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Tanz: "Spielzeit Europa": Frauen auf Hetzjagd

Sasha Waltz eröffnet die "Spielzeit Europa". In der Produktion "Continu" greift sie Elemente ihrer beiden Museumsprojekte auf, mit denen sie letztes Jahr Furore machte.

Von Sandra Luzina

Dem Aufruhr der Körper stellt Sasha Waltz die Stille voran. Der Tänzer Xuan Shi ist ein Bündel Mensch, soeben in die Existenz gestürzt. Sein Tanz befindet sich in einem embryonalen Stadium, und es scheint, als wolle Sasha Waltz erst dem Geheimnis des Lebens nachspüren, um danach gewaltige Triebkräfte zu entfesseln. Denn anschließend tobt eine aufgepeitschte Menge über die Bühne des Festspielhauses.

Mit ihrer großformatigen Produktion „Continu“ eröffnet Sasha Waltz die „Spielzeit Europa“. In der Arbeit greift sie Elemente ihrer beiden Museumsprojekte auf, mit denen sie letztes Jahr Furore machte. Die Uraufführung von „Continu“ fand im Juni in Zürich statt. Die Deutschlandpremiere im angenehm renovierten Haus der Berliner Festspiele beginnt mit einem weißen Teil, an den sich ein schwarzer Block anschließt: kreative Energien und destruktive Impulse, aus diesem Antagonismus entsteht die Choreografie. Doch der Abend mündet nicht in Tod und Zerstörung, sondern in einer Exekutionsszene mit flüchtendem Schergen. Wie hier unvermittelt noch ein politisches Statement hinterhergeschickt wird, ist ärgerlich.

Im ersten Teil, in dem Sasha Waltz abstrakt bleibt, sind meisterhafte Szenen zu erleben. Wunderbare Duette und Trios. Die Gruppe in ihren weißen und erdfarbenen Gewändern hat nichts Bedrohliches, der Einzelne ist eingebunden in eine organische Bewegung, ein Fließen, Entfalten und Emporwachsen.

Ganz auf die Dynamik der Gruppe konzentriert sich Sasha Waltz in der zweiten Hälfte. Für die 25 Tänzer auf der schwarz-metallischen Bühne gibt es kein Entrinnen, sie sind einander ausgeliefert. Angestachelt von Edgar Varèses Orchesterwerk „Arcana“ mit seinem riesigen Schlagwerk tanzen sich die schwarzen Gestalten in Raserei. Die Männer werden eingekreist von den unbändigen Frauen, ein unstillbares Begehren treibt sie an. Die Hetzjagden und wütenden Vereinigungen der Männer und Frauen erinnern an Strawinskys „Sacre du Printemps“ und auch an Waltz’ eigenes Werk „Jagden und Formen“. Das entfesselte Treiben lässt den Zuschauer atemlos zurück, doch es ist ein wenig befremdlich, wie hier die chorischen Tänze des deutschen Expressionismus eine Wiedergeburt erleben

Neben Waltz wartet die „Spielzeit Europa“ dieses Jahr mit weiteren große Namen auf. Freuen darf man sich auf Isabelle Huppert, die die Blanche in Krysztof Warlikowskis Inszenierung „Un Tramway“ spielt. Die neue Arbeit von Angelin Preljocajs entstand in Zusammenarbeit mit dem Bolschoi-Theater. Und Sidi Larbi Cherkaoui kommt mit seiner gefeierten Produktion „Babel“.

„Continu“, Haus der Berliner Festspiele: noch einmal Sonntag 14. 11., 20 Uhr. Programm der „Spielzeit Europa“ unter: www.berlinerfestspiele.de

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