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SPIEL Sachen: Auf der Suche nach des Pudels Kern

Konjunktur hat „Faust“, der dramatische Klassiker schlechthin, natürlich immer. Aber jetzt, kurz vor Ostern, ist der exemplarische Gelehrte besonders en vogue.

Konjunktur hat „Faust“, der dramatische Klassiker schlechthin, natürlich immer. Aber jetzt, kurz vor Ostern, ist der exemplarische Gelehrte besonders en vogue. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“: Vielleicht hat der „Osterspaziergang“ – eingedenk der gegenwärtigen Wetterlage – ja sogar prophetische Kraft.

Dafür steht allerdings auch jeder, der „Faust“ neu inszeniert, vor einer gewaltigen Herausforderung. Zumindest, wenn er nicht frei von Innovationsehrgeiz ist. Denn im Prinzip war „Faust“ auf der Bühne schon alles: Der Zeitgenosse mit dem Laptop unterm Arm, der sich bei der Osterspaziergangsdeklamation von übergewichtigen Nordic Walkern stören lassen musste; der Tattergreis, der sich quasi auf dem Sterbebett in senilen Erinnerungen an seine beste Erfindung – das postdramatische Theater – sonnt oder schlichtweg der weltenkonsumierende „Top Dog“ par excellence.

Letztere Deutung deckt sich mit dem Befund des Germanisten und Philosophen Michael Jaeger, der vor sechs Jahren einen interessanten Essay zur Aktualität Goethes veröffentlicht hat: „Global Player Faust“. Jaeger befürwortet darin nicht nur ausdrücklich die Kratzer, die Wissenschaft und Theater dem kanonisierten Bild vom schöpferischen Erkenntnisstreber in jüngster Zeit verpasst haben, sondern kanzelt „den vermeintlichen Heroen“ sogar unmissverständlich als „veritable Unglücksfigur“ ab, in der sich Goethes Unbehagen an der Moderne flächendeckend Bahn breche. Schließlich lässt Goethe dem anfänglichen Renaissance-Gelehrten ja eine weltweite Unternehmerkarriere angedeihen, die Müßiggang unter Todesstrafe stellt und Faust gleichsam als Senior-Manager in seinen letzten Erdentagen zum versuchsweisen Architekten einer schönen neuen Welt – zum frühen „Global Player“ eben – hochspült. Im globalisierungstechnischen Status quo (und der globalen Krise), wo sich die Geschichte der Moderne gleichsam schließe und ihre von Goethe zu Papier gebrachten krisenhaften Ursprünge wieder sichtbar würden, sei „Faust“ – meint Jaeger – praktisch das Drama der Stunde.

Das scheint das „Helmi“ im Ballhaus Ost (16./17.3., 20 Uhr) ganz ähnlich zu sehen. Auch hier ist Doktor Heinrich Faust weltweit vernetzt – und schwer (sinn-)krisenanfällig: Die Grundsatzgrübelei ereilt ihn ausgerechnet, als er auf einer großen „Mikrochip- und Philosophenmesse“ in Brasilien weilt. „Faust“ in der Version der dem höheren Trash nicht abgeneigten Helmi-Puppenspieler beschert uns ferner einen „brasilianischen Straßenteufel“ und Gretchen „als rührendes Hippie-Mädchen im Knast“.

Einen anderen Schwerpunkt setzt dagegen die Vaganten-Bühne in ihrem von elektronischer Musik untermalten Projekt „Faust-Rausch“ (15.3., 20 Uhr). In dieser „Tour de Force“ auf Grundlage einer Hörspielproduktion von Felix Isenbügel steht neben Fausts Konsum mehr oder weniger legaler Drogen (Verjüngungstherapie, walpurgisnächtliche Exzesse) die „Suche nach Sinn und Sinnlichkeit“ schlechthin auf der Agenda. Offenbar gibt es auch beim kanonischen Edelgelehrten ein Dasein jenseits der Krise.

Christiane Wahl

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