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Kultur: Stadion am Abgrund

Auch München hat am Sonntag gewählt: ein neues Fußballstadion nämlich, das für 800 Millionen Mark in Fröttmaning gebaut werden soll. In die autobahnnahe Pampa vor den nördlichen Toren der Stadt, damit dort am 9.

Auch München hat am Sonntag gewählt: ein neues Fußballstadion nämlich, das für 800 Millionen Mark in Fröttmaning gebaut werden soll. In die autobahnnahe Pampa vor den nördlichen Toren der Stadt, damit dort am 9. Juni 2006 die übernächste Fußball-WM eröffnet werde. So wünscht es sich und der Welt Franz Beckenbauer - und hat darüber hinaus auch seinen FC Bayern im Sinn: Dem soll die neue Arena eine hochmodern überdachte und in allen Proportionen und Funktionen allein auf den Fußball zugeschnittene Heimspielstatt bieten. Gleiches erhofft für seine Löwen auch der Präsidentenkollege Wildmoser, vom Lokalrivalen 1860. Kurzum, Deutschlands Kickerkapitale soll endlich ein "englisches Stadion" erhalten, wo die Fans im Viereck hautnah am Geschehen sitzen, gleich, ob auf der Bierbank oder in der Champagnerlounge. Wie schon am Lauterer Betzenberg und bei den Dortmunder Borussen, wie in den neuen Arenen von Schalke und Leverkusen.

Aber hat München nicht längst ein Olympiastadion? Es ist mit seinen Distanz gebietenden Tartanbahnen, Weitsprunggruben und Wurfringen auch für die olympische Leichtathletik angelegt. Deshalb wollte es Beckenbauer dem reinen Fußball opfern, einreißen oder völlig umbauen lassen. Da aber protestierten der Stadionarchitekt Behnisch ("mein Copyright!"), der Münchner OB Ude und die Architekturkritiker der "Süddeutschen Zeitung". Jetzt indes, nach dem Bürgerentscheid für Fröttmaning, frohlockt der OB, und die SZ schwärmt von den Weltarchitekten Foster, Eisenman oder Herzog & Meuron, die sich am Wettbewerb für den Stadionneubau beteiligen wollen. Alle, die eben noch das Olympiastadion von 1972 und seine bis heute unvergleichlich elegante Zeltdachkonstruktion retten wollten, vergessen plötzlich: Es ist das Todesurteil für Behnischs Genie-Arena. Leichtathletik-Großereignisse gibt es hierzulande kaum mehr, Rockkonzerte in Stadien sind selten - ohne den Fußball wird es still werden unter dem Zeltdach. Und leblos. Was vom vielleicht schönsten Exempel deutscher Nachkriegsarchitektur bleibt, ist: ein Denkmal. Ein Mausoleum der Sportgeschichte, die Erinnerung an fabelhafte Spiele. Vorbei.

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