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Kultur: Spielt nicht so romantisch

Beethoven ist witzig und provokativ: Ein Gespräch mit dem Pianisten Andras Schiff

Herr Schiff, Sie haben lange einen großen Bogen um die BeethovenSonaten gemacht. Jetzt führen sie den gesamten Zyklus nicht nur auf, sondern veröffentlichen das Ergebnis sogar auf CD. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?

Für einen Pianisten ist der Zugang zu Beethoven viel schwieriger als der zu Bach, Mozart oder Schubert: Ein Bach-, Mozart- oder Schubert-Spieler ist man gewissermaßen von Geburt an – Beethoven dagegen muss man lernen. Die 32 Sonaten waren für mich immer wie ein Anzug, in den ich noch hineinwachsen musste.

Sie haben früher eine Aufnahme des Zyklus’ auch mit der Begründung abgelehnt, nicht mit der legendären Einspielung Artur Schnabels konkurrieren zu wollen ...

Sicher, das war bei mir ein wesentlicher Punkt: Angesichts einer durch Pianisten wie Schnabel, Kempff und Arrau geprägten Beethoven-Tradition fällt es natürlich schwerer, sich eine eigene Sichtweise zu erarbeiten. Man kann dieses Erbe nicht einfach ignorieren, um jeden Preis etwas anderes, Originelles machen zu wollen, wäre aber genauso töricht.

Gibt es denn überhaupt noch Platz für eine neue Beethoven-Sicht?

Natürlich, je mehr ich mich mit den Sonaten beschäftigt habe, desto mehr habe ich festgestellt, dass vieles von der Tradition zwar wunderbar, vieles aber auch Schlamperei ist. Nehmen Sie ein ganz berühmtes Beispiel: Vor dem ersten Satz der „Mondschein-Sonate“ hat Beethoven ganz deutlich senza sordino geschrieben, ein klarer Hinweis, dass man auf dem modernen Klavier nur sehr wenig Pedal einsetzen sollte. Aber wie oft ertrinkt dieser Satz in bleierner Sentimentalität, weil da irgendwelche Ideen einer verqueren Romantik durch die Köpfe spuken, die nichts mit Beethoven zu tun haben. Dabei ist das eigentlich ein ganz revolutionäres Stück: Edwin Fischer hat aufgrund einer von ihm aufgefundenen Beethoven- Skizze gezeigt, dass die Todesszene des Komturs aus Mozarts „Don Giovanni“ das direkte Vorbild gewesen ist.

Haben Sie in den Sonaten Wesenszüge entdeckt, die den ganzen Zyklus prägen?

Anders als bei Mozart gibt es kein einziges Werk, dass auch nur ein bisschen schwach ist. Selbst die beiden kleinen Sonatinen op. 49, die ich bei meinem Berliner Konzert spiele, haben einen ganz eigenen Charakter. Das Zweite ist Beethovens Drang, von Stück zu Stück immer ökonomischer zu formulieren: Der frühe Beethoven redet sozusagen noch sehr viel. Das wird dann immer knapper.

Hatte Beethoven eigentlich Humor?

Und wie! Ich habe die Äußerung von Claudio Arrau, in Beethovens Musik gebe es keinen Humor, nie verstanden. Bei Schubert ist das etwas anderes: Der kennt zwar Geselligkeit, aber keinen Humor – und Glück nur im Diesseits. Beethoven kämpft zwar oft mit dem Unmöglichen, bleibt aber immer lebensbejahend, und Lebensbejahung ist ohne Humor nicht vorstellbar. Nehmen Sie Opus 31,1: Im ersten Satz haben Sie den Effekt, dass beide Hände scheinbar nicht zusammenkommen können, dann ist der zweite Satz eine richtig giftige Parodie auf die italienische Oper. Beethoven hat in puncto Humor viel von Haydn gelernt – dem größten Humoristen der Musik.

Damals wussten die Menschen noch, worauf sich dieser Humor bezog ...

Alfred Brendel würde jetzt sagen, dass man deshalb vor dem Spiegel eine besondere Gestik einstudieren müsse. Ich bin da anders. Ich finde es furchtbar, mit erhobenem Zeigefinger zu spielen. Feiner Humor gewinnt dadurch nicht. Ich spiele lieber im Vertrauen darauf, dass im Publikum noch genug Kenner sitzen, die verstehen, was ich meine.

Sind Sie durch die historische Aufführungspraxis beeinflusst worden?

Das war wie ein frischer Wind, der durch das Gebäude der Beethoven-Interpretation wehte. Die durch Interpreten wie Wilhelm Backhaus dominierte Tradition hatte viele Ecken und Kanten der Musik abgeschliffen: Kurze, trockene Töne, wie sie beispielsweise für den Humor so wichtig sind, waren nicht erlaubt. Die Beschäftigung mit den historischen Hammerklavieren hat viel dazu beigetragen, den provokativen Charakter Beethovens wieder hervorzukehren. Ich selber habe in den Siebzigern sogar eine Aufnahme auf Beethovens letztem Flügel gemacht, der im Budapester Nationalmuseum steht.

Hat die Auseinandersetzung mit Beethoven Sie verändert?

Ja, sicher. Ich musste mir manches sehr hart erarbeiten: Um den heroischeren, kernigen Ton des fünften Klavierkonzerts zu bekommen, musste ich zum Beispiel kämpfen wie ein Löwe. Aber ich merke, ich spiele jetzt auch Mozart oder Schubert anders als vorher. Das hat jetzt bei mir mehr Biss. Durch Beethoven habe ich mehr Selbstvertrauen bekommen. Und weniger Angst.

Das Gespräch führte Jörg Königsdorf.

Andras Schiff spielt heute Abend, 20 Uhr, in der Akademie der Künste (Hanseatenweg 10, Tiergarten), ein Benefizkonzert zugunsten des Fördervereins der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.

Andras Schiff wurde vor allem mit Bach und Mozart berühmt. Aufsehen erregten außerdem seine Schubert-Interpretationen, die der 53-jährige

Ungar auch bei den Berliner Festwochen präsentierte.

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