielles Hobby pflegt. Sie besucht todkranke Freunde im Krankenhaus, um deren Schokoladenvorräte aufzuessen, während sie im Sterben liegen.

Am wichtigsten aber ist die 19-jährige Protagonistin Baby Doll, die die Schule nach der vierten Klasse verließ und mit Archie Lee zwar verheiratet ist, aber noch keinen Sex hatte. Archie musste dem Vater der Braut versprechen, damit bis zu deren 20. Geburtstag zu warten. Als es so weit ist, hat er andere Probleme. Er steht vorm Bankrott und gibt dem zugewanderten Sizilianer Silva Vacarro die Schuld, der nebenan ein erfolgreiches Baumwollsyndikat aufgezogen hat. Archie steckt das Unternehmen seines Konkurrenten in Brand – und der rächt sich mit der Verführung von Baby Doll.

Uwe Moritz Eichler und Nicola Ahr fragen nun unter dem Motto „Baby Doll – Begehre nicht des Anderen Weib!!!“ im Ballhaus Ost (2. & 5. Dezember, 20 Uhr) nach „unserem heutigen Verständnis von Unschuld und Unberührtheit“. Die Modernität des Dramatikers Williams, der mit „Baby Doll“ sein einziges erfolgreiches Filmdrehbuch ablieferte, wird dieser Tage gleich mehrfach bewiesen: Isabelle Huppert spielte im Haus der Berliner Festspiele auf Basis von „Endstation Sehnsucht“ gerade eine umwerfende Blanche DuBois des 21. Jahrhunderts.

Und bei Milan Peschel am Maxim Gorki Theater (21. Dezember, 19.30 Uhr) sieht „Die Glasmenagerie“ aus wie eine Prekariatskomödie aus der direkten Nachbarschaft. Und das muss man erst mal schaffen. Schließlich sind so antiquierte Aufforderungen wie die einer aufstiegsorientierten Mutter an ihre Tochter, sich stets „frisch und appetitlich“ für potenziellen „Herrenbesuch“ zu halten, heutzutage nicht mehr ganz leicht vermittelbar. Gut möglich, dass da selbst Bertolt Brecht, der „Die Glasmenagerie“ in der Broadway-Inszenierung von 1945 sah und „völlig idiotisch“ fand, sein Urteil revidieren würde.

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