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Kultur: Spielen & Träumen

Am 6. Mai feiert alle Welt den 150. Geburtstag von Sigmund Freud. Bis dahin lesen wir täglich vom Pionier der Psychoanalyse

Der Heranwachsende hört also auf zu spielen, er verzichtet scheinbar auf den Lustgewinn, den er aus dem Spiele bezog. Aber wer das Seelenleben des Menschen kennt, der weiß, daß ihm kaum etwas anderes so schwer wird, wie der Verzicht auf einmal gekannte Lust. Eigentlich können wir auf nichts verzichten, wir vertauschen nur das eine mit dem anderen; was ein Verzicht zu sein scheint, ist in Wirklichkeit eine Ersatz- oder Surrogatbildung. So gibt auch der Heranwachsende, wenn er aufhört zu spielen, nichts anderes auf, als die Anlehnung an reale Objekte; anstatt zu spielen, phantasiert er jetzt. Er baut sich Luftschlösser (...). Der Erwachsene aber schämt sich seiner Phantasien und versteckt sie vor anderen, er hegt sie als seine eigensten Intimitäten, er würde in der Regel lieber seine Vergehungen eingestehen, als seine Phantasien mitteilen. Es mag vorkommen, daß er sich darum für den einzigen hält, der solche Phantasien bildet, und von der allgemeinen Verbreitung ganz ähnlicher Schöpfungen bei anderen nichts ahnt.

Aus: Der Dichter und das Phantasieren. 1907/1908. Gesammelte Werke in achtzehn Bänden. Band VII. Hg. von Anna Freud, Edward Bihring, Willi Hoffer, Ernst Kris und Otto Isakower, unter Mitwirkung von Marie Bonaparte. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main, 1992

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