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Auf dem Dach des Berliner Doms, dem Himmel ganz nah.

© Mike Wolff

Über den Dächern Berlins: Näher, mein Gott, zu dir

Unsere Sommerserie führt in den Luftraum der Stadt. Wir starten mit einem Ausflug zu den Kuppeln des Berliner Doms und der St. Hedwigs-Kathedrale.

Einen Dachschaden haben, etwas unter Dach und Fach bringen, jemandem aufs Dach steigen. Dächer sind mehr als nur Holz, Teerpappe und Ziegel. Die Schnittstelle zwischen Haus und Himmel ist nicht nur Architektur, sie ist auch geflügelte Sprache. Dächer können Lebensräume sein, aber vor allem sind sie Schutz, in diesem Regensommer so wertvoll wie selten. Und wenn die Vertikale mit ihrem Abschluss Dach noch eine Überhöhung kennt, dann ist es die Dachkuppel. Sie will mehr sein als nur Bedeckung. Sie erzählt vom Sieg der Statik über die Schwerkraft, ist in allen Religionen Abbild des Firmaments und feiert – außer himmlischen – manchmal auch weltliche Mächte. Kuppeldächer krönen die Silhouette Berlins. Wie es wohl ist, möglichst nah an sie heranzutreten?

Das sogenannte Vierkuppelgebiet liegt in Mitte, wo Reichstag, Berliner Dom, Synagoge Oranienburger Straße und St. Hedwigs-Kathedrale gerade Zuwachs durch die Kuppel des wiederaufgebauten Stadtschlosses bekommen. Das Ballett der Kräne auf der Baustelle ist vom Dach der St. Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz aus gut zu sehen. Aber sonst ist die Aussicht hier oben verwirrend. Die roten Backsteinzinnen geschmückt mit goldenen Kügelchen – zu welchem Gebäude mögen die bloß gehören? Direkt vor der Nase wölbt sich die große Kuppel der Kathedrale. Ihre Kupferhaut ist warm vom Sonnenschein. Linker Hand, das muss das Hotel de Rome sein. Und das ausgedehnte Flachdach rechts ist die Barenboim-Said-Akademie. Doch wozu gehören die hinter einem Neubau hervorlugenden Zinnen und Kugeln?

Die St. Hedwigs-Kathedrale hält sich vornehm zurück

Schon nach zehn Minuten auf dem schmalen Dachgang zwischen den beiden Kuppeln der Hedwigs-Kathedrale ist klar: Oben hat die Stadt ihre ganz eigene Topografie. Ein Bauwerk, das unten über Straße, Hausnummer und eine vertraute Fassade verfügt, muss von oben längst nicht so eindeutig identifizierbar sein.

Frank Gaschinski nickt. Das kennt der Architekt. Gerade die Perspektive nicht über, sondern auf Höhe der Dachlandschaft schätzt er. Weil sie Überraschungen birgt und die entrückten Details eines Bauwerks vor Augen führt. Jetzt endlich fällt der Groschen: Zinnen und Kugeln sind der Kopfputz der schwer gebeutelten Friedrichswerderschen Kirche, des berühmten Schinkel-Baus, der durch die an ihn herangewachsenen Neubauten schwere Schäden erlitten hat.

Die bescheidene Kuppel der St. Hedwigs-Kathedrale.
Die bescheidene Kuppel der St. Hedwigs-Kathedrale.

© Kitty Kleist-Heinrich

Solchen neugotischen Zierrat kennt die klassizistische Hedwigs-Kathedrale nicht. Sie hält sich vornehm zurück, ihr Kuppelscheitel ist nur 36 Meter hoch und doch reklamiert ihr Schildkrötenrücken Lufthoheit. Der 1773 geweihte Rundbau beeindruckt durch den Kontrast zwischen der weit gespannten grünen Kuppel und dem übergiebelten Säulenportikus.

Nicht, dass der für die Bischofskirche zuständige Bauleiter des Erzbistums Berlin jetzt ständig hier oben stünde. Ein Kuppelbau von der Strenge und Eleganz der unter Friedrich dem Großen erbauten, ersten nachreformatorischen katholischen Kirche Berlins hat eins ganz bestimmt nicht – ein Sonnendeck.

Nach jedem Schritt beult sich das Kupferblech aus

Der Weg hinauf führt durch die Sakristei, über der sich die zweite, mit knapp 16 Meter Durchmesser deutlich kleinere als die knapp 37 Meter breite Hauptkuppel erhebt. Über eine schmale Steinstiege geht es in die hölzerne Glockenstube, die vier überraschend kleinen Glocken schweigen. Nun noch durch eine Luke klettern und schon ist die Kuppel des einst dem Pantheon in Rom nachempfundenen Sakralbaus zum Greifen nah. Prompt verfliegt die Illusion, dass ein Dach, das von unten so erhaben wirkt, auch makellos sein muss. Wie Flicken auf einem Fahrradschlauch bedecken quadratische Ausbesserungen die Dachhaut. Nach jedem Schritt beult sich das in traditioneller Stehfalztechnik verlegte Kupferblech ploppend aus.

Die typische Patina auf dem Dach der St. Hedwigs-Kathedrale.
Die typische Patina auf dem Dach der St. Hedwigs-Kathedrale.

© Maren Glockner

Nein, ein leckes Schiff sei St. Hedwig nicht, beruhigt der Bauleiter, aber im Zuge des ab 2019 geplanten Umbaus der Kathedrale sind gut drei Millionen der mit 43 Millionen Euro veranschlagten Sanierungssumme für die Erneuerung des aus Holz, Glaswolle, Kupfer und 84 Betonsegmenten bestehenden Dachs reserviert. Seit dem 1963 beendeten Wiederaufbau der kriegszerstörten Kuppel wölbt sich die auch von innen berückend grafisch wirkende Konstruktion über der Kathedrale. Den Abschluss bildet das sechs Meter breite gläserne Auge. Die gewissermaßen in die göttliche Unendlichkeit weisende Kuppelöffnung ist Teil der vertikalen Linie, die von der Unterkirche über die Oberkirche bis zum Dach führt.

Alles Menschenwerk ist Miniatur

Kupferhimmel. Der pompöse Berliner Dom.
Kupferhimmel. Der pompöse Berliner Dom.

© Mike Wolff

Im Berliner Dom, der nur fünf Minuten Fußweg entfernt über dem Lustgarten thront, fällt die bauliche Verherrlichung des Allerhöchsten pompöser aus. Da schwebt in der gläsernen Kuppelspitze eine den Heiligen Geist symbolisierende Friedenstaube – umgeben von Strahlenkränzen und goldenen Mosaiken. Die Kuppel der größten Kirche Berlins hat bei 33 Metern Durchmesser eine Scheitelhöhe von knapp 75 Metern, und das Schönste ist – sie ist begehbar.

Das darunterliegende Dach auch. Aber nur für den Dom-Imker, dessen Bienen auf der Spreeseite des 1905 eingeweihten Baus von Julius Raschdorff ihre Holzkisten umschwirren. Und für die Bauleute vom Dombaubüro, das in einem der vier Ecktürme der im Stil der Hochrenaissance erbauten Kirche sitzt. Anders als auf der Hedwigs-Kathedrale ist das weitläufige Kupferdach am Fuß des Kuppel-Tambours wie zum Ausschreiten gemacht. Aber halt: „Nicht auf die Falze treten, sonst läuft Feuchtigkeit darunter“, mahnt Sonja Tubbesing, die den Dom als Architektin betreut. Na bitte, Dächer schaffen Ökumene, auch der Protestantismus schwört auf Stehfalztechnik.

So wie St. Hedwig Teil des königlichen Forum Fridericianum war, ist der dem Petersdom in Rom und der St. Paul’s Cathedral in London nachempfundene Berliner Dom die Krönung der kaiserlichen Kapitale von Wilhelm II. Schloss, Dom und Parlament bildeten eine symbolische Einheit, erläutert Tubbesing. Wobei die von Engeln umstellte Hauptkuppel, in die locker die Siegessäule hineinpassen würde, nicht die ist, die Kaiser Wilhelm mit machtberauschten Herrscheraugen sah. Sie wurde – so wie die der Katholiken – nach dem Krieg vereinfacht wiederaufgebaut. Seither besteht sie aus Kupfer, Holz und einem Stahlgerüst, in dem eine Betonschale hängt.

Nach 270 Stufen ist der Kuppelumgang erreicht

Wie diese Dachkonstruktion entstanden ist, lässt sich beim Aufstieg zum Kuppelumgang studieren. Die Fotoausstellung, die den Wiederaufbau dokumentiert, beginnt schon im Treppenhaus und geht im inneren Umgang der Kuppel weiter. Durch dessen Fenster hat man einen guten Blick auf das mit Blitzableitern, Lüftungsschächten und Skulpturen bemöbelte Domdach. Auch in das Kuppelinnere über der Predigtkirche lässt sich auf halber Höhe schauen. Ganz schön ausufernd die Kabelage der Scheinwerfer, die die Kirche abends ins rechte Licht setzen.

Und dann sind die 270 Stufen genommen und der äußere Kuppelumgang in 50 Metern Höhe ist erreicht. Ein Brise zaust die Haare. Vom Humboldt-Forum tönt Baulärm herüber. Wie majestätisch der Anblick eines Kuppeldachs von unten auch sein mag, die wahre Herrlichkeit liegt in dieser himmlischen Aussicht: Westen, Osten, Norden, Süden – Kuppelbezwingern liegt die Welt zu Füßen und die Dachhaut warm in der Hand. Alles Menschenwerk ist Miniatur. Wo ich bin, ist ganz weit oben!

Der Kuppelumgang des Berliner Doms ist zu den täglichen Besichtigungszeiten geöffnet: 9–20 Uhr (letzter Einlass 19 Uhr, Domerhaltungsgebühr: 7 €, erm. 5 €).

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