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Stasi und kein Ende: ...aber vielleicht ein neuer Anfang?

Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hat mit seinem Buch "Stasi konkret" eine Debatte über Fehler und Defizite bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte beklagt - und auch seinen eigenen Arbeitgeber, die Stasiunterlagenbehörde, in die Kritik einbezogen. Es könnte ein nützlicher Anstoß sein.

Von Matthias Schlegel

Die Ansage war unmissverständlich: „Wir brauchen Verantwortliche, zu denen es in der Gesellschaft schnell einen Konsens gibt und die Massen sagen, jawohl, das sind die Schuldigen. Das kann nicht die SED sein.“ Mit diesen Worten zitierte der frühere SED-Oberbürgermeister von Dresden, Wolfgang Berghofer, vor Jahren in einem Interview den vorletzten DDR- Regierungschef Hans Modrow. Anfang Dezember 1989 soll sich Modrow, der das bestreitet, in einem engen Führungskreis so geäußert haben und den geeigneten Sündenbock auch gleich benannt haben: die Stasi. Die Reminiszenz befeuerte diverse Verschwörungstheorien, wie die SED einst ihren Kopf aus der Schlinge gezogen und als Wiedergeburt in der PDS ihr Überleben gesichert habe.

Man fühlt sich daran erinnert, wenn jetzt der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk beklagt, die großen Stasi-Enthüllungen vernebelten den Blick auf den eigentlichen Übeltäter, die allmächtige SED, die sich der Stasi als „Schild und Schwert“ bediente. Neu sind solche Mahnungen nicht. Zeitgeschichtler, Opferverbände, Politiker haben immer wieder vor verengter Sicht auf die SED-Diktatur gewarnt. Kowalczuk aber geht weiter, indem er bestimmte Forschungsansätze jener Behörde infrage stellt, die die Hinterlassenschaft der Stasi verwaltet – und in der er selbst arbeitet.

Die Stasiunterlagenbehörde, die Aktenöffnung, das Sondergesetz dazu – alles von der SED wohlkalkulierte und gelenkte Auf- und Abarbeitungsmechanismen? Eine schwer zu ertragende, aber auch kaum ernsthaft zu vertretende These. Dennoch scheint manches falsch gelaufen zu sein in der Beschäftigung mit der jüngeren Geschichte. Der Historiker Christian Sachse, der bis zur Wende Pfarrer im sächsischen Torgau war, sieht einen Grund dafür, dass in der Öffentlichkeit Mauer und Stasi als Symbole der SED-Diktatur im Vordergrund stünden: Das hochdifferenzierte Bild, das die Wissenschaft inzwischen von den Machtmechanismen in der DDR habe, sei nur ungenügend vermittelt worden. Die Machtstrukturen in der DDR würden erst verständlich, wenn man die unzähligen kleinen Überwachungsmechanismen – vom Hausvertrauensmann über die Kaderakte bis hin zu den Karteien „kriminell gefährdeter Bürger“ – in den Blick nehme.

Der Chef der Stasiunterlagenbehörde, Roland Jahn, scheut sich nach eigenem Bekunden nicht, den Blick zu weiten – im Gegenteil. Seit einem Jahr läuft in seinem Haus ein Projekt zur Denunziationsforschung. Und da wird klar, dass auch in Akten, auf denen nicht IM draufsteht, oft viel Verrat drinsteckt. Und umgekehrt.

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