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SPIEL Sachen: Generation Beißschiene

„Der Wahnsinn ist, dass der Wahnsinn für alle schon Normalität ist.“ Diesen weithin identifikationstauglichen Satz spricht der Bildhauer Peter in Felicia Zellers Stück X Freunde.

„Der Wahnsinn ist, dass der Wahnsinn für alle schon Normalität ist.“ Diesen weithin identifikationstauglichen Satz spricht der Bildhauer Peter in Felicia Zellers Stück X Freunde. Der Dramentitel ist gleichzeitig der Name jener Skulpturengruppe, an deren Fertigstellung Peter gerade hartnäckig scheitert – weswegen er mit seinem Kumpel Holger Arbeit simulierend die Zeit totschlägt. Holger geht es anders schlecht: Als arbeitsloser Koch muss er für sich zumindest ständig die Illusion aufrechterhalten, irgend etwas zu tun zu haben. Und sei es, auf seine Partnerin zu warten. Anne, die Managerin, hat gerade eine eigene Firma gegründet und hängt ständig an Mailprogramm, Smartphone, Terminkalender und Geschäftsverbindungen fest, statt ihre private Beziehung zu pflegen. Um es auf den tragikomischen Punkt zu bringen: Früher zog die Freundesclique als „Cappuccino- Trio“ durch die Läden, heute ist sie – wie Zeller in ihrem begnadeten Wortwitz schreibt – vollends in der „Generation Beißschiene“ angekommen.

Ursprünglich entstand das Selbstverwirklichungsdrama „X Freunde“ als Auftragsarbeit für das Schauspiel Frankfurt, wo es Bettina Bruinier letzten Herbst urinszenierte. Doch auch den Regisseur Stephan Thiel haben Zellers „beißender Humor“, ihre „extrem verdichtete Sprache“ und nicht zuletzt die „hochaktuelle“, dabei aber weinerlichkeitsfreie „Darstellung moderner Arbeitswelten“ inspiriert. Er bringt den Abend jetzt am Theater unterm Dach heraus (5./6.4. und 11./12.4., 20 Uhr).

„Der Wahnsinn ist, dass der Wahnsinn für alle schon Normalität ist“ – die Frage, ob dieser Satz, der zweifellos auf so viele Bereiche des Arbeits- und Gesellschaftslebens zutrifft, auch für das aktuelle Theater gilt, ist allerdings durchaus umstritten. Zumindest, wenn man den „Wahnsinn“ – was der Duden ja durchaus zulässt – nicht ausschließlich negativ fasst, sondern auch mit positiven Konnotationen wie Aberwitz, Absurdität, Extravaganz und Chaos verbindet. Im Moment wirkt die Bühnenkunst ja eher straight durcherzählt und tendenziell wirkungsökonomisch – von raren Ausnahmen einmal abgesehen.

Im Kinder- und Jugendtheater an der Parkaue kommt mit Mike Kennys preisgekröntem Stück Nachtgeknister (6.4., 19 Uhr, 7.4., 16 Uhr, 8.4., 9.30 Uhr) jetzt eine Produktion heraus, die sich gegen den Chaosverlust wehrt – und zwar schon qua Inhalt. Es geht nämlich programmatisch um Tagträume und Fantasiegestalten: Jeden Abend erzählt eine Mutter ihrer achtjährigen Tochter, Marie, und deren kleinem Bruder eine Gutenachtgeschichte, bevor sie zur Arbeit ins Restaurant geht. Marie macht dieses abendliche Ritual bald zu einer ganz eigenen Leidenschaft und spinnt die Fäden eigeninitiativ weiter. Sie lässt gleichermaßen Personal aus der Realität wie aus ihren Tagträumen ins Kinderzimmer, dirigiert die Schatten an der Wand und verliert sich zusehends zwischen Wirklichkeit und Fantasie.

Ob das eine produktive oder doch nur eine bedrohliche Angelegenheit ist, erfahren Nachwuchszuschauer ab sieben in Laura Kallenbachs Inszenierung.

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