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Klein bisschen weise. Jürgen Flimm (hier in seiner Berliner Wohnung) feiert am Sonntag seinen 70. Geburtstag.

© Mike Wolff

Staatsopernchef Jürgen Flimm: „Endlich wieder Räuberhauptmann“

Staatsopernchef Jürgen Flimm wird 70 und spricht mit dem Tagesspiegel über Kunst, Politik, die Macht und die Liebe. Und über seine Lieblingsstücke.

Herr Flimm, warum geht man eigentlich zum Theater?

Dafür gibt es ein paar Gründe. Wenn man rote Haare hat. Oder eine zu lange Nase. Also wenn man sich als Außenseiter fühlt und deswegen schon als Kind gehänselt wurde. Da bietet das Theater viele Freiräume. Zweitens dynastische Gründe. Wenn man zu einer Theaterfamilie gehört, die Künstlerkinder: die Langhoffs, Thalbachs, Dresens. Romy Schneider, Geraldine Chaplin, Sophia Coppola. Das Dritte sind die armen Kinder. Nicht materiell arm, sondern Kinder, denen die Mutterliebe nicht gereicht hat oder die nie genügend Bonbons bekamen. Die glauben, sich die ersehnte Liebe durch Späße, durch Kaspereien zu ergattern. Wie ich.

Das funktioniert nur im Theater?

Der Applaus, die Anerkennung können die vermisste Liebe ersetzen. Oder die Bonbons. Als ich jung war und Literatur- und Theaterwissenschaften in Köln studierte, bekam ich nie genug Zuneigung. Also ging ich als Regieassistent an die Münchner Kammerspiele.

Apropos Liebe, es heißt immer, ein Regisseur kommt auch leichter an interessante Schauspielerinnen heran.

Seltener als man denkt. Bei den jungen Frauen, die ein Regisseur anbaggern will, kann das ja nur heißen: Wenn du mich liebst, dann musst du mich auch besetzen, und deine Liebe ist sicher so groß, wie die nächste Rolle… Das ist gefährlich.

Aber es gibt doch unzählige Verbindungen zwischen Regisseuren und Schauspielerinnen. Das Credo von Peter Zadek war, ein Regisseur müsse seine Schauspieler lieben.

Das gehört zum Beruf. Wenn man wochenlang zusammen ein Stück probiert, dann entsteht eine besondere Nähe, bei der man sich schnell ineinander verknallen kann. Wenn ich als Regisseur eine Schauspielerin toll und einzigartig finde, dann kann es passieren, dass ich sie auch als Frau ganz toll und einzigartig finde.

Als Regisseur und gar Intendant stehen Sie im Spannungsfeld von Sex und Macht.

So ist es. Aber hier muss zumindest der Kopf noch die menschliche und professionelle Bremse ziehen.

Wäre der Fall Strauss-Kahn als Vorlage ein Fall von politischem Theater?

Das wäre eine sehr gute, schwarzhumorige Farce. Lachhaft und sehr mysteriös.

Welche Rolle spielt für Sie die Macht?

Wenn man die nach 1968 aufgeflackerte Schimäre „Mitbestimmung“ mal beiseite lässt, dann haben wir Intendanten für die Zeit unseres Vertrages eine fast absolutistische Macht. Es sind einem die Schicksale von vielen, ziemlich empfindlichen Menschen ausgeliefert. Damit muss man behutsam umgehen und darf nicht im Namen der Kunst oder anderer Ziele persönliche Willkür üben. Aber wenn man die Macht nutzt, gute Schauspielern, Sänger, Dirigenten, Regisseure, Bühnenbildner zu holen und ein produktives Arbeitsklima zu bieten, dann ist sie sehr sinnvoll. Wer die Macht nur für sich benützt, dem sollte man sie wegnehmen.

Der Intendant, der selber Regie führt...

... muss die Klugheit besitzen, nicht nur andere Regisseure in seinem Haus inszenieren zu lassen, sondern sogar die, die besser sind als er selbst. Das habe ich früh von Claus Peymann gelernt, der hat das als Schauspieldirektor Mitte der 70er Jahre in Stuttgart sehr gut vorgeführt.

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Als Sie von 1979 bis 1985 Schauspielintendant in Köln und dann 15 Jahre Chef des Hamburger Thalia Theaters waren, galten Sie nicht als guter Mensch von Sezuan, aber als guter Mensch des deutschen Theaters.

(Lacht) Es gibt gewiss Kollegen, unter deren Gebrüll die Techniker und Schauspieler einiges zu erdulden haben. Mit solchen Gastregisseuren habe ich als Intendant oft Kräche bekommen, weil ich denen sagte: Ihr schreit hier nicht meine Leute an, die habe ich engagiert! Mir war neben dem, was auf der Bühne zu sehen ist, immer auch wichtig, meine Kollegen zu schützen. Schon in Köln sind die Bühnenhandwerker mit ihren privaten Sorgen zu mir gekommen. Alle im Theater bilden einen empfindlichen Organismus, mit leicht verletzbaren Seelen. Denen muss man Vertrauen geben, damit sie gut sind und noch besser werden.

Die Verbesserung des Menschen gehört seit Lessing und Schiller zu den Idealen des deutschen Theaters. Aber hinter den Kulissen sieht es oft ganz anders aus.

Nein, dieser generelle Gegensatz von Schein und Sein ist ein Gerücht. Natürlich reden Theaterleute genauso gerne über Geld wie Investmentbanker oder Fußballprofis. Aber Schauspieler und Sänger gehen sehr feinfühlig miteinander um, weil sie auf der Bühne jeden Abend aufeinander angewiesen sind. Natürlich gibt es schwarze Schafe, die mehr blöken oder andere wegschubsen wollen. Schauspieler und Sänger haben auch ihre Konflikte mit der Theaterleitung, weil jeder gerne Hamlet oder die Lady Macbeth sein möchte. Das muss aber so sein!

Erfolgssucht ist die Kehrseite der Existenzangst. Wo ist die Existenzangst größer, bei Schauspielern oder bei Sängern?

Sänger können darauf vertrauen, dass ihre Leistung objektiver messbar ist. Ein Schauspieler mag den Hamlet vernuscheln wie Ulrich Wildgruber, da kann man dann drüber streiten, aber wie Cecilia Bartoli ihre Koloraturen singt, steht als Qualität außer Frage. Das macht Sänger ihrer Sache erst mal sicherer. Doch alles hängt nur am Stimmband, an diesem wunderbaren winzigen Muskel, das macht sie enorm verletzbar. Sänger müssen viel vorsichtiger leben als ein Schauspieler, der den Dritten Richard notfalls mit seinem Restalkohol spielt. Das geht beim Tristan nicht. Darum ist die Existenzangst bei den Sängern größer. Dafür kriegen sie oft mehr Geld.

Sie gehörten als Regieassistent 1968 an den Münchner Kammerspielen zu den jungen Linken, mit Peter Stein, der nach einer Aufführung Spenden für den Vietkong sammelte. Sieben Jahre später waren Sie Erfolgsregisseur und Intendant in Köln, mit viel Geld. Gab es da keinen Rollenkonflikt?

Nein, denn anfangs ging es mir finanziell hundsmiserabel. Ich hatte Familie ...

... Sie waren mit der späteren Regisseurin Inge Flimm verheiratet, die fünf Kinder in die Ehe brachte…

Und wir hatten sehr wenig Geld. Ich bin neben dem Theater auch schon mal als Kleindarsteller durch Vorabendserien und „Tatorts“ gesprungen, um zu überleben. Und die Gagen als freier Regisseur waren Mitte der 70er Jahre nicht so berühmt. Wenn man schon weit oben war, dann bekam man für eine Inszenierung 10 000 Mark. Mir ging es erst als Intendant viel besser. Intendanten werden ziemlich gut bezahlt. Auch die Regiegagen wanderten nach oben. Aber Schauspieler verdienen bis heute nicht viel. Selbst Stars in großen Häusern kommen selten über 7000 Euro im Monat hinaus. Das ist nicht wie Film oder Fernsehen.

Und die regieführenden Intendanten?

Bei meinem Vertrag im Köln waren zwei Inszenierungen inbegriffen. Und für auswärtige Inszenierungen nehme ich unbezahlten Urlaub. Aber es gibt auch andere Verträge. Ich bin als Intendant für Kultursenatoren ein leichter Partner, ich habe denen immer gesagt, gebt mir einfach das gleiche wie meinem Vorgänger.

Als Claus Peymann ans Berliner Ensemble kam, hat er erklärt, dass er selbstverständlich mehr wolle als jeder andere Schauspielintendant in der Stadt. Das sind, undementiert, klar über 200 000 Euro im Jahr.

Ach ja? Na bitte, wenn er das kriegt. Im Übrigen muss man sagen: Berlin und der Klaus Wowereit haben verstanden, dass es vernünftig ist, in die Kultur zu investieren. Das Schiller Theater zu retten, war doch eine tolle Idee.

Lesen Sie mehr auf Seite drei.

Hat denn das Berliner Publikum das Schiller Theater als Ausweichort der Staatsoper während der Renovierung angenommen?

Am Anfang wurde etwas gefremdelt, es gibt hier ja weniger Putten und Stuck. Aber es geht immer besser, auch mit dem Stammpublikum aus dem Ostteil, das teilweise ferngeblieben war. Wir haben eine Ticketbox an der Baustelle der Lindenoper aufgestellt und dort in einer Woche für 18 000 Euro Karten verkauft. Auch die Künstler und Techniker sind voll dabei. Ich bin froh, nach dem unbeweglichen Salzburg wieder als Räuberhauptmann einer flotten Truppe mit meinem Freund Daniel Barenboim in Berlin zu sein.

Als Intendant der Salzburger Festspiele sind Sie wegen allerlei Intrigen im Unfrieden geschieden.

Dazu kein Wort mehr. Ich bin ja ein friedlicher Mensch. Bei unnützem Streit sage ich nur: Mich interessiert nicht, wer angefangen hat, mich interessiert, wer aufhört.

Sind Sie heute froh, nur noch in der Oper zu arbeiten und nicht mehr im Schauspiel?

Ich hatte schon als Intendant des Thalia Theaters in Hamburg freiwillig aufgehört. Wegen der ästhetischen Großwetterlage. Bei der Dekonstruktion von Stücken und dem postdramatischen „Textflächentheater“ bin ich nicht mehr so dabei. Ich habe an der Uni Hamburg Schauspielregie unterrichtet, und Studenten von mir wie Nicolas Stemann oder Falk Richter können die neuen coolen Sachen ziemlich gut. Stemanns tolle Jelinek-Aufführungen, die Texte mit Rockmusik, Videos und Improvisationen vermischen, hätte ich als Literaturgläubiger nicht hingekriegt. Dass diese Jungs in der Nachfolge des genialen Castorf die Szene in den letzten 15 Jahren radikal abgeräumt haben, ist okay. Das Theater ist ja wie die Seele ein weites Land.

Und selber vermissen Sie nichts dabei?

Ich vermisse die Literatur. Die Schönheit, den Witz und die Vertracktheit von dramatischen Texten. Manchmal hätte ich schon gerne mehr Shakespeare oder Kleist auf der Bühne. Aber ein Schauspieler wie Lars Eidinger, der an der Schaubühne den Hamlet spielt, der ist mehr als nur ein Kurzbrenner. Oder ein Ulrich Matthes, dem sehe ich sehr gerne zu.

Was sagen Sie zum Zustand Ihrer Partei, der SPD?

Ich bin längst nicht mehr Mitglied! Ich bin wie Günter Grass ausgetreten, als unter dem Vorsitzenden Björn Engholm sehr engherzige Beschlüsse zur Migrationspolitik verabschiedet wurden. Später habe ich dann für Gerhard Schröder den Kulturstaatsminister miterfunden. Als Schröder hörte, ich bin gar nicht mehr in seinem Verein, flachste er: „So einen wie den Jürgen nehmen wir auch nicht mehr!“ Also, ich habe Sympathie für die SPD – und finde Peer Steinbrück einen guten, witzigen Mann. Eine Hoffnung.

Ihr Lieblingsregisseur?

Clint Eastwood. Woody Allen. Fritz Kortner. Federico Fellini und…

Ihre Lieblingsschauspieler?

Robert de Niro und Meryl Streep. Meine eigenen Schauspieler: Hans Christian Rudolph, Annette Paulmann. Und viele andere vom Thalia Theater.

Die Lieblingssänger?

Placido Domingo, ein Genie, und Cecilia Bartoli.

Ihr Lieblingsstück?

Unter allen Tschechows der „Onkel Wanja“.

Ihre Lieblingsoper?

Eindeutig „Figaros Hochzeit“.

Was möchten Sie nach Ihrem 70. Geburtstag noch am liebsten inszenieren?

Meinen vierten „Figaro“ und zum ersten Mal „Tristan und Isolde“. Mozart und Wagner. Und im Theater jeden Tschechow, falls mich dazu jemand einlädt.

Jürgen Flimm ist seit 2010 Intendant der Berliner Staatsoper, davor leitete er die Salzburger Festspiele und die Ruhrtriennale und war Intendant in Köln und am Hamburger Thalia Theater. Er hat als Theater- und Opernregisseur zwischen Wien, Mailand und New York an den großen Bühnen inszeniert.

Das Gespräch führte Peter von Becker.

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