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Kultur: Springteufeleien und Klöppelwürmer

Fest der Kontinente: ein Berliner Abend zum 80. von György Ligeti

Von Gregor Dotzauer

Ob es tatsächlich ein Fest war oder doch nur ein Porträtkonzert: György Ligeti, um den sich am Samstagabend im Kammermusiksaal der Philharmonie alles drehte, war nicht leibhaftig dabei. Vielleicht saß er aber auch unerkannt im Publikum und wechselte mit jedem Stück sein Alter und sein Aussehen. Denn zwischen den sechs, vom Philharmonischen Bläserquintett Berlin virtuos-elegant präsentierten Bagatellen des 30-Jährigen, die noch im Idiom von Bartók und Strawinsky zu Hause sind, und der Musik, die der heute 80-Jährige schreibt, hat er als Komponist Maske um Maske abgenommen, um ein musikalisches Gesicht zu finden, das sich Jüngere inzwischen selbst vorhalten.

Wie schwierig es ist, eine ähnlich komplexe polyrhythmische Welt zu bauen, zeigt sich allerdings schon bei Tania Leóns – von ihr selbst dirigierter – Uraufführung von „Duende“: sieben Gedichtvertonungen für einen Solobariton (Kevin Deas), vier Schlagzeuger, ein kubanisches Batá-Trommeltrio und einen puertoricanischen Perkussionisten (Rolando Morales-Matos). Bei der in New York lebenden Kubanerin ist eine Crossover-Ästhetik am Werk, die in all ihren Traditionsüberlagerungen letztlich doch relativ angestrengte europäische Kunstmusik hervorbringt: Man muss nur sehen, wie gehetzt die Schlagzeuger jedem Pling und Bumm der Partitur nachstolpern, ohne dem Rhythmus ihres Körpers folgen zu können.

Ligetis in Berlin zum ersten Mal aufgeführte Komposition „Sippal, dobbal, nádihegedüvel“ (Mit Pfeifen, Trommeln, Schilfgeigen, 2000) für die wunderbare Mezzosopranistin Katalin Károlyi und die Budapester Amadinda Percussion Group ist da buchstäblich aus anderem Holz. In den sieben Stücken nach Gedichten von Sándor Weöres mögen Klänge und Metren aus den verschiedensten Kulturen wohnen. Zusammen jedoch ergeben sie eine unverwechselbare Welt, durch die tausend hingeklöppelte Kullerwürmer, Heuschreckenschwärme und Springteufel eilen – von allem Zitathaften befreite Musik aus einem Guss.

Viel liegt in solchen Fällen an den Probebedingungen: Amadinda, der umjubelte Höhepunkt des Abends, reist seit drei Jahren mit dem Werk im Gepäck, das Ligeti dem Ensemble gewidmet hat. Tania Léon dagegen hat „Duende“ den Musikern wohl bis zur letzten Minute eingetrichtert. Bei einem – Pausen nicht gerechnet – über dreistündigen Programm wagt sich gewiss auch das ScharounEnsemble unter Reinbert de Leeuw an seine Grenzen. Vom spezifischen Tonhöhen- und Tempo-Flirren, das etwas Ligetis „Kammerkonzert für 13 Instrumentalisten“ (1969/70) ausmacht, bekommt man da nur einen guten Eindruck, ebenso wie vom „Hamburgischen Konzert für Horn solo und Kammerorchester“ mit Marie Luise Neunecker als Solistin.

Ein Fest für Ligeti mit Freunden: Der Abend heißt schon deshalb so, weil das veranstaltende Fest der Kontinente nicht nur dem eigenen Namen, sondern auch seinem ungarischen Schirmherrn zu dessen 80. Geburtstag alle Ehre machen möchte. Den richtigen Überschwang bringt am Ende doch noch das Ancient Court Music Ensemble Buganda zu Stande, mit traditioneller Hofmusik auf Fiedel, Kerbflöte und Xylophon. Aber wen wundert das in Berlin, so fern von Afrika.

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