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Kultur: Steif für die Insel

Michel Houellebecq im Berliner Kino Babylon

Lange habe man in Berlin auf ihn gewartet, nun sei er endlich da, freute sich Volksbühnen-Dramaturg Carl Hegemann, der das Publikum im überfüllten Saal des Babylon-Kinos begrüßte. Vor fünf Jahren saß Michel Houellebecq auf der Autobahn fest. Diesmal kam Houellebecq wirklich. Nun aber saß er neben dem Schauspieler Martin Wuttke fest. Der las aus der deutschen Übersetzung des neuen Romans, „Die Möglichkeit einer Insel“, und wollte das Zepter nur ungern übergeben. Der Autor musste durch zaghaftes Heben der Hand auf seine Anwesenheit aufmerksam machen, um mit seiner berühmten, leise vor sich hin nölenden Stimme aus dem französischen Original vortragen zu dürfen.

Er wirkte höflich und auch ein bisschen wacher als sonst. Immer wieder war ihm klammheimliche Freude anzumerken: an den besonders bösen Stellen des Textes – etwa dann, wenn Babyschädel nach gezielten Schüssen in der Luft explodierten –, aber auch, wenn die gelesene Romanpassage zum Kommentar des eigenen Erfolges wird. „Die Möglichkeit einer Insel“ ist ja nicht nur ein postapokalyptischer Zukunftsroman über die traurige Freiheit vom Sexualtrieb befreiter Klone, sondern auch eine bittere Gesellschaftssatire der Gegenwart. Wer Pornografie mit extremer Gewalt kombiniert, der hat den größten kommerziellen Erfolg. Das ist die Lehre, die Michel Houellebecq aus seinem kometenhaften Aufstieg zum Literaturpopstar gezogen hat. So ist er in einem Paradoxon gefangen. Wissend, dass er seine romantischen Anfänge nicht verraten darf, scheint er keine Idee mehr davon zu haben, wie sich auch nur das geringste Quäntchen Hoffnung bewahren ließe. Mit beängstigender Überzeugungskraft spielt er die Rolle des traurigen Clowns. Niemand hat sich die Mühe gemacht, ihn aus der Reserve zu locken.

Meike Feßmann

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