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Kultur: Spionageverdacht: "Ich habe Angela Merkel nicht verraten"

"Ich habe damit rechnen müssen", sagt Michael Schindhelm. Doch bis gestern hatte kaum jemand sonst damit gerechnet, dass der 40-jährige Chef des Basler Theater- und Opernhauses eine 260-seitige Stasi-Akte besitzt.

"Ich habe damit rechnen müssen", sagt Michael Schindhelm. Doch bis gestern hatte kaum jemand sonst damit gerechnet, dass der 40-jährige Chef des Basler Theater- und Opernhauses eine 260-seitige Stasi-Akte besitzt. Darin wird der gebürtige Eisenacher, der vor zwei Jahren unter anderem für die Nachfolge von Thomas Langhoff am Deutschen Theater Berlin im Gespräch war, als Informeller Mitarbeiter geführt. Schindhelm legt im Gespräch allerdings Wert auf Differenzierung: "Es ist eine Mischung aus Opfer- und Täterakte. Darin finden sich auch zahlreiche Spitzelberichte über mich." Er selbst sei mit einem Trick erpresst und zu den Stasi-Kontakten genötigt worden. Und: "Ich bin es selbst, der die Sache publik macht."

Der Fall ist freilich vertrackter, als ihn Schindhelm in der gestern erschienenen "Zeit" und zugleich in der "Basler Zeitung" zum Besten im Schlechten gibt. Der heutige Theaterdirektor hatte als Kind der DDR weit weg im sowjetischen Woronesch studiert, fünf Jahre lang, um dann als diplomierter Quantenchemiker in einem Institut in Berlin-Adlershof eine Weile das triste Büro mit einer etwas älteren Kollegin namens Angela Merkel zu teilen. Schindhelm zum Tagesspiegel": "Ich habe kein Wort über Angela Merkel oder irgendeinen anderen Institutskollegen verraten." Er habe ohnehin niemandem geschadet und diejenigen seiner Freunde und Mitstudenten, über die er zu Beginn seiner Kontakte mit der Staatssicherheit Aussagen gemacht und dazu entsprechende Protokolle unterzeichnet hatte, darüber informiert. "Diese Leute wussten Bescheid und sind zum Teil bis heute meine Freunde".

Warum hat Schindhelm, der viele kluge Erinnerungen und Reflexionen zur Mentalitätsgeschichte der DDR und der wieder vereinigten Deutschen verfasst und zudem im letzten Jahr auch eine romanhaft angehauchte Autobiografie unter dem Titel "Roberts Reise" veröffentlicht hat (vgl. Tsp. vom 7. 3. 2000), warum hat er die Sache erst jetzt, wo eine Enthüllung drohte, ans Licht gebracht?

Den Anfang der Geschichte kann man auch in "Roberts Reise" finden, doch dort wird der Fall schnell abgebogen, zum Missverständnis und dann für erledigt erklärt. So aber könnte es gewesen sein: Eines Tages wird der damals 23-jährige Student in den Keller seines Wohnheims in Woronesch geführt, "von einem Offizier des KGB", und dort sitzen zwei Herren von der Stasi, die Schindhelm mitten in der Sowjetunion nebulös-drohend Kontakte zu einem westlichen Geheimdienst vorhalten - zumal er ja einige luderhafte Beziehungen zu Kommilitonen und Kommilitoninnen aus dem Westen pflege. Den jungen Schindhelm, offenbar schon länger observiert, überfällt die Angst. Und dem Spionage- oder auch nur Konspirationsverdacht glaubt er in der Situation nur durch begrenzte Kollaboration begegnen zu können. Später will er mit Hilfe einer österreichischen Freundin über Budapest in den Westen fliehen. Doch jedes weitere, erzwungene Gespräch mit der Staatssicherheit habe ihm gezeigt, dass er selbst bespitzelt worden sei und fast niemandem aus dem eigenen Bekanntenkreis mehr vorbehaltlos trauen konnte. Nach seiner Rückkehr in die DDR, wo ihn die Stasi weiter zu erpressen sucht und sich, so Schindhelm, vermutlich erhofft habe, den aufstrebenden Naturwissenschaftler als künftigen "Reisekader" selbst zur Auslandsspionage einzusetzen, da habe er die ihm einzig mögliche Konsequenz gezogen: Er verzichtet auf die Laufbahn als Wissenschaftler, geht 1996 fort von Berlin, wird Hausmann und Aushilfsübersetzer in einer Kleinstadt im Harz - bis die DDR verschwand. Und Schindhelms neue Karriere als Theaterintendant in Gera und in Nordhausen begann. Mit dem Salto vitale bald schon nach Basel, wo Schindhelm und seine Schauspieltruppe um Stefan Bachmann 1999 zum deutschsprachigen "Theater des Jahres" reüssierte.

Wie der Verwaltungsrat der Basler Bühnen bestätigt, hatte Schindhelm seine erzwungenen Stasi-Kontakte beim Einstellungsgespräch erwähnt und gesagt, dass er seit den 90er Jahren bei der Gauck-Behörde wiederholt nach einer Akte "nachgefragt" habe. Vor einigen Wochen hat sie sich endlich gefunden, erst diesen Montag sah er in Berlin den zweiten Teil der Unterlagen ein.

Und das öffentliche Schweigen? Wo in seinem Lebensroman immerhin so verstiegene Sätze wie dieser stehen: "Eumeniden zerren Erfahrungsmüll aus den Zwischenlagerstätten meiner Hirnrinde." Schindhelm ("Der Eros des Verrats ließ mich kalt") verweist wie einst Heiner Müller darauf, dass er ohne die Aktenbelege sofort am Pranger gestanden hätte, ohne rechtsstaatliche Unschuldsvermutung, publizistisch vorverurteilt. Demnächst erscheint von ihm wieder ein Buch, "Zauber des Westens" (Untertitel: "Eine Erfahrung"). Darin heißt es über ein Alter Ego: "Die kleine, miese, traurig-graue Ur-Heimat, das vergiftete Idyll seiner Jugend, war ohne sein Zutun untergegangen." Als große Woge sei "die neue Wirklichkeit" hereingebrochen. "Seine Landsleute und er waren trickreiche Trockenschwimmer, aber auf solche Wirklichkeitsfluten waren sie nicht vorbereitet." Brecht hat den hier zugrundeliegenden Konflikt zwischen Anpassung und Widerstand einmal einfacher ausgedrückt: Unglücklich das Land, das Helden braucht."

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