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Kultur: Spur der Schmetterlinge

Es war ein Falter, nach dem entomologischen Lexikon ein Rotes Ordensband. Mit grauen, schwarz gestriemten Flügeln, die sich kaum abhoben vom Holzboden des Ateliers.

Es war ein Falter, nach dem entomologischen Lexikon ein Rotes Ordensband. Mit grauen, schwarz gestriemten Flügeln, die sich kaum abhoben vom Holzboden des Ateliers. Die Malerin sah ihn sich legen auf die Dielen, packte die Kamera aus und fotografierte den Schmetterling. Erst durch die Linse wurde sie der Farbe gewahr, die unter den Flügeln schimmerte, eines prallen Rots. Und dabei erinnerte sich die Künstlerin an einen Karton, den sie vor 35 Jahren aus Pucallpa mitgenommen hatte. Darin lagen andere Schmetterlinge. Konservierte, in Briefumschlägen gehüllte Schmetterlinge. Warum nicht auch sie? Warum sollten sie nicht ebenso zu Bildern werden?

"Wisse das Bild" liest man im Katalog der Einzelschau von Renate Anger, die von morgen an in der Berliner Akademie der Künste zu sehen ist. Das Zitat aus Rilkes "Sonetten an Orpheus" sagt mehr über die Künstlerin, die mit dem mit 9000 Euro dotierten Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie ausgezeichnet wird, als Kritiker-Exegesen je herausfinden könnten. Ob Apfel oder Ente, Farbmuster oder Möbelstück, Schmetterling oder Rose - Renate Anger weist auf die Dinge hin, wie sie in Erscheinung treten. "Es geht um die Frage: Was bleibt?", sagt sie, "und es ist halt so, dass die Schönheit bleibt."

Nun liegen die Fotografien aufgereiht auf einem länglichen Sockel in einer Halle der Akademie. Damit sie nicht glänzen und spiegeln, sind die Abzüge mit einem matten Filter überzogen. Aber die Flügel der Schmetterlinge, zwar hie und da zerfasert an den Rändern, prangen noch in Rot, Goldgelb, Blau und Grün. 1943 in Danzig geboren, kam Renate Anger erst 30-jährig zur Kunst. Davor war sie Krankenschwester gewesen im Auslandsdienst. Hatte in Peru die Kleider bewundert, die immer bunter gewebt waren, je höher man auf die Berge stieg, je karger die Landschaft wurde. Eine Vielfalt, die sie geprägt habe, merkte sie später. Während des Studiums, erzählt sie, habe sie nur drei realistische Zeichnungen vorgelegt, den Fundus ihres ganzen Werks: einen Schmetterling, eine verwelkte Rose und eine verwitterte Tür, die durch eine verschlossene Luke auf den Raum dahinter verwies. Seitdem sind "Vanitas"-Bilder, wie sie Epiphanien des Schönen nennt, und der Raum als Bild die Konstanten ihrer Arbeit.

In der Akademie der Künste hat Renate Anger den Falteraufnahmen neun großformatige Gemälde beigelegt: Breite Streifen aus Eitempera türmen und kreuzen sich, bilden grell funkelnde Raster. An gegenüberliegenden Wänden hängen dann zwei Bilder, die sich offensichtlich aufeinander beziehen. Hier schwarze und erdgrüne Balken, in der oberen Hälfte der Bildfläche von einem knallroten Band durchzogen, das sich rechts und links auf die Wand erstreckt. Dort ein dichtes Gewölk aus roten, schwarzen und azurenen Feldern, das alles umher aufzusaugen scheint.

Aureliana Sorrento

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