zum Hauptinhalt

Kultur: Staatsräson!

Die Distanz zwischen Deutschland und Israel wird größer, schreibt Werner Sonne.







– Werner Sonne:

Staatsräson?

Wie Deutschland

für Israels Sicherheit

haftet. Propyläen, Berlin 2013. 250 Seiten, 19,99 Euro.

Es gibt viele denkwürdige Ereignisse in der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen. Doch der 18. März 2008 ist etwas ganz Besonderes. Am Morgen dieses Tages vor genau fünf Jahren betritt Angela Merkel im dunklen Hosenanzug den Sitzungssaal der Knesset, um dort eine Rede zu halten. Eine besondere Ehre für die Kanzlerin, die normalerweise nur Staatsoberhäuptern zuteil wird. Sie ist die erste Regierungschefin überhaupt, die sich direkt an die Abgeordneten wenden darf. Und die Kanzlerin nutzt die Gelegenheit, um vor den Volksvertretern ein klares Bekenntnis abzulegen. Deutschland stehe „nach dem Zivilisationsbruch durch die Schoah“ zu seiner Verantwortung. Dann kommt sie auf die Gegenwart zu sprechen, stellt mit Blick auf den Iran und dessen Drohung, den Staat der Juden von der „Landkarte zu tilgen“ klar: „Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir war der besonderen historischen Verantwortung für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt: Die Sicherheit Israels ist für mich als Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“

Seitdem wird darüber sinniert, ja gestritten, welche Bedeutung und damit Tragweite Merkels Sätze haben. Waren sie eine simple Geste der Solidarität, oder vielleicht doch ein ernst gemeintes Versprechen? Was ist eine deutsche Regierung tatsächlich bereit zu leisten, wenn es darauf ankommt? Wie weit trägt die „Staatsräson“? Der langjährige ARD- Fernsehkorrespondent Werner Sonne geht genau diesen Fragen nach. Und ganz bewusst versieht er das ominöse Wort mit einem Fragezeichen. Man mag darin eine Provokation sehen. Aber für den Journalisten steht im Grunde außer Frage, dass Deutschland für die Sicherheit Israels einsteht. Eine Konstante, die seit der Gründung beider Staaten unantastbaren Bestand zu haben scheint.

Was allerdings nicht bedeutet, dass eine Bundesregierung für Israel in den Krieg zöge. Die Mehrheit der Deutschen würde sich sicherlich gegen einen solchen Einsatz stellen. Und es heißt ebenfalls nicht, dass Berlin Jerusalem damit einen Freifahrschein für einen Militärschlag gegen Irans Atomanlagen ausstellt. Im Gegenteil. Merkel hat mehrfach betont, dass sie eine Verhandlungslösung für „alternativlos“ hält. Es gibt ein klares deutsches Nein zu einem Präventivschlag.

Deutschlands fehlende Bereitschaft, mit der Waffe in der Hand Israels Existenzrecht zu gewährleisten – die dort auch niemand erwartet –, wird jedoch mit anderen Mitteln und Methoden kompensiert. Denn seit Jahrzehnten unterstützt jede Bundesregierung den jüdischen Staat mit viel Geld und Rüstungsgütern in bester Qualität. Genau diese quasi unverbrüchliche Waffenbrüderschaft steht bei Werner Sonne im Mittelpunkt. Und sie beschränkt sich keineswegs auf die Lieferung von U-Booten. Es ging und geht ebenso um den Austausch von Fachwissen , um eine enge Kooperation zwischen den Geheimdiensten Mossad und BND oder um die gemeinsame Ausbildung von Polizisten. All das funktioniert seit Jahrzehnten, ohne dass auf beiden Seiten viel Aufhebens darum gemacht wird. In Sicherheitsfragen hat Verschwiegenheit nun mal oberste Priorität.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass diese Art Partnerschaft immer wieder auf heftige Ablehnung stößt. Sogar in den eigenen Reihen. Sonne beschreibt sehr anschaulich, wie sowohl auf israelischer als auch auf deutscher Seite gegen die Waffenhilfe opponiert wurde. Doch Politiker wie Konrad Adenauer, Franz Josef Strauß, Helmut Kohl, Gerhard Schröder, David Ben Gurion und Shimon Peres wischten stets, überzeugt von der grundlegenden Bedeutung der bilateralen Unterstützung, alle Widerstände beiseite – im Namen der Staatsräson.

Dass dies bis heute mit argumentativer Schwerstarbeit einhergeht, weiß auch Angela Merkel allzu gut. Ihr Eintreten für die Interessen Israels bringt ihr nach wie vor zum Teil heftige Kritik ein. Selten wird sie zwar offen ausgesprochen, in der Regel äußert man seinen Unmut nur hinter vorgehaltener Hand. Aber in Zeiten iranischer Drohungen und denkbarer Reaktionen fürchtet manch einer, dass sich aus der „Staatsräson“ unangenehme Konsequenzen ergeben könnten.

Kein Geringerer als Bundespräsident Joachim Gauck hat dieses Unbehagen ausgerechnet während eines Besuchs in Jerusalem ausgesprochen: „Ich will mir nicht jedes Szenario ausdenken, welches die Bundeskanzlerin in enorme Schwierigkeiten bringen könnte mit ihrem Satz, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson ist.“ Kaum begann die Debatte darüber, ob er sich von Merkel absetzen wolle, ruderte Gauck zurück und betonte, er sei in der Sache ganz dicht bei Merkel. „Ganz dicht“, schreibt Sonne, „aber nicht deckungsgleich. Das lässt viel Raum für Interpretationen.“

Und es passt zu den Vorbehalten, auf die man bei Debatten über die deutsch-israelischen Beziehungen immer häufiger stößt. Sonne macht sogar „eine Zeitenwende mit offenem Ausgang“ in der hiesigen Politik und Gesellschaft aus. „Das Gerüst, das diese Beziehungen trägt, steht noch, aber das Klima hat sich verändert … Zu verzeichnen ist ein jahrzehntelanger Erosionsprozess, der die Distanz zu Israel und seiner Politik immer größer werden lässt.“ Ein beklemmender Befund. Umso wohltuender, dass Sonne selbst mit Empathie für den Staat der Juden zu Werke geht, die aber keinesfalls mit Kritiklosigkeit zu verwechseln ist. Er rügt beispielsweise die Siedlungspolitik als ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden mit den Palästinensern. Gleichwohl betont er, dass die Diskussion über die deutsche Verpflichtung für Israels Sicherheit geführt werden müsse, „solange Israels Nachbarn sich nicht ohne Einschränkungen damit abfinden, dass im Nahen Osten ein jüdischer Staat entstanden ist, der sich mit allen Mitteln dagegen wehrt, wieder von der Landkarte getilgt zu werden“. Wahre Worte. Christian Böhme

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false