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Stadtfotografie: Spezialist für Brüche

Leerstelle und Landschaft: Die Ausstellung „30 Jahre Stadtfotografie“ im Rathaus Tempelhof zeigt die Arbeit von André Kirchner.

15 Jahre und schon fast vergessen. Diese Sandwüste, das war mal der Pariser Platz? Weiter Himmel hinter Bauzäunen: soll das der Potsdamer Platz sein? André Kirchner kam 1981 nach Berlin und begann zu fotografieren, was ihn, den gebürtigen Franken, irritierte: eine Großstadt, die die Nachkriegszeit noch nicht hinter sich gelassen hatte. 30 Jahre später fotografiert Kirchner immer noch Berlin. Ohne falsche Romantik, ganz nüchtern. Auch in den neueren Fotos tritt uns eine Stadt entgegen, die trotz Hauptstadtumbau mit ihren Unzulänglichkeiten leben muss.

André Kirchners Ausstellung „30 Jahre Stadtfotografie“ im Rathaus Tempelhof und in der Galerie des Tempelhof-Museums – die Anfahrt lohnt sich – ist viel mehr als eine Zeitreise. Und alles andere als eine antiquierte künstlerische Position, um die sich Ausstellungshäuser wie das Stadtmuseum oder die Berlinische Galerie nicht mehr kümmern müssten. Kirchners in edlem Schwarz-Weiß mit der Großformatkamera gemachte Aufnahmen (digital und in Farbe fotografiert er erst seit ein paar Jahren) schärfen den Blick für Orte, an denen wir normalerweise achtlos vorbeigehen. Auch für sogenannte zentrale Orte wie das Brandenburger Tor oder den Schlossplatz.

Festhalten der Brüche und Umbrüche

Der Stadtfotograf, schreibt Janos Frecot im Begleitband, „ist der Spezialist für das, was wir das Urbane nennen (…), für das Erspüren und Festhalten der Brüche und Umbrüche.“ André Kirchner gehört zu einer vielleicht aussterbenden Gattung: Fotografen, die mit hohem ästhetischen Anspruch Alltägliches suchen. In Berlin steht die fotografische Dokumentation der sich wandelnden Stadt in einer großen Tradition, von Leopold Ahrendts und F. Albert Schwarz über Sasha Stone bis zu Hans W. Mende und Karl-Ludwig Lange. Sie alle haben – im Unterschied zu touristischen Schnappschüssen – stets auch Stadt- und Lebensräume bildwürdig gemacht, die kurz darauf verschwunden sind.

In Kirchners Stadtlandschaften wirkt eine große, unbegreifliche Leere. Selbst mitten in der Friedrichstadt gibt es sie noch, die Baulücken, Restgrundstücke: seit 1990 alles Bauerwartungsland. Formal streng, fast abstrakt, fasst der Fotograf das Unmögliche, Unverbundene in einer Komposition zusammen. Seiner Botschaft nähert er sich von außen, gewissermaßen von der Peripherie her an. Respektvoll möchte man diese Art der Fotografie nennen. Was bleibt, ist Staunen. Manchmal auch Freude beim Wiedererkennen.
Galerie im Rathaus Tempelhof, bis 9.3. Mo–Fr 10–18 Uhr; Tempelhof Museum, Alt-Mariendorf 43, bis 11.3. Di u. Do 15–18 Uhr, So 11–15 Uhr. Begleitband: André Kirchner, Schauplatz Berlin. Aufbau der neuen Mitte, Nicolai Verlag, 33 €

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