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Kultur: Spur der Stifte

Von der Zeichnung zum Bild: Eine Dresdner Ausstellung ergründet das Geheimnis Jan van Eycks

Die Farben hat der Maler akribisch genau notiert, direkt aufs Blatt, neben die Zeichnung: Das Haar sei ockerfarbig braun, die Partie zwischen den Augen „sanguinisch“ rot, die Stirnpartie bleicher, die Warze dunkelgelb und so weiter bis zum rötlichen Kinn mit graufarbenen Bartstoppeln. Offensichtlich war das gezeichnete Porträt, das Jan van Eyck von Niccolò Albergati anfertigte, als Erinnerungsstütze für ein Bild gedacht, welches er später ausführte und das heute in Wiens Kunsthistorischem Museum gehütet wird.

Porträt und Zeichnung stehen nun im Zentrum einer Ausstellung im Dresdner Kupferstichkabinett. Eine höchst seltene Gelegenheit also, die Umsetzung von der Vorzeichnung zum Bild nachzuvollziehen. Denn so genau Jan van Eyck die Farben auch notiert hat, das fertige Bild ist noch leuchtender, voller miniaturartiger Detailfreudigkeit bis in die letzte Falte – und gleichzeitig voll strahlender Menschlichkeit. Dieser Niccolò Albergati ist ein Beispiel für den Zauber, den van Eycks Bilder bis heute ausüben: Denn sie sind bis ins Letzte realistisch und gleichzeitig von überwirklicher Präzision.

Die Zuschreibung der Zeichnung an Jan van Eyck war 1841 eine Sensation. Die bis dahin auf altniederländischem Gebiet recht schwachen Dresdner Sammlungen hatten unverhofft ein Highlight dazubekommen. Bislang hatte es in Dresden nur ein einziges Van-Eyck-Werk gegeben, das miniaturhafte Madonnen-Triptychon der Gemäldegalerie. Doch bald schon kamen in der Wissenschaft Zweifel auf. Ist der Dargestellte überhaupt Niccolò Albergati? Man stützt sich bis heute allein auf eine Notiz des Antwerpener Kunsthändlers Peeter Stevens, der 1648 ein „Conterfaysel van Jan van Eyck“ verzeichnet, welches 1438 angefertigt worden sein soll und angeblich den Kardinal von Santa Croce während der Friedensverhandlungen in Arras zeigt.

Das könnte passen: Niccolò Albergati, der Kardinal der römischen Pilgerkirche Santa Croce in Gerusalemme, nahm 1435 an den Verhandlungen teil. Jan van Eyck könnte ihn von Brügge aus besucht und gezeichnet und das Porträt später auf der Basis der Zeichnung angefertigt haben. Allein: Niccolò Albergati war Kartäusermönch. Das Wiener Bild wie auch die Dresdner Zeichnung zeigen jedoch nicht die für Mönche übliche Tonsur, sondern kurz geschnittenes Haar. Auch das Gewand ist keine Kardinalstracht, sondern ein modischer Umhang mit Armschlitzen und Pelzbesatz. Albergati oder nicht Albergati? Rätsel über Rätsel.

Noch schwammiger war die kunstwissenschaftliche Zuschreibung lange Zeit bei der Zeichnung, die – wie alle altniederländischen Blätter – nicht signiert ist. Wäre dem damaligen Direktor des Frankfurter Städel, Johann David Passavant, nicht 1841 die Ähnlichkeit des Dresdner Blatts mit dem Wiener Bild aufgefallen, man hätte die „köstliche Zeichnung“, so Passavant, Jan van Eyck nicht zuschreiben können. Seit 1841 hütet das Dresdner Kupferstichkabinett nun das Blatt als einzige authentische Van-EyckZeichnung, eine „Gründungsurkunde der Zeichenkunst“, wie Kurator Thomas Ketelsen sie nennt.

Nur zu verständlich daher, dass man versucht war, sie auch in den Mittelpunkt der Ausstellung zu rücken. Man habe, erzählt Thomas Ketelsen, Kustos am Kupferstichkabinett und gemeinsam mit Uta Neidhardt von der Gemäldegalerie Kurator der Ausstellung, die Zeichnung mittels moderner Röntgentechnik untersucht – die Ergebnisse sind in der Ausstellung akribisch dokumentiert.

Dabei stellte sich heraus, dass Jan van Eyck mit drei verschiedenen Silberstiften gearbeitet hat – die stupende Genauigkeit hat also zumindest eine wissenschaftliche Erklärung. Auch die Frage, wie die Vorzeichnung auf das um rund 40 Prozent größere Gemälde übertragen wurde, meint Ketelsen mit einem simplen Trick erklären zu können: Die Zeichnung weise kleine Einstichlöcher auf, die auf die Verwendung eines Zirkels schließen ließen. Mit ihm habe man die Abstände zwischen markanten Punkten auf die Leinwand übertragen und vergrößern können. Dem „Geheimnis des Jan van Eyck“, so der verheißungsvolle Titel der Ausstellung, ist man technisch also ein gutes Stück näher gekommen.

Dennoch ist das Ganze natürlich eine Mogelpackung: Ausgebreitet wird der komplette Bestand des Kupferstichkabinetts an altniederländischen Zeichnungen, immerhin 60 Blatt an der Zahl. Dazu kommen als Leihgabe noch einige Gemälde und Altarretabeln aus der benachbarten Gemäldegalerie. Van Eyck jedoch ist nur mit drei Arbeiten präsent. Weitere Van-Eyck-Leihgaben waren auch nicht zu erwarten: Wer immer ein Werk des Niederländers sein Eigen nennt – die Berliner Gemäldegalerie besitzt gleich drei –, hütet es eifersüchtig.

Die empfindlichen Holztafeln der altniederländischen Malerei können aus konservatorischen Gründen bekanntlich kaum mehr ausgeliehen werden. Schon die groß angekündigte Van-Eyck-Ausstellung 2002 in Brügge hatte sich in der Hauptsache auf den eigenen – allerdings reichen – Bestand konzentrieren müssen.

Die Verlockung, mit dem Namen van Eyck zu werben, war in Dresden wohl zu groß – zumal die Kunstsammlungen dazu übergegangen sind, den eigenen Bestand in Sonderausstellungen aufzubereiten. Für die anderen altniederländischen Zeichnungen bleibt so die undankbare Rolle des Platzfüllers – und das, obwohl wunderbare Blätter darunter sind. Nur ist der Kenntnisstand hier noch lückenhafter. Selten lassen sich die Zeichnungen direkt auf ein ausgeführtes Bild beziehen. Auch die Entdeckung, dass die Künstler das kostbare Papier oft von beiden Seiten benutzten, ist noch jung: In Dresden sind einige höchst kuriose, oft sehr drastische „Rückbilder“ erstmals zu sehen. Diese „Nachtseite“ der niederländischen Malerei, wie sie auch der so genannte Meister des Absalom in seinen grotesken Monsterbildern zeigt, hat bei Hieronymus Bosch schließlich über den realitätsnahen Humanismus eines van Eyck gesiegt. Das wäre das spannendere Thema gewesen – und die spannendere Ausstellung.

Das Geheimnis des Jan van Eyck, Residenzschloss Dresden, bis 31. Oktober. Katalog im Deutschen Kunstverlag, 29,80 €.

Christina Tilmann

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