zum Hauptinhalt

Staatliche Museen und Raubkunst: Mangel an Sensibilität

Im Büro des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin hing ein Kokoschka-Bild - mutmaßlich Raubkunst: Was man bisher dazu wusste und was Hermann Parzinger zum Raubkunstverdacht sagt.

Ein „herrliches Gemälde“ hat Monika Grütters Oskar Kokoschkas Bild „Pariser Platz in Berlin“ 2008 genannt. Da war sie noch nicht Kulturstaatsministerin und hielt als Vorstandssprecherin der „Stiftung Brandenburger Tor“ eine Laudatio auf Klaus-Dieter Lehmann, der vor Hermann Parzinger Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war. Lehmann hatte das Bild für sein Büro ausgesucht, es hing dort seit 1999. Parzinger hat es nun abgehängt – wegen Raubkunstverdachts.

Ihre Stiftung, so Grütters 2008, sei „immer mal wieder ,scharf’ “ auf jene 1926 von Kokoschka gemalte Ansicht des Brandenburger Tors samt Liebermann-Haus gewesen, hat die Stiftung doch hier ihren Sitz. Mehrfach war das Bild im Liebermann-Haus in Ausstellungen zu sehen, zum Beispiel 2006 in einer Schau über den Kunsthändler Paul Cassirer, der es bei Kokoschka in Auftrag gegeben hatte.

Kein Wort darüber, dass das Werk des von den Nazis verfemten Künstlers schon bald dem jüdischen Kunsthändler Georg Caspari in München gehörte, dessen Witwe Anna Caspari es 1933 oder 1934 an die Dresdner Bank verkaufte – bevor sie von den Nazis deportiert und ermordet wurde. Über die Großbank, die bekanntlich nicht nur über den Kunsthandel in besonderem Maß in die NS-Verbrechen verstrickt war, gelangte es 1935 an die Staatlichen Museen.

„Wir denken, dass wir uns hier nichts vorzuwerfen haben.“

Während Kulturstaatsministerin Grütters wie bereits ihr Vorgänger Bernd Neumann und die Herren der Preußenstiftung, Parzinger, Michael Eissenhauer und Co., nicht müde werden, die Bedeutung der Provenienzforschung zu betonen und die Recherchen über die Bestände der Staatlichen Museen voranzutreiben, mangelt es ihnen gleichzeitig an Sensibilität in Sachen Raubkunst. Auf erstaunliche, erschreckende Weise, 2008 genauso wie heute - im Licht des Gurlitt-Skandals.

Hermann Parzinger erfuhr vor etwa zwei Wochen von der Herkunft des Bildes. Dies teilte er am Mittwoch mit. Dem Tagesspiegel sagte er am Donnerstag, im Zuge der systematischen Provenienzrecherchen habe ein Projekt zur Rolle der Dresdner Bank Hinweise ergeben, „dass nicht zweifelsfrei feststeht, ob das Bild wirklich bereits vor 1933 an die Dresdner Bank gelangt war oder nicht doch später“. Da die Recherchen noch nicht abgeschlossen sind, habe er keinen Grund gesehen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Auf einer eilig anberaumten Pressetermin fügte er hinzu: „Wir denken, dass wir uns hier nichts vorzuwerfen haben.“ Schon beim Hauch eines Fragezeichens habe die Stiftung reagiert.

Und was hängt noch in Hermann Parzingers Büro?

Das verstehe, wer will. Im Bildindex des Deutschen Dokumentationszentrums für Kunstgeschichte, einer Datenbank für Forschung und Lehre, kann jeder Laie im Internet nachlesen, dass das 76 mal 110 Zentimeter große Kokoschka-Gemälde „wohl durch Schuldverschreibung von Caspari“ an die Münchner Filiale der Dresdner Bank veräußert wurde.

Als Einrichtung des Bundes wollen und sollen die Staatlichen Museen beim Umgang mit Raubkunst vorbildlich sein. Hätten nicht spätestens beim Stichwort „Caspari“ alle Alarmglocken schrillen müssen? Zur Frage der mangelnden Sensibilität sagte Hermann Parzinger: „Da wir davon ausgingen, dass keine Verfolgungsbedingtheit vorlag, gab es keinen Grund, es nicht zu hängen.“ Erst die neueren Recherchen der Stiftung hätten ergeben, dass eine Verfolgungsbedingtheit nicht auszuschließen sei. Deshalb sei das Bild jetzt aus seinem Büro entfernt, seien die Untersuchungen dazu forciert worden.

Und was hängt noch in Hermann Parzingers Büro?

Aber selbst wenn die Kunsthändlerin Anna Caspari nicht von den Nazis unter Druck gesetzt worden war, selbst wenn sie „ohne Not“ verkaufte und keine Rückgabeforderungen vorliegen: Was hat sich der oberste Hüter des kulturellen Preußen-Erbes beim täglichen Anblick eines Bildes gedacht, das einem Opfer des Holocaust gehörte, bevor es an den Staat ging? Einer Jüdin, deren Galerie 1939 von der Gestapo geplündert und geschlossen wurde? Caspari war Witwe, ihr Mann 1930 bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ihre beiden Söhne konnte sie vor den Nazis nach England in Sicherheit bringen, bevor sie selbst deportiert wurde.

Und was hängt noch in Hermann Parzingers Büro? Zwei Werke von Erich Heckel, „Frauenbildnis“ von 1906 und „Carolastraße in Dresden“ von 1911. Ihre Provenienz ist unbedenklich.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false