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Staatsgalerie Stuttgart: Das Paradies wartet

Die Stuttgarter Staatsgalerie entdeckt den Maler Edward Burne-Jones neu.

Perseus ist ein wahrer Held. Ein Mann der Tat, wie ihn nur die griechische Mythologie hervorbringen kann. Die Erzählkunst lässt ihn auf wenigen Seiten die Graien entmachten, der Medusa den Kopf abschlagen und mit demselben Schwert die schöne Andromeda vor dem gefräßigen Meeresungeheuer retten. So viel Dramatik war selten. Wollte man indes die Wahrheit über Perseus in den literarischen und künstlerischen Überlieferungen aufspüren, dann spräche die bildhafte Erzählkunst von Edward BurneJones deutlich gegen diese Schilderung. In seinem Perseus-Zyklus, 1875 begonnen und unvollendet geblieben, sucht man vergeblich nach Dramatik in Mimik und Gestik. Zart und zerbrechlich wirken die Figuren, wächsern ihre Gesichter. Die Körper drehen und winden sich nicht im Leiden oder Ringen der Gefühle, sie stecken in wallenden Gewändern und eisernen Rüstungen, die der Maler in Quecksilber getaucht zu haben scheint.

Burne-Jones erfasst in jedem Bild seines Perseus-Zyklus den entscheidenden Moment – allerdings weniger im individuellen Ausdruck der Figuren als im Zusammenklang ihrer kunstvoll stilisierten Anordnung. In diesem Duktus einer leichten, eher lasierenden als kolorierenden Malerei bearbeitete Burne-Jones weitere Mythen und Sagen, darunter die zahlreichen Gemälde für den Fries „Amor und Psyche“, den vierteiligen Pygmalion-Zyklus, eine „Dornröschen“-Serie sowie Gemälde und Tapisserien zur Artus-Sage.

Die ganze Fülle von Themen und Motiven hat die Staatsgalerie Stuttgart nun zur ersten monografischen Ausstellung von Edward Burne-Jones in Deutschland zusammengetragen. Der Perseus-Zyklus kam 1971 in die Sammlung des Museums – ein Solitär, der für die Ausstellung angereichert wird. Dass diese Premiere über hundert Jahre nach dem Tod des Künstlers stattfindet, ist verwunderlich, aber erklärbar. Denn Edward Burne-Jones war zeit seines Lebens und danach harscher Kritik ausgesetzt. Er malte altmeisterlich, seine Motivik wurde als eskapistisch beschimpft. Währenddessen bereiteten Constable, Turner und Whistler in England sowie die Impressionisten in Frankreich und Deutschland der späteren Moderne den Weg.

Bis heute ist Burne-Jones eine Randerscheinung geblieben, sein Werk markiert zumindest im deutschsprachigen Raum eher einen Hakenschlag in der auf Linearität bedachten Kunstgeschichtsschreibung. Die Stuttgarter Ausstellung aber zeigt, dass Edward Burne-Jones’ Kunst mehr als nur „kunstverklärte Schönheit“ ist, wie es sein Zeitgenosse Hugo von Hofmannsthal beschrieb. Und mehr als eine Hinwendung zum Mythos aus purer Flucht vor der Wirklichkeit.

Natürlich wandte sich Burne-Jones gegen die Auswüchse der industriellen Revolution, die im 19. Jahrhundert vor allem in England ihre sichtbaren Spuren hinterließ. Der Künstler stammte aus Birmingham und wusste, wogegen er anmalte. Seine vermeintliche Flucht vor dieser Realität lässt sich rückblickend auch als Flucht nach vorn beschreiben – dorthin, wo das Motiv in seiner formalen Ornamentik aufgeht. Er dürfte sich den Präraffaeliten um Dante Gabriel Rossetti, dessen Schüler Burne-Jones war, ferner gefühlt haben als der englischen „Arts and Crafts“-Bewegung. So ist in der Stuttgarter Ausstellung der Geist von William Morris präsent, einem Gründer der „Arts and Crafts“-Bewegung. Während ihres Theologiestudiums am Exeter College in Oxford sind sich die beiden begegnet: Morris der Dichter, Gestalter, Verleger und Geschäftsmann; Burne-Jones der Maler und Illustrator.

Die lebenslange Freundschaft beschreibt BurnesJones’ Ehefrau Georgina als „Naturgewalt“. Es ist eine kongeniale Arbeitsgemeinschaft, die sich an Morris’ monumentalem Epos „Das irdische Paradies“ entzündet. Der Dichter schildert darin in Versform die nordischen Sagen und griechischen Mythen. Burne-Jones liefert die passenden Illustrationen. Im Laufe ihrer Zusammenarbeit gestalten „Ned“ und „Topsy“, wie sie sich gegenseitig nannten, ganze Räume mit Gemälden, Tapeten, Möbeln und Tapisserien. So entstand der „Amor und Psyche“-Fries für George Howards Londoner Residenz Palace Green, den die Ausstellung auch räumlich rekonstruiert.

Auch das ist eine Bereicherung, mit der die Ausstellung über die bisherige Rezeption von Edward Burne-Jones hinausweist: Plötzlich erscheint die Bildfolge wie eine filmische Sequenz beziehungsweise eine Reihe fotografischer Standbilder, die den Film für einen Augenblick anhalten. Vielleicht erlaubt Burne-Jones’ Werk auch in dieser Hinsicht eine neue Lesart.

Schließlich ist die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur die Hochzeit der farbenfrohen Impressionisten, sondern auch die der ersten Fotografen, die das Licht aus der Dunkelheit holen und daraus schwarz-weiße Bilder entstehen lassen. Ganz ähnlich erscheint die Arbeitsweise des Malers Edward BurneJones, insbesondere in dem Perseus-Zyklus: Aus einem dunklen Bildgrund arbeitet er seine hellen, quecksilbernen Figuren und Motive heraus – gerade so, als würde er sie auf die Leinwand belichten.

Staatsgalerie Stuttgart, bis 7. Februar; ab 18. März 2010 im Kunstmuseum Bern.

Ralf Christofori

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