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Kultur: Spott ist alles, was ich habe

Meister des Widerspruchs: zum Tod des Literatur-Nobelpreisträgers Saul Bellow

Verglichen mit Toni Morrison, der letzten amerikanischen Literatur-Nobelpreisträgerin von 1993, ist Saul Bellow selbst in seiner Heimat nicht mehr wirklich populär. Mit der Qualität seines Werks hat das so wenig zu tun wie damit, dass seine Auszeichnung in Stockholm bald 30 Jahre zurückliegt. Es liegt vielmehr an der politischen Korrektheit der USA, die es verbietet, darüber zu streiten, ob Morrisons Rang in der Qualität ihres Schaffens begründet liegt oder in eben jenem Zeitgeist, der vom Autor politisch korrektes Schreiben verlangt. Saul Bellow hat über solche Fragen gern gestritten. Und politisch korrekt waren seine Bücher nie. Nicht erst seit „Ravelstein“ (2000), dem letzten großen Roman des großen alten Mannes der amerikanischen Literatur.

„Ravelstein“, ein Schlüsselroman, ist eine ruppige Hommage an Bellows verstorbenen Freund Allan Bloom, einen brillanten, eitlen, charismatischen und erzkonservativen Denker, der seine Erfüllung darin fand, über Amerikas Kulturverfall zu lamentieren. Mit „Der Niedergang des amerikanischen Geistes“ (The closing of the american mind), zu dem Bellow ein Vorwort schrieb, hatte Bloom 1988 einen Bestseller verfasst und war zum Lieblingsfeind der intellektuellen Linken an den Universitäten avanciert. Die kämpfte damals gerade dafür, den Kanon der Klassiker mit Dante, Shakespeare und Goethe durch ein multikulturelles Potpourri zu ersetzen.

Saul Bellow, der über 30 Jahre Literatur und Sozialwissenschaften an der Universität von Chicago lehrte, hat in der Schlacht, die in der Reagan-Ära um das kulturelle Erbe des Abendlandes entbrannte, mit seiner Verteidigung dezidiert westlicher Werte provokant Stellung bezogen. Auf den Skandal, den er auslöste, gab er keinen Pfifferling. „Wer ist denn der Tolstoi der Zulus, wer der Proust der Papuaner?“, fragte er.

Bereits seine Stockholmer Rede zum Literatur-Nobelpreis 1976 nutzte Bellow dazu, die Politisierung der Bildung an den amerikanischen Colleges seit den Sechzigerjahren zu beklagen. Kulturpolitik war für den einstigen Trotzkisten und Mitarbeiter der legendären „Partisan Review“ zum Widerspruch in sich geworden. Die Freiheit eines universellen Geistes vertrage sich nicht mit dem partikularen Geschäft der Politik, sagte Bellow. Seine eigene Loslösung von Marx und Lenin nannte er eine Befreiung aus den Fängen von Tyrannen.

Hinter Bellows Seitenhieben gegen die eggheads, die ihr Denken Antidiffamierungsgesetzen und Quotenregelungen unterwerfen wollten, stand die Sehnsucht nach einer Diskussionskultur, wie er sie in seiner Jugend im Schmelztiegel Chicago erlebte. Kein Mensch, so Bellow, sei dort auf die Idee gekommen, aus Rücksicht auf irgendwelche Randgruppen ein Blatt vor den Mund zu nehmen. „Niemand brauchte sich für seine Meinung zu entschuldigen, alles wurde öffentlich ausgesprochen. Für die Meinungsfreiheit ließen wir uns beleidigen“, erinnerte sich Bellow 1990.

Saul Bellow, am 10. Juli 1915 geboren, wuchs als Sohn russisch-jüdischer Emigranten im jüdischen Viertel von Montreal in Kanada auf. 1924 zog die Familie nach Chicago. Der Achtjährige sprach Jiddisch, Hebräisch, Französisch und Englisch. Das Anthropologie-Studium brach Bellow ab, um Schriftsteller zu werden. 1944 veröffentlichte er seinen ersten Roman. „Mann in der Schwebe“ ist formal noch stärker dem modernistischen Experiment verpflichtet als die späteren Erzählromane. Mit dem demoralisierten Joseph, der in einem heruntergekommenen Chicagoer Hotelzimmer grübelnd auf seine Einberufung wartet, hat Bellow jedoch bereits den Typus seines „ramponierten Helden“ skizziert.

Ob Moses Herzog in seinem besten Roman „Herzog“ (1964), Augie March, Mr. Sammler, Humboldt Fleisher oder Ravelstein alias Bloom – Bellows Charaktere sind intellektuelle Exzentriker mit Hang zur Funken sprühenden Melodramatik. Zwiegespaltene Metaphysiker des 20. Jahrhunderts, klammern sie sich in einer Welt ohne Moral und Illusionen trotzig an so etwas wie den Sinn des Lebens. Sie sprechen Wörter wie Seele,r Herz oder Natur aus, ohne zu Kitschfiguren zu werden. Denn sie vermögen über sich selbst zu spotten, in der unnachahmlichen Bellowschen Mischung aus Nietzsche und Marx Brothers. Das Erhabene kommt immer komisch daher. Bellows Figuren haben Platon im Kopf und Kaffeeflecken auf dem Anzug, und sie lachen über beides, die Ideen wie die Flecken. Akrobaten in den Gefilden des Geistes, stolpern sie über ihre eigenen Beine, weil die Schuhe eben doch eine Spur zu groß gekauft sind.

Wie seine tragikomischen Helden war Saul Bellow ein Meister des Widerspruchs. Er liebte es, sich über die Entrüstung seiner Kritiker zu mokieren. „Habe ich das gesagt?“, pflegte er zu antworten, wenn man ihn mit seinen Äußerungen konfrontierte: „Ich muss nicht bei Sinnen gewesen sein.“ Es war auch nicht schwierig, ihn misszuverstehen. Günter Grass tat es, als er ihn 1962 auf dem Internationalen PENKongress bezichtigte, die amerikanische Lebensart zu verteidigen. Ein Vorwurf, der zu kurz griff für Bellow, der so assimiliert war, wie es ein jüdischer Intellektueller mit russischen Vorfahren nur sein konnte. Über die eigene Angepasstheit brach er gerne in Gelächter aus.

Die jüdische Herkunft ist der Subtext aller Bücher Saul Bellows. Den Holocaust hat der Autor allerdings nie ins Zentrum seines Schreibens gerückt. In einem seiner letzten Interviews aus dem Jahr 2000 bekannte der Nobelpreisträger, Gewinner des Pulitzerpreises (für „Humboldts Vermächtnis“ 1976) und dreimalige Gewinner des National Book Award: „Ich habe in allen meinen Romanen die signifikanten Ereignisse des Jahrhunderts ausgespart. Ich habe nicht einmal ansatzweise versucht, den großen Gefühlen in meinem Werk Raum zu geben, die dadurch ausgelöst wurden. Ich bin deswegen über mich selber tief enttäuscht.“ Nun ist Bellow im Beisein seiner fünften Frau und der fünfjährigen Tochter 89-jährig in seinem Haus in Brookline, Massachusetts, gestorben – klar bis zuletzt.

Almut Finck

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