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Panel malu, Ethnologisches Museum BerlinMalu-Brett, Holz, weiße und schwarze Pigmente, roter und gelber Ocker, 208 × 9 × 88 cm, Iatmul-Sprachgruppe, Dorf Angriman [Angerman], Gesammelt im Zuge der Berliner Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition, 1912-1913, Berlin, Ethno-logisches Museum, Inv. VI 46172

© Claudia Obrocki / Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbe-sitz, Ethnologisches Museum

Stammeskunst im Martin-Gropius-Bau: Alles, was wir haben, verdanken wir den Ahnen

Vorbild für das Humboldtforum: Der Martin-Gropius-Bau präsentiert mit der Ausstellung "Tanz der Ahnen" Stammeskunst aus Papua-Neuguinea. Zu sehen sind Masken, Skulpturen, Trommeln und Kultgegenstände, die handwerkliche Virtuosität mit individueller Schönheit verbinden.

Am Anfang ist der Fluss. Der Besucher der Ausstellung „Tanz der Ahnen“ im Berliner Martin-Gropius-Bau wird von einem großen Auslegerboot empfangen, das fast den gesamten Raum einnimmt. Einst saßen in ihm bis zu zwanzig Männer, die auf dem Fluss Sepik im Nordosten von Papua-Neuguinea unterwegs waren, um Handel zu treiben. Das zwölf Meter lange Kanu muss sich von seinem Liegeplatz losgerissen haben und wurde vom deutschen Geografen Leonhard Schultze-Jena gefunden, als er 1910 die Grenze zu Niederländisch-Neuguinea vermessen wollte. Er erwarb das mit ornamentalen und floralen Schnitzereien verzierte Boot für das Königliche Museum für Völkerkunde in Berlin. Damals hieß der 1100 Kilometer lange Sepik, der den Pazifik in einem weit verzweigten Delta erreicht, „Kaiserin-Augusta-Fluss“, und ein großer Teil der Südseeinsel war als Deutsch-Neuguinea, auch „Kaiser-Wilhelms-Land“ genannt, eine Kolonie.

Der geheimnisvoll mäandernde Lauf des Sepik hat schon früh die Fantasie der Fremden beflügelt, im späten 19. Jahrhundert drangen Goldwäscher, Krokodil- oder Paradiesvogeljäger, Missionare und Kolonialbeamte auf der Suche nach Plantagenarbeitern immer weiter ins Innere des Gebietes vor. Die Quellen des Sepik entdeckte ein deutscher Forscher erst 1914, als der Erste Weltkrieg ausgebrochen war und australische Truppen die 1899 gegründete kaiserliche Kolonie erobert hatten. Im Zweiten Weltkrieg folgte eine blutige japanische Invasion, in die Unabhängigkeit entlassen wurde Papua- Neuguinea erst 1973.

Die Sepikebene ist ein gewaltiges, bis heute teils immer noch schwer zugängliches Wasser- und Sumpfgebiet, das von vielen kleinen Dorfgemeinschaften bevölkert wird. Es existieren rund 200 verschiedene Sprachen, wobei sich die kleinsten Sprachgruppen auf jeweils ein einziges Dorf mit 300 oder 400 Einwohnern beschränken. Vor dem Eintreffen der westlichen Kolonialisten gab es häufig Kriege zwischen einzelnen Stämmen, auch Kopfjagden, bei denen junge Männer mit dem erbeuteten Schädel eines Feindes in ihr Dorf zurückkehrten, waren weit verbreitet.

Weil die Eingeborenen am Sepik keine eigene Schriftkultur hervorgebracht hatten, galt ihre Kunst lange Zeit als „primitiv“. Doch die Masken, Skulpturen, Trommeln und Kultgegenstände aus ihrer Produktion, das beweist die Ausstellung auf beeindruckende Art, sind alles andere als primitiv. Man sieht ihnen die handwerkliche Virtuosität ihrer Gestaltung sofort an und ist schnell hingerissen von ihrer Schönheit. Zu sehen sind rund 220 Exponate aus dem Besitz von zwölf Leihgebern, darunter das Pariser Musée du Quai Branly, das Zürcher Museum Rietberg und das Berliner Ethnologische Museum, die die Ausstellung gemeinsam vorbereitet haben.

Ein besserer Ort für den „Tanz der Ahnen“ als der Gropius-Bau lässt sich kaum denken. Schließlich hatte einst gleich nebenan in der Stresemannstraße, dort, wo sich heute der Parkplatz des Hauses befindet, das Königliche Museum für Völkerkunde gestanden, das 1926 mit einer Präsentation seiner Sepik-Sammlung wiedereröffnet worden war. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude schwer beschädigt und dann 1961 abgerissen. Die von Markus Schindlbeck kuratierte Ausstellung folgt einer eigenen Narration, was sie zum Vorbild für das Humboldtforum im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss machen könnte, das die Kunst außereuropäischer Kulturen zeigen soll. Dabei rückt der Besucher in die Rolle eines Entdeckungsreisenden, der sich vom Fluss aus einem Dorf mit seinen Wohnhäusern, dem Tanzplatz und dem Männerhaus, einer „architektonischen Großleistung“ (Schindlbeck), nähert, in dem die Ritualgegenstände verwahrt werden.

Der Fluss bringt das Leben, aber er kann es auch nehmen. Wegen des alljährlich wiederkehrenden Hochwassers sind die Dörfer auf Uferdämmen gebaut, die Wohnhäuser stehen auf Pfählen. Lebensmittel werden wegen des Hochwassers, aber auch, um sie vor Tieren zu schützen, in Körben an Haken aufgehängt, die mit Tier- oder Menschenköpfen verziert sind. Nackenstützen sind in Form von Krokodilen gestaltet. Essschalen erinnern mit den schwungvollen Ornamenten auf ihrer Außenseite an den Jugendstil.

Tanzende Ahnen, so die Überlieferung, hatten den Flusslauf des Sepik erschaffen. Ahnen zeigten sich auch in Bergen, Seen, Palmen und Tieren. Um mit den Ahnen in Kontakt zu treten, tanzen die Männer eines Dorfes in Masken und Kostümen, den Blick aufs Wasser gerichtet. Begleitet werden sie von den monotonen Rhythmen der Schlitztrommeln, die in der Ausstellung zu hören sind. Die Männerhäuser waren wahre Wunderkammern, gefüllt mit Schädeln von Gegnern und mythologischen Verweisen. Eine hinreißend stilisierte Frauenfigur mit gespreizten Beinen, einst Giebelstütze eines Männerhauses, könnte auch von Picasso oder Brancusi stammen. Die Surrealisten waren begeistert, als die Masken vom Sepik zum ersten Mal in Paris gezeigt wurden.

Gropius-Bau, bis 14. Juni, Mi–Mo 10–19 Uhr. Katalog (Hirmer Verlag) 49,90 €.

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