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Kultur: Stalins Sohn und de Gaulles Nichte

Faustpfand für einen Separatfrieden: Volker Koop über die „Ehren-“ oder „Sonderhäftlinge“ im „Dritten Reich“

Am 9. Dezember 1941 kam der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg im KZ Sachsenhausen an. Abgehärmte Gestalten erblickt er dort, aschfahl im Gesicht und mit flackernden Augen. Aber eigentlich ist das Hinschauen streng verboten und tatsächlich geraten ihm die Häftlinge bald aus dem Blick. Schuschnigg bezieht mit Ehefrau, Kindern und Haushälterin ein komfortables Haus auf dem Lagergelände. Die Verpflegung ist reichlich, zusätzlich kommen vom amerikanischen Roten Kreuz „gute Konserven“. Schuschnigg ist ein „Ehrenhäftling“ der SS, dem es an nichts fehlen soll. Seine Frau, die ihm freiwillig gefolgt ist, darf das Lagergelände sogar verlassen. Der Sohn verlässt das KZ jeden Morgen, um das örtliche Gymnasium zu besuchen.

Mehrere hundert „Ehren-“ oder „Sonderhäftlinge“ gab es im „Dritten Reich“. Sie waren in Schlössern, Burgen und Hotels untergebracht, die der nationalsozialistische Staat zu diesem Zweck beschlagnahmte, oder aber auf dem Gelände von Konzentrationslagern, namentlich in Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen. Der Platzbedarf war sehr groß, da man hochgestellte Persönlichkeiten wie den belgischen König Leopold III. standesgemäß unterbringen wollte. Zugleich sollten die Häftlinge bewacht werden, was zum Teil aufwendige Umbauten erforderlich machte. Auch Stalins Sohn Jakob befand sich in deutschem Gewahrsam, ebenso die italienische Prinzessin Mafalda, der frühere niederländische Ministerpräsident, der französische Premier, auch eine ganze Reihe von Deutschen. Nach dem Attentat vom 20. Juli wuchs der Platzbedarf noch einmal erheblich an, weil viele Familien von Attentätern in Sippenhaft genommen wurden.

Ein eigenes Kapitel ist in Volker Koops gut zu lesendem Buch der Verfolgung der Wittelsbacher gewidmet. Den Nazis war die fortdauernde Popularität des bayerischen Königshauses alles andere als geheuer. Schon im Vorfeld der „Machtergreifung“ war gemunkelt worden, Kronprinz Rupprecht könne sich an die Spitze einer Widerstandsbewegung setzen und das Land Bayern womöglich aus dem Reichsverband ausscheiden. Und auch nach 1933 war die Popularität des Thronprätendenten ungebrochen. Im Dezember 1939 folgte er einer Einladung des italienischen Königshauses nach Italien, wo er dann bis Kriegsende bleiben musste, weil die deutschen Behörden ihm die Wiedereinreise verwehrten. Himmler wollte die Wittelsbacher am liebsten ausbürgern. Mit dieser Idee konnte er sich nicht durchsetzen, aber nach dem 20. Juli 1944 wurden einige Mitglieder der Familie verhaftet und nach Flossenbürg verbracht.

Die Welt der „Ehren-“ oder „Sonderhäftlinge“ ist ein weiteres, eher bizarres und bisher wenig beachtetes Kapitel in der Geschichte des Terrorregimes der Nationalsozialisten. Zu ihnen zählten Politiker, Militärs, Geistliche und Adelige, Regimegegner wie Martin Niemöller, aber auch in Ungnade gefallene Männer des Regimes wie der ehemalige Reichsfinanzminister Hjalmar Schacht oder der Unterstaatssekretär Martin Luther aus dem Auswärtigen Amt. Auch der Hitlerattentäter Georg Elser ist zu nennen, der mehr als vier Jahre in Haft gehalten und dann im April 1945 im KZ Dachau ermordet wurde. Bei den deutschen Häftlingen war es meist so, dass man sie ausschalten wollte, aber angesichts ihrer Prominenz davor zurückscheute, mit der sonst üblichen Brutalität gegen sie vorzugehen. Die ausländischen Inhaftierten wie die Nichte von Charles de Gaulle sollten dagegen wohl eher als Faustpfand für etwaige spätere Verhandlungen dienen, zum Beispiel mit den Westalliierten über einen Separatfrieden. Am Ende sollte sich diese „Wunderwaffe“ als so wenig wirksam erweisen wie die militärischen.

Volker Koop gibt in seinem Buch einen guten Überblick, bleibt allerdings sehr im Faktografischen und versorgt den Leser mit einer Überfülle an Details. Die Analyse und Einordnung des Dargebotenen überlässt er dagegen dem Leser. Entsprechend dürftig ist die kurze Schlussbemerkung. Aber wer mit einer Fülle von Geschichten der verschiedenen Gefangenen zufrieden ist, kommt hier auf seine Kosten.

Volker Koop:

In Hitlers Hand.

Sonder- und

Ehrenhäftlinge der SS. Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2010. 295 Seiten,

24,90 Euro.

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