zum Hauptinhalt
Aus Gästen werden Freunde. Die Mitarbeiter des Goethe-Instituts von Hongkong, 1979 auf einem Boot.

© Goethe-Institut/ Michael Friedel

Sprache im Gepäck: Reiseberichte zum 60. Geburtstag des Goethe-Instituts

Wozu Kulturarbeit im Ausland? Deutsch lernen, schön und gut, nutzt ja der Exportwirtschaft, aber Künstler durch die Länder schicken, Musiker, Literaten, Professoren - bringt das was?

Na ja, sagt der Autor, der dann schon in der Defensive ist, man reise ja nicht nur aus Lust und Laune. Obwohl die Lust da sein muss. Würde man sonst in ein Flugzeug steigen? Und auch die Laune als Neugierde. Neugier auf das Land und auf die fremde Kultur. Und wenn es glückt, sollte diese Neugier auf beiden Seiten sein. Wie in Japan, wo die Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ übersetzt erschienen war. Eingeladen vom Goethe-Institut in Tokio zur japanischen Germanisten-Tagung, lernte der Autor erstmals das Land kennen und die japanischen Leser ihn.

Das Besondere an diesen Reisen liegt doch darin, dass sie in eine fremde Gesellschaft Einblicke gewähren, die man als Tourist nie in dieser Kompaktheit bekommen könnte. Es ist die kenntnisreiche Gastfreundschaft der Institutsmitarbeiter, die den Kontakt zu den Kollegen und Intellektuellen herstellt. Der Autor liest aus seinen Arbeiten, hält einen Vortrag über Natur und das Naturverständnis im christlichen Abendland, diskutiert und redet mit den japanischen Germanisten, erlebt das ihm so fremde Land, sieht mit Staunen die Tempel in Kioto, die Hallen mit den grellbunten, irrwitzig lauten Spielautomaten, das No-Theater, diskutiert mit Wissenschaftlern über das Naturverständnis in Japan und Europa, trinkt zeremoniell seinen Tee und kann aus eigenem Erleben bezeugen, dass ein märchenhaft anmutender Satz der Leiterin des Goethe-Instituts wahr wird: In Japan geht normalerweise nichts verloren.

Der Autor hatte seine Brille auf einer Parkbank in Osaka liegen lassen, bekam sie aber noch am selben Abend im Hörsaal der Universität zurück. Das Institut hatte bei der Polizei angerufen, und nun lag die Brille auf dem Pult, und zwar geputzt. Vom Finder? Von der Polizei? Von der Institutsdirektorin, Frau Matusche?

Eine Folge dieser Reise war ein bleibendes, stetig wachsendes Interesse des Autors an der Kultur und Geschichte Japans, ein Interesse, das später in einen Roman eingehen sollte, in „Halbschatten“. Auch dieser wird, wenn er übersetzt ist, das sei den Haushaltsexperten gesagt, einen Beitrag zum Exportüberschuss leisten. Zugegeben nicht wie bei einer Lieferung von Werkzeugmaschinen, aber immerhin, die Reisekosten sind im Nachhinein gedeckt und belasten nicht den Steuerzahler.

Gut, kann man sagen, das ist die Sicht des Reisenden, der, wenn er nicht ganz und gar abgedichtet ist, seinen Gewinn aus einer solchen Tour d’horizon zieht. Und die andere Seite? Also jene der Institution mit ihren Vorgaben und Aufgaben, für die Steuergelder benötigt werden? Es kann nicht ausbleiben, an dieser Stelle ein Zitat von demjenigen zu bringen, der dem Institut seinen Namen gibt: „Wer die deutsche Sprache versteht und studiert, befindet sich auf dem Markte, wo alle Nationen ihre Waren anbieten; er spielt den Dolmetscher, indem er sich selbst bereichert.“ Hier ist natürlich nicht der Markt gemeint, der die Handelskammern aufhorchen lässt, sondern der Ort, den Goethe als Weltliteratur bezeichnet. Hier treffen sich die Nationen nicht in Konkurrenz, sondern in gegenseitigem Austausch von Sprache und Literatur. Kein Wettbewerb, welche Sprache die schönste, die reichste, genaueste ist.

Zur misslichen deutschen Geschichte gehört auch das einst so aufgeblasene Selbstverständnis, am deutschen Wesen solle die Welt genesen. Der Stolz auf die kulturellen Leistungen einer Nation hat immer etwas Lächerliches, insbesondere, wenn sich der Typus des Blockwarts damit brüstet. Es ist nicht die einzelne Sprache, die einen Wert an sich und über sich hinaus hat, sondern ihr Gebrauch. Daher die Verantwortung gegenüber Sprache und Kultur: Sie darf nicht in den Dienst politischer oder wirtschaftlicher Macht genommen werden und schon gar nicht als Instrument der Erniedrigung anderer Menschen und Nationen dienen, wie es bei der Lingua tertii imperii der Fall war.

Eines der wichtigsten Verdienste des Goethe-Instituts ist, dass es sich seit seiner Gründung kritisch und ausführlich mit dieser Vergangenheit beschäftigt hat. Dass es in seinen Themen und seiner Arbeit die Gesellschaft und ihre Auseinandersetzungen spiegelt und damit auch das Selbstverständnis, das die deutsche Sprache reflektiert. Ein bescheideneres, selbstkritisches Verständnis, das getragen wird von einem Begriff der kulturellen Freiheit, der nicht in eine politische oder wirtschaftliche Zwangsjacke genommen werden darf, so wie es in dem Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert ist: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“

Über diese politische Festschreibung der Freiheit des Wortes hinaus ist der Sprache noch eine andere Freiheit inhärent. Der Sprecher kann im Spiel mit ihren unterschiedlichen Formen ihre Vielfalt ausschöpfen, mit jenem Staunen darüber, was Sprache vermag. Ein Staunen über Schönheit und Klang, über den Reichtum ihrer Möglichkeiten, eine Sprache, die nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern durch Variationen im alltäglichen Sprachgebrauch und auch in der schriftlichen Ausformung in sich die Überraschung des Neuen trägt. Die sie Vermittelnden, die Lehrer und Leiter der Institute, dürfen eben nicht nur Dienstleister für internationale Beziehungen im politischen und wirtschaftlichen Machtgeflecht sein. Von ihrer Aufgabe her sind sie Universalisten, von ihrer konkreten Tätigkeit Individualisten. Je eigenwilliger und leidenschaftlicher ihre Interessen, desto besser werden sie ihrer Aufgabe gerecht, denn sie spiegeln damit nicht nur ein offiziell gewünschtes Bild, sondern etwas, und das genau, von der Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit der zeitgenössischen Kultur, also der deutschen Gesellschaft.

Das gilt für die Musik, das Ballett, das Theater, den Film, für die Wissenschaft. Die für das Programm Zuständigen haben ja immer wieder einen ganz eigenen Blick auf das aktuelle kulturelle Leben Deutschlands, haben ihre Vorlieben und besonderen Interessen. Unter ihnen konnte der Autor auf seinen Reisen wahre Fanatiker kennenlernen, die gerade deshalb in ihrem Programm die deutsche mit der jeweiligen Landeskultur zusammen, also ins Gespräch brachten und zwar sehr erfolgreich.

Die Beziehungen der Nationen untereinander sind stark von politischen und ökonomischen Interessen geleitet. Dort aber, wo ein kultureller Austausch stattfindet, der das Fremde erforscht, um gleichermaßen das Eigene zu verstehen, kommt es zu jener Bereicherung beider Seiten, von der Goethe spricht. Die Unabhängigkeit des Goethe-Instituts von der Exekutive garantiert dieses freie Gespräch. Also wünscht man sich als Steuerzahler noch mehr Institute im Ausland. Mehr Mitarbeiter. Und für die Institute vor allem auch Bibliotheken.

Viele sind in den vergangenen Jahren geschlossen worden. Schließungen, die in Anbetracht anderer Budgets – man mag schon gar nicht mehr die Milliarden für die maroden Banken erwähnen – einfach skandalös sind. In diesen Bibliotheken ist ja nicht nur der Zugriff auf die Belletristik möglich, sondern auch auf politische und ökonomische Literatur und Zeitschriften. Vor allem waren und sind sie jener Freiraum, der einen Austausch von Gedanken und Meinungen ermöglicht. Wie es der Autor in dem diktatorisch regierten Indonesien 1991 erleben durfte. Der Leiter des Instituts, Friedrich Winterscheidt, lud Intellektuelle und Schriftsteller ein, die sich in dem Institut trafen und offen miteinander reden konnten. Unter ihnen war auch Pramoedya Ananta Toer.

Da saß dieser alte Mann, der jahrelang in japanischen, in holländischen, später in indonesischen Lagern und Gefängnissen festgehalten worden war, und sprach, das war das Überraschende, deutsch. Ein nicht im Goethe-Institut, sondern paradox genug, in einem japanischen Lager und holländischen Gefängnissen gelerntes Deutsch. Er sagte seinen Dank an das Institut, das ihn mit deutscher Literatur versorgte und an den Leiter, der so mutig war, ihn, den vom Diktator Suharto Verbannten, nicht nur einzuladen, sondern auch im Dienstwagen des Instituts abzuholen. Die Bitte an mich, den Eingeladenen, war, sich um die Übersetzungen von Toers Romanen zu kümmern. Sicherlich werden heute Kontakte durch Facebook und Twitter erleichtert, aber der persönliche Kontakt wird auch weiterhin die Grundlage bleiben für kritische Gespräche in nicht demokratisch regierten Ländern.

Sicherlich wären nicht derart viele deutsche zeitgenössische Autoren ins Griechische übersetzt worden, wenn sie nicht der Athener Institutsleiter Horst Deinwallner zu Lesungen und Diskussionen eingeladen und sie bei der Gelegenheit mit den Verlagen in Athen bekannt gemacht hätte. Wie umgekehrt griechische Autoren nach Deutschland vermittelt und übersetzt wurden.

Inzwischen ist der Transfer von Übersetzungen deutscher Literatur nicht mehr allein der Initiative Einzelner überlassen, sondern die Arbeit wird mit großem Erfolg von dem Online-Portal Litrix gemacht. Darüber hinaus gibt es Projekte, bei denen deutsche und ausländische Autoren zusammenarbeiten. Die Aktivitäten reichen inzwischen auch weiter, bis zu Schulungen für das Verlagswesen oder Ausbildungen in Medientechnik. Und dann gibt es natürlich damals wie heute die Lesungen und Diskussionen vor und mit den ausländischen Deutschlehrern und Studenten. Denn das vermittelt kein Lehrbuch – den Klang der Sprache.

Viel Lob für die Arbeit des Goethe-Instituts. Das Lob der deutschen Sprache können wir anderen überlassen, so wie es Jorge Luis Borges in dem schönen Gedicht „An die deutsche Sprache“ getan hat: „Du, deutsche Sprache, bist Deutschlands / Größtes Werk: Die verschlungene Liebe / Zusammengesetzter Stimmen, die offenen / Vokale, die Laute, die den gelehrten / Hexameter der Griechen erlauben / Und dein Rauschen von Wäldern und Nächten.“

Uwe Timm lebt als Schriftsteller in München. Zuletzt erschien von ihm die Novelle „Freitisch“. Sein Text wird in der Jubiläumsausgabe des Goethe-Magazins „Reportagen Bilder Gespräche“ abgedruckt.

Von Uwe Timm

Zur Startseite