zum Hauptinhalt

Staatsballett Berlin: Elfen ist nicht zu helfen

Keuscher Spuk: Das Staatsballett Berlin reanimiert "La Sylphide" an der Deutschen Oper.

Von Sandra Luzina

Sie ist äußerst scheu. Sie weckt unstillbare Sehnsüchte. Und offenbart sich nur dem feingeistigen Schwärmer. Lange Zeit wurde sie nicht auf einer Berliner Bühne gesichtet. Bei Beginn der Dämmerung tritt sie nun wieder ihren ätherischen Höhenflug an: La Sylphide.

Das Staatsballett Berlin hat sich in dieser Spielzeit mit Leib und Seele der Romantik verschrieben. Mit „La Sylphide“ bringt es nun das Ballett zur Aufführung, in dem das romantische Ideal zuallererst seine vollkommene Darstellung erlebte. Die Reanimation dieses delikaten Geschöpfs ist geglückt – und für zwei flatterhafte Stunden nimmt sie einen mit ihrer keuschen Mädchengrazie gefangen.

Der Junker im Schottenrock und die geflügelte Elfe – es ist schon eine aparte Paarung, mit der „La Sylphide“ aufwartet. Und indem es den Riss zwischen der irdischen und der überirdischen Sphäre behauptet und dramatisiert, spiegelt es perfekt die romantische Geisteshaltung.

Das Ballett über eine unmögliche Liebe erlebte seine Uraufführung 1832 in Paris. Filippo Taglioni hatte die Rolle der verliebten Elfe seiner Tochter Mariei auf den Leib choreografiert. Damit begann der Ballerinenkult, dessen späte Ausläufer man heute noch bei Malakhovs Compagnie studieren kann.

Es ist aber die Fassung, die Auguste Bournonville 1836 für das Königlich Dänische Ballett kreierte, die sich weltweit im Repertoire durchgesetzt hat. Das Staatsballett Berlin zeigt sie nun in der preisgekrönten Rekonstruktion von Peter Schaufuss. Als der Däne zum Schlussapplaus auf der Bühne der Deutschen Oper erschien, mochte mancher Ballettfan in Erinnerungen schwelgen. Denn Schaufuss triumphierte 1982 hier in Berlin als James, seine Partnerin damals war die wunderbare Eva Evdokimova, die als ideale Verkörperung der Sylphide gilt.

Ganz so verzückt und entrückt wie dieses Traumpaar wirken Shoko Nakamura und Marian Walter zwar nicht. Doch ihr Flehen und Fliehen sind die Höhepunkte der sorgfältigen Inszenierung, die Groß und Klein ansprechen dürfte. Schon die Anfangsszene ist legendär – jeder Ballettomane kennt sie auswendig. James sitzt schlafend in einem Lehnstuhl am Kamin und träumt von seiner bevorstehenden Hochzeit mit Effie. Vor ihm kniet die Sylphide – hingebungsvoll in den Anblick des Träumers versenkt. Hat es je eine schönere Szene der Männeranbetung gegeben? Als James des lieblichen Geisteswesens angesichtig wird, ist es um ihn geschehen. Als er die wundersame Erscheinung zu fassen versucht, verschwindet sie flugs im Kamin.

Ehe James der Schimäre weiter nachjagen kann, fasst das Stück wieder Fuß im Irdischen. Die schottischen Volkstänze sind durchaus ansehnlich choreografiert und getanzt, zu den Mägden in schmuckem Karo gesellen sich malerische Dudelsackpfeifer und gar artige Kinder. Und erst die hüpfenden Kilts! Berühmte Ballerinos schlüpften schon in den Schottenrock und sorgten für erotische Delirien bei Zuschauern und Kritikern. Beim Staatsballett ist alles dezent – Dezenz ist überhaupt des Markenzeichen des legendären Bournonville-Stils, den sich die Malakhov-Tänzer angeeignet haben.

Dem dänischen Meister war alles Zurschaustellen von technischer Virtuosität zuwider. Filigrane Fußarbeit, anmutige Sprünge, die nicht allzu hoch vom Boden abheben, weich gerundete Arme, die den Körper umschmeicheln, der leicht geneigte Oberkörper – seine verliebte Elfe betört durch stilistische Finessen statt durch spektakuläre Posen. Wenn sie in die Arabesque penché mit wie zum Gebet gefalteten Händen kippt, bietet Shoko Nakamura einen anbetungswürdigen Anblick. Die Japanerin tanzt die Sylphide mit leichtfüßiger Grazie und gibt auch schon mal den koketten Hüpfer – überirdisch ist sie freilich nicht. Marian Walter macht eine gute Figur im Kilt; als Lover bliebt er ein wenig blass. Die anspruchsvollen Sprungkombinationen meistert er mit Kraft und Eleganz. Sein Widersacher Gurn, der von Dinu Tamazlacaru verkörpert wird, übertrifft ihn freilich mit seinen phänomenalen Flugkünsten. Darstellerisch schießt Michael Banzhaf als Hexe Madge den Vogel ab. Er ist verteufelt gut, weil augenzwinkernd dämonisch.

„La Sylphide“ ist ein keusches Ballett. Bis zuletzt herrscht hier das absolute Berührungsverbot. Seinen ganzen Zauber entfaltet es im berühmten zweiten Akt, dem ballet blanc, als ein lieblicher Elfenschwarm James die Sinne verwirrt. Als er die Sylphide mit einem Gespinst an sich binden will, fallen ihr die Flügel ab und sie stirbt inmitten ihrer Schwestern. Von der Gefahren des Erotischen spürt man an diesem Abend nicht viel. Doch dem Comeback der unsterblichen Elfe wurde freudig applaudiert.

Nächste Vorstellungen: 2., 16., 18. und 22. April

Zur Startseite