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Kultur: Stadt für alle

Berlins jüngere Architektengeneration sucht andere Wege zur Entwicklung des urbanen Raums

Am besten eint doch ein gemeinsames Feindbild. Vor bald fünf Jahren ist Hans Stimmann aus dem Amt des Senatsbaudirektors ausgeschieden, und noch immer schwebt sein Geist über der Berliner Architekturdebatte. Vornehmlich die jüngere Berliner Architektenschaft arbeitet sich an ihm ab. Jüngst erst gab es einen Eklat, als Stimmann in einem Handbuch über Stadthäuser Beispiele von jüngeren Architekten publizieren wollte, die das gar nicht amüsant fanden, weil sie sich vereinnahmt fühlten, instrumentalisiert vom ehemaligen Senatsbaudirektor, bei dem sie früher auf der schwarzen Liste der missliebigen Architekten gestanden hatten.

Gab es bei Stimmann interne Zirkel, die das Baugeschehen eher unter sich ausmachten und eine vom ihm dominierte Architekturdiskussion, so hat seine Nachfolgerin Regula Lüscher die Meinungsführerschaft und die Lufthoheit über den Podiumsdiskussionen längst verloren.

Dennoch sehen sich die Stimmann-Jünger auf dem Rückzug. Kurioserweise haben sie ausgerechnet den Deutschen Werkbund, der einmal als Avantgardevereinigung mit reformerischen Zielen gegründet worden war, majorisiert. Die Pläne für eine Neubebauung des Friedrichswerder mit traditionalistischer Architektur für eine privilegierte Klientel, die sie kürzlich in der Werkbundgalerie vorstellten, hätten den Gründungsvätern schwer im Magen gelegen. Diese Werkbundsiedlung steht wohl eher in der Tradition der reaktionären, gegen die Onkel-Tom-Siedlung gerichteten „Versuchssiedlung Am Fischtal“ und stellt einen Verrat an der Sache des Werkbunds dar.

Damit haben Teams wie Robertneun, raumlabor, FAT Koehl, Realarchitektur oder Querdenker wie Arno Brandlhuber und Oda Pälmke nichts gemein. Ihnen als nachwachsender Berliner Architektengeneration gelingt es mehr und mehr, in den Vordergrund zu treten. Man sieht gemeinsame Ziele, bildet Netzwerke, organisiert Veranstaltungen und versucht, in Internet und Fachzeitschriften eine neue Architekturanschauung zu propagieren.

Das zeitgenössische Bauen in Berlin hat eine instabile, vielschichtige Identität, so ihr Credo. Sie plädieren für mehr Offenheit gegenüber neuen inhaltlichen und formalen Ideen, für gesellschaftliches Engagement und gegen die Dominanz der Investorenkaste und der Finanzwirtschaft, die sie in der bisherigen Berliner Baupolitik bevorzugt sehen. Doch auch etablierte Baukünstler, die sich in der Ära des „steinernen Berlin“ in der Stadt nicht wohlfühlten, wie Sauerbruch Hutton, augustinundfrankarchitekten oder Graft, gehören zu den Stimmen, die zunehmend Gehör finden.

Viele Nachwuchsarchitekten haben den Start ins Berufsleben mit Baugruppenprojekten geschafft, an denen sie selbst beteiligt waren. Diese Projekte, umgehen die etablierten Grundstücksvermarktungsmechanismen und ermöglichen die Realisierung bezahlbaren Wohnraums für eine Klientel, die bislang in Eigenheimgebiete am Rand der Stadt ausgewichen ist. „Stadt für alle“ ist das Schlagwort, das sie umtreibt. Es geht darum, der Gentrifizierung, dem „Klassenkampf von oben“ (Christoph Twickel) Einhalt zu gebieten. Freilich sehen sich manche Baugruppen selbst schon dem Vorwurf ausgesetzt, den Prozess der Verdrängung angestammter Kiezbewohner in minderprivilegierte Großsiedlungen am Stadtrand zu beschleunigen.

„Stadt für alle“ heißt aber auch, Nischen zu finden, Brachgrundstücke und auch noch die kleinsten Baulücken zu besetzen, auf vorhandene Dächer zu gehen, Gewerberuinen zu nutzen. Ein Schlüsselprojekt in der Diskussion war 2010 das Atelier- und Galeriegebäude von Arno Brandlhuber in der Brunnenstraße 9, das mit seiner unkonventionellen Entstehungsgeschichte und seiner rohen Ästhetik als Prototyp dieser von jungen Architekten getragenen Bewegung gilt. Ein anderes Projekt, das Furore machte, ist der gläserne Pavillon, den Martin Heberle und Christof Mayer auf das Dach einer Hinterhoffabrik im Wedding setzten; ein experimentelles „Low-Cost-Loft“ im Gewächshauslook für das ebenso experimentelle Wohnen einer Kuratorin und eines Musikers.

Das Tetris-Haus der BAR Architekten in der Oderberger Straße, in dem das Konzept des Wohnens und Arbeitens unter einem Dach konsequent verfolgt wurde, ist ein weiteres Beispiel für das neue Denken. Es ist ein Bauen mit den Nutzern – unter Umgehung der üblichen Produktionsmechanismen von Konfektionswohnungen, bei denen Investoren viel Geld verdienen, ohne an der Qualität der Bauten und des Lebensraumes oder am individuellen Wohlergehen der Nutzer interessiert zu sein.

Noch hat die Politik kaum Instrumentarien und Routinen entwickelt, um diese Tendenzen zu unterstützen, man tut sich schwer mit den nicht gerade pflegeleichten Bauwilligen, die alle möglichen Normen und eingefahrenen Mechanismen infrage stellen und Dispens von den verschiedensten Vorschriften fordern.

Derweil knüpfen die Architekten weiter an ihrem unabhängigen Netzwerk, unterstützt von der Zeitschrift arch+, die sich fast schon zu deren Sprachrohr entwickelt hat. „Arch+Features“ heißt eine Reihe, in deren Rahmen der Architekturjournalist und BauNetz-Redakteur Florian Heilmeyer am Donnerstag mit Architekten aus zehn Berliner Büros spricht. Die Veranstaltung im HBC Berlin, im ehemaligen ungarischen Kulturinstitut, Karl-Liebknecht-Straße 9, beginnt am 9. Juni um 19.30 Uhr.

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