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© dpa

Stadtarchiv Köln: Der Wiederaufbau geht alle an

Vor einem Jahr stürzte das Kölner Stadtarchiv ein: Direktorin Schmidt-Czaia über die Mammutaufgabe der Restaurierung

Frau Schmidt-Czaia, von Pfusch beim Kölner U-Bahnbau ist jetzt die Rede. Zum Jahrestag des Einsturzes des Historischen Archivs gibt es in Köln einen „Zug der Fassungslosigkeit“. Packt auch Sie die Wut angesichts der aktuellen Nachrichten?



Mit allzu großer emotionaler Betroffenheit kann ich die Wiederaufbauarbeit nicht organisieren. Ich vertraue darauf, dass die Staatsanwaltschaft den Schuldigen findet. Ich bin mittlerweile ja weniger Archivarin als Katastrophenmanagerin. Ich möchte das Archiv nach vorne kämpfen. Zum Jahrestag haben wir das Gedenken an die beiden Opfer des Einsturzes und die Vergewisserung über den Wiederaufbau voneinander getrennt. Die Kölner sind erschüttert, sie gedenken der Toten, gemeinsam mit den Angehörigen. Am Mittag fliege ich nach Berlin und werde dort vor dem Bundestags-Kulturausschuss den Wiederaufbau als nationale Aufgabe reklamieren, gemeinsam mit unserem Kulturdezernenten Georg Quander.

Es gibt Streit um die Finanzierung. Der Bund zahlt fünf Millionen Euro, falls das Land Nordrhein-Westfalen fünf Millionen zahlt. Was NRW aber nur tut, wenn die Stadt Köln zusichert, dass die Versicherungssumme von 61,5 Millionen Euro nicht zum Stopfen der Etatlöcher genutzt wird. Reicht das Geld?

Wir brauchen 350 bis 500 Millionen Euro, genau wissen wir es erst, wenn wir jedes einzelne beschädigte Stück in den 19 Asyl-Archiven in Händen hatten. Ich hoffe, dass es in sehr naher Zukunft zu einer Einigung kommt, vor allem hoffen wir auf die Gründung der „Stiftung Stadtgedächtnis“ unter Beteiligung von Land und Bund. Deshalb auch unsere Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau: Wir wollen deutlich machen, dass der Wiederaufbau keine Kölner Angelegenheit ist. Alle Städte auf deutschem Reichsgebiet haben sich am Beispiel der stadtgesellschaftlichen Selbstverwaltung von Köln entwickelt. Diese einzigartige europäische Geschichte war in Köln vollständig überliefert, kein Krieg hat je etwas zerstört. Erst jetzt wurde es zerstört, mit einem Bauprojekt in Friedenszeiten.

Sie haben nur acht Restauratoren. Wie soll die Arbeit je fertig werden?

Wir haben vor allem noch keine eigene Werkstatt in Köln. Bis zum Sommer soll eine Gewerbeimmobilie am Stadtrand so hergerichtet sein, dass sie die klimatischen, brandschutz- und sicherheitstechnischen Voraussetzungen für die Lagerung von Archivgut erfüllt. Wir wollen alles mobilisieren, was nur irgendwie geht, deshalb gibt es drei Säulen für die Restaurierung. Zum einen die künftige Kölner Halle mit unseren acht und fünf weiteren Restauratoren. Zum anderen, über Kooperationsverträge, die Restaurierungswerkstätten anderer Landesarchive. Als erstes wird das Hubertusschloss in Sachsen dabei sein, wo bis zu 30 unserer Mitarbeiter restaurieren können. Ähnliches wird im Restaurierungszentrum des Landesarchivs NRW in Münster-Coerde geschehen sowie in Ludwigsburg. Die dritte Säule des Wiederaufbaus ist die Vergabe an private Restaurierungswerkstätten.

Sie sagen, es werde mindestens 6000 Personenjahre dauern, das entspricht 200 Restauratoren, die 30 bis 40 Jahre arbeiten. Wie viele dieser Jahre sind bereits um?

Noch kein einziges. Es gibt allerdings Beispielrestaurierungen: Wir wollen zeigen, wie weit man ein stark zerstörtes Stück restaurieren kann – damit niemand angesichts der immensen Schäden aufgibt, bevor wir überhaupt angefangen haben. Die Werkstatt des Stadtarchivs Neuss hat uns sehr geholfen. Andere gefriertrocknen für uns, wie das Bundesarchiv in Berlin. Über das Patenschaftsprojekt konnten wir 30 000 Euro für 30 Projekte sammeln, damit wurden die beiden Kölner Handschriften von Albertus Magnus restauriert, ebenso die Friedensurkunde von 1256 oder auch eine wertvolle Fotografie, die im Museum Ludwig restauriert wurde. Das sind Einzelstücke, bei der großen Masse stehen wir noch am Anfang.

Was wird am längsten dauern?

Die Zusammenführung des Archivguts, die genaue Rekonstruktion der Bestände. Der zerstörte Zusammenhang ist die eigentliche Katastrophe vom 3. März.

Warum? Ein wertvolles Schreinsbuch ist doch auch als Einzelstück wertvoll.

Bei einer zerstörten Bibliothek spricht das einzelne Buch auch ohne den Bibliotheks-Zusammenhang für sich. Das ist bei einem Archiv anders, wir nennen es Provenienz-Zusammenhang. Unsere Archivalien reden miteinander, das macht sie so interessant. Zum Beispiel ein Nachlass: Ein einzelner Brief sagt oft nicht viel aus, aber die Akte mit dem gesamten Briefwechsel etwa eines Heinrich Böll – daran lassen sich Entwicklungen oder Beziehungen nachzeichnen. Oder man hat einen Politiker-Nachlass und liest ihn gemeinsam mit den Ratsprotokollen aus seiner Amtszeit. Nur in diesem Zusammenhang kann ich sehen, welche seiner Ideen tatsächlich umgesetzt wurden.

Etwa zehn Prozent der Archivalien liegen immer noch unter dem Grundwasserspiegel. Was liegt da noch?

Das geplante Bergungsbauwerk mit Betonpfeilern in der Grube konnte bisher nicht errichtet werden, und ohne die Errichtung ist die Arbeit dort lebensgefährlich. Die Böschung ist so instabil, dass man es noch nicht riskieren kann, Menschen und Gerät dort herunterzulassen. Nach der letzten Unterwasserbergung Anfang Oktober vermuten wir, dass dort noch Personenstandsregister liegen, auch Teile von Nachlässen, etwa von Böll oder aus dem Architektennachlass von Wilhelm Riphahn.

Gibt es seit dem Einsturz ein neues öffentliches Bewusstsein für die Bedeutung der Archivschätze?

Ja, aber die gesammelte Aufmerksamkeit kann die Katastrophe nicht aufwiegen. Unmittelbar profitieren eher die anderen, unversehrten Archive. Das Wissen um deren Bedeutung ist größer geworden. Hier in Köln gibt es ein höheres Bewusstsein für das Stadtarchiv als Bürgerarchiv. Die Fachwelt wie die Bürger schauen sehr genau hin, was die Zukunft des Archivs betrifft. Das wollte ich schon immer: Dass die Menschen das Archiv als ihr eigenes betrachten, als Teil ihrer Geschichte, ihrer Bürger-Identität. Schrecklich, dass es erst des Einsturzes bedurfte.

Gibt es jetzt vermehrt Nachfragen nach Materialien?

Bei den Altbeständen, etwa unserem Material zur Hexenverfolgung im Mittelalter, und bei den Nachlässen war die Nachfrage immer schon rege. Ich will aber erreichen, dass das Archiv kein Elfenbeinturm ist, sondern dass man in 20, 30 Jahren die Passanten auf der Hohen Straße oder der Schildergasse fragen kann und sie sagen: Ja, wir sind mit dem Archiv aufgewachsen. Wir haben den Wiederaufbau begleitet, wir haben mit der Schulklasse dort Originalquellen gesichtet, wir waren bei Veranstaltungen.

Sie werben unermüdlich für Ihr Archiv: Läuft Ihnen die Zeit davon?

Wir müssen uns beeilen, denn wir müssen in den nächsten eineinhalb Jahren unsere gesamten eingefrorenen Bestände gefriertrocknen. Sonst haben wir dasselbe wie zu Hause in der Kühltruhe, nämlich Gefrierbrand. Nicht nur Fleisch und Fisch werden ungenießbar, wenn sie dort zu lange liegen, sondern auch Pergament. Es ist organisches Material, man kann es nicht unbegrenzt lange einfrieren. Deshalb können wir es uns nicht leisten, die öffentliche Aufmerksamkeit wieder zu verlieren. Wer soll unsere Archive verteidigen, wenn nicht die Menschen, denen sie gehören?

Das Gespräch führte Christiane Peitz

Die Historikerin Bettina Schmidt-Czaia, Jahrgang 1960, leitet das Kölner Stadtarchiv seit 2005. Mit einer Gedenkfeier im Rathaus erinnert Köln heute an den 3. März 2009, als das bundesweit bedeutendste kommunale Archiv und zwei benachbarte Wohnhäuser einstürzten, es gab zwei Tote. Die Ursache sind vermutlich Mängel beim U-Bahnbau.

Das Archiv beherbergte u.a. 65 000 Urkunden ab 952, 1800 mittelalterliche Handschriften, über 800 Nachlässe und 500 000 Fotos.

Ab Samstag informiert eine Ausstellung im Berliner Gropius-Bau über die Restaurierung der geretteten Archivalien (bis 11.4.).

Interview von Christiane Peitz

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