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Oberbaumbrücke

© Wolff

Spree-Kultur: Aus Mitte entspringt ein Fluss

Strandbars, Radialsystem, schwimmende Hotels: Die neue Spree-Begeisterung kommt aus dem Osten.

Man könnte Gerd Conradt als Schamanen bezeichnen. Als Schamanen der Spree, der die alten Flusslieder singt, um den Menschen mit seiner Umwelt zu versöhnen. Conradt, 66, Autor und Dokumentarfilmer, hat schon Filme über das RAF-Mitglied Holger Meins und über Berlins Schuldenberg gedreht, und er weiß so ziemlich alles über die Spree: dass sie zwischen 17 und 59 Tage braucht, um von Köpenick bis in die Havel zu fließen; und dass Spree-Tropfen streng strukturiert sind, was japanische Wissenschaftler entdeckt haben.

Im Moment aber sitzt Gerd Conradt in einem Café auf der Fischerinsel, Blick auf die Kähne am Historischen Hafen, und ist nicht an Details, sondern am großen Ganzen interessiert. „Die Spree entspringt im Lausitzer Bergland“, sagt er. „Sie speist sich aus Regenwasser. Ohne die Spree würde es Berlin gar nicht geben. Selbst wir sind gewissermaßen die Spree, denn ein Großteil des Berliner Trinkwassers wird aus dem Grundwasser in Ufernähe gewonnen. Die Inder veranstalten Dankesfeste für Flüsse. Und was machen wir?“ Conradt weiß, was er Spree und Havel verdankt. Inspiration. Immer, wenn er mit dem Schreiben nicht weiterkommt, rudert er aufs Wasser. Dort kam ihm auch die Idee zu einem Filmporträt der Spree. „Sinfonie eines Flusses“ heißt der Film, der am 28. August im Radialsystem zu sehen sein wird, „An der Spree“ das Buch (Transit-Verlag), das Conradt im Windschatten dieses Projekts geschrieben hat.

Lieber aber redet Conradt über „die Schande Berlins“. Wir stehen jetzt auf der Mühlendammbrücke, über die auf sechs Spuren die Autos rasen. „Das ist die Urzelle Berlins. Hier verband eine Brücke Berlin und Cölln. Wer den Mühlendamm kontrollierte, hatte die Macht in der Stadt. Und hier gibt es nichts, nicht mal eine Erinnerungstafel.“

Auch wenn Berlin der Spree nicht dankbar ist – entdeckt hat die Stadt sie schon. Man kann sogar sagen, Berlin ist seit einigen Jahren regelrecht entzückt von seinem Fluss. Man braucht nur in die Zeitung zu schauen. Beinahe täglich wird von der Eröffnung einer neuen Strandbar oder der drohenden Schließung einer alten berichtet. Event-Schiffe kommen aus Hamburg angefahren, um der Stadt Nachhilfe im Auf-dem-Wasser-Feiern zu geben (aus bürokratischen Gründen dürfen sie dann allerdings nicht anlegen). Und im Sommerdrama um die Fällung der Bäume am Landwehrkanal geht der Clinch zwischen Anwohnern und Wasser- und Schifffahrtsamt in die zigste Runde.

Die Spree-Begeisterung begann bekanntlich im Osten, rund um den ehemaligen Osthafen, wo sich nicht nur MTV und Universal niederließen, sondern die Arena auch das Badeschiff eröffnete. Das ist kein Wunder, denn an dieser Stelle hat man nicht nur das malerischste Panorama, hier ist die Spree auch so breit, dass sie die Bezeichnung Fluss verdient. Das bis vor kurzem wenig leidenschaftliche Verhältnis zwischen der Stadt und ihrem Gewässer verantworten nämlich nicht nur die Bewohner, sondern auch die Spree selbst. Denn sie macht, verglichen mit anderen Stadtflüssen, kaum etwas her. Die Isar strömt lebendig, der Rhein geht erhaben in die Breite, die Spree aber steht meist tümpelhaft herum, eingefasst und begradigt von steinernen Uferbefestigungen, übertrumpft von monumentaler Architektur, zumindest in der Innenstadt. Mehr als ein Fluss sind die Spree und ihre Kanäle ein Netz aus Wasserstraßen, auf unprätentiöse Weise so allgegenwärtig, das man sie als Einheimischer leicht übersehen kann. Dass der Berliner inzwischen stolz das Wort „Wasserstadt“ im Munde führt, liegt vor allem daran, dass die Spreebegeisterung vom Osten über die Mitte nun auch den Westen der Stadt erreicht hat.

„Wir haben die Spree eigentlich im letzten Jahr wiederentdeckt“, sagt Bernd Scherer, Leiter des Hauses der Kulturen der Welt, das direkt am Wasser liegt und Ende August nach einem Umbau wieder öffnet. „Der Hauptbahnhof war fertig und der schön angelegte Spreeweg. Und plötzlich war das Areal während der Fußball-WM voller Menschen.“ Jahrzehnte konnte man das Haus nur von der Tiergartenseite betreten. Jetzt gibt es zum Wasser hin weiträumige Terrassen, und man plant ab dem nächsten Sommer ein jährliches Wasserfestival, mit Konzerten direkt am Ufer und Vorträgen über die Ressource als solche.

So kommt die Spree endlich auch bei den Kulturinstitutionen an. Jochen Sandig und sein Team vom Radialsystem am anderen Ende der Stadt haben das Wasser von vornherein in ihre Planungen integriert. Sie haben nicht nur einen Bootsanleger, sondern veranstalten seit ihrer Eröffnung vor einem Jahr Familientage, bei denen auf gecharterten Booten die ganze Familie spielen und tanzen kann. Selbst der neue Entwurf des Architekten Chipperfield für den Eingangsbereich der Museumsinsel spielt mit dem Wasser, wenn auch nur indirekt. Der Pavillon, der vom Lustgarten am Kupfergraben entlang bis zum Pergamonmuseum führt, ist teilweise verglast. Man könnte freilich noch weiter gehen und statt der dann überflüssig gewordenen Zugangsbrücke zum Pergamon-Museum einen Zugang vom Wasser aus ermöglichen, so dass irgendwann alle Kulturorte am Wasser per Boot verbunden werden können.

So etwas schwebt auch Gerhard Heß vor. Jahre wartete der Unternehmer auf die Erlaubnis vom Verkehrsministerium, unter dem Label SpreeCab Wassertaxis auf der Spree zu unterhalten, was ihm laut Rheinschifffahrtsuntersuchungsverordnung bis zu diesem Frühjahr quasi untersagt war, denn die sah aus Sicherheitsgründen eine Zweierbesatzung vor. Das aber hätte den Betrieb unrentabel gemacht. Dieses Frühjahr wurde auf Antrag aller Bundestagsfraktionen eine Richtlinie erlassen, die nun auch eine Ein-Mann-Besatzung zulässt. Theoretisch könnte Heß loslegen, praktisch noch lange nicht. Ihm fehlen die Anleger. Die vorhandenen gehören den großen Reedereien, die sich die Spree untereinander aufgeteilt haben und die Anleger Konkurrenten nicht zur Verfügung stellen. Und bevor Heß eigene installieren kann, müssen sie erst von den Bezirken genehmigt werden. Man braucht viel Geduld auf dem Wasser.

Auch Ralf Steeg kann davon ein Lied singen. Mit seiner Luri.watersystems GmbH sitzt er in einem schicken Büro an der Köpenicker Straße und beamt den Besucher mit ein paar Mausklicks in eine paradiesische Spree-Zukunft. Seit er in den achtziger Jahren in der Berner Aare geschwommen ist, träumt Steeg von einer Spree, die so sauber ist, dass man in ihr baden kann. Dazu müsste allerdings erst verhindert werden, dass weiterhin bei starkem Regen Abwasser in die Spree geleitet wird. Der gelernte Gärtner Steeg hat deshalb unter den Namen Spree2011 ein System entwickelt, bei dem Kunststofftanks unter der Wasseroberfläche an den Ufern installiert werden, um das Abwasser aufzunehmen und es, wenn die Rohre wieder frei sind, ins Kanalsystem zurückzuleiten. Die Idee ist bestechend – und vor allem günstiger als die Betontanks, die Berlin bauen müsste, um einer EU-Verordnung gerecht zu werden, nach der das Flusswasser in Städten bis 2015 sauber sein soll. Drei Millionen Euro Förderung wurden Luri.watersystems gerade vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zugebilligt, um zusammen mit der TU-Berlin ein Protomodell zu entwickeln und zu installieren.

Spree-Taxis. Unterwassertanks. Edgar Schmidt von Groeling schaut vom Deck seines Hostelboots „Eastern Comfort“ skeptisch gen Westen. Er kennt natürlich alle Vorhaben, will es aber erst glauben, wenn es so weit ist. Schmidt von Groeling wollte mal ein Schiffsmuseum mit Grenz- und Mauergeschichten rund um die Oberbaumbrücke einrichten. Der Bezirk hat es ihm untersagt. Stattdessen expandiert er jetzt mit seinem Wasserhotel auf die andere, die Kreuzberger Seite. Das Boot dafür hat er schon gekauft. Es liegt in Polen und muss, bevor die Kanäle zu flach werden, so schnell wie möglich nach Berlin gebracht werden.

Wenn Gerd Conradt der Schamane der Spree ist, dann ist Edgar Schmidt von Groeling ihr unaufgeregter Herbergsvater. Regelmäßig finden in seiner Lounge nicht nur zweisprachige Partys für Touristen, sondern auch Veranstaltungen rund ums Thema Wasser statt. Zum Beispiel Vorträge über die rätselhafte Reaktionsweise der chemischen Verbindung H2O. Die Bugwelle eines Touristendampfers bringt die „Eastern Comfort“ zum Schwanken. „Auf der Spree kennt jeder jeden“, sagt Edgar Schmidt von Groeling, während er dem Schiff mit wissendem Lächeln hinterhersieht.

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