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Stephen Shore: Der Mann von der Tankstelle

Stephen Shore zeigt frühe Fotografien in der Berliner Galerie Sprüth Magers. Mit dem Tagesspiegel spricht der einflussreiche Fotograf über Straßen, Kreuzungen und Tankstellen.

Stephen Shore, 63, Pionier der Farbfotografie, gilt als einer der einflussreichsten Fotografen der USA. Seine Aufnahmen von Straßen, Kreuzungen, Tankstellen und Gebäuden haben das Bild von Amerika geprägt. Im September wurde er mit dem Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie ausgezeichnet, das Düsseldorfer NRW-Forum zeigt bis Januar 2011 die Ausstellung „Red Bulli“ über Shore und die Becher-Schule.

In Ihrer Ausstellung in der Galerie Sprüth Magers hier in Berlin zeigen Sie Fotos von einer Reise 1973 quer durch die USA. Sie sind in New York groß geworden, in den Ferien nach Europa gefahren. Ihr eigenes Land haben Sie erst spät entdeckt?

1969 bin ich zum ersten Mal in die Mitte Amerikas gefahren, nach Texas, da hatte ich Freunde. Das war eine Offenbarung für mich! Wie die Leute miteinander umgegangen sind, rumgehangen haben. So was gab’s in Manhattan nicht, so ein Gefühl von Nachbarschaft. Obwohl: Ich hab dann in New York einen Ort gefunden, wo die Leute miteinander rumhingen – Warhols Factory, da war ich jahrelang.

Wie hat das Ihre Arbeit beeinflusst?

Das war das erste Mal, dass ich einen Künstler bei der Arbeit sah, ihn dabei erlebte, wie er ständig Entscheidungen traf. Und er war, wie ich, fasziniert von der Kultur der Zeit. Aber vor allem bin ich da hingegangen, weil es Spaß machte. Viel interessanter als Schule.

Die Sie abgebrochen haben. Um dann als Pionier gen Westen zu ziehen?

So kam ich mir vor. Einmal habe ich mir sogar ein Safari-Outfit für die Reise durch Amerika gekauft. Ich kam mir vor wie ein Forschungsreisender. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das, was ich trage, Ausdruck meines Gemütszustands ist. Deswegen habe ich im Jahr darauf, kann sein, dass es diese Reise war, eine Art Overall gekauft, einen Ganzkörperanzug, um mich eher wie ein Astronaut oder Pilot zu fühlen.

Andere Offenbarungen aus Texas?

Die Architektur! Ein Fotograf kann ja keine Ideen abbilden. Er kann sich mit kulturellen Strömungen nur in dem Maße befassen, in dem sie sichtbar werden. Hier, dieses Nebeneinander von monumentalem Neoklassizismus, Leuchtreklame und dem draufgesetzten Dach, das gar keinen Sinn macht. Architektur ist faszinierend, Ausdruck eines Ortes.

Auf Ihren Fotos sind nur selten Menschen zu sehen.

In den meisten dieser Orte sieht man keine Leute auf der Straße.

In der Ausstellung zeigen Sie zwischen den Fotos Tagebucheinträge, in denen Sie jeden Tag Buch geführt haben, auch darüber, was es zum Lunch gab. Sie müssen viele Grilled Cheese Sandwiches gegessen haben.

Jeden Tag, das war das Einzige, was es gab. Und abends Steak. Das ist eine der größten Veränderungen in Amerika, das Essen. Das war damals grauenvoll, immer dasselbe: frittiert oder braun. Heute können Sie selbst in einem kleinen Ort in Texas ein paar gute Lokale finden.

Kommen Ihnen die Fotos historisch vor?

Viele Orte könnten, glaube ich, heute noch so aussehen. Allerdings starben damals gerade die Main Streets wegen der neuen Einkaufsmeilen. Aber ich habe eine Tankstelle an der Kreuzung Beverly/La Brea in L. A. fotografiert, da hat sich außer dem Namen der Tankstelle eigentlich nichts verändert. Und das mitten in L. A.!

Sie müssen verdammt gerne Auto fahren.

Ja! Als New Yorker habe ich damit erst mit Anfang 20 angefangen und plötzlich entdeckt: Wenn man ein paar Tage lang immer geradeaus fährt, ändert sich der Geisteszustand, das ist wie Meditation. Man wird sehr klar im Kopf.

So wie beim Angeln?

Meine Frau und ich wurden irgendwann besessene Fliegenfischer, das kann man nirgendwo in den USA so gut wie in Montana, deswegen sind wir da hingezogen. Aber das war dann doch zu extrem. Nach zwei Jahren sind wir weg.

Und abends gab’s Forellen?

Ich esse die Fische nicht, ich werfe sie wieder ins Wasser. Mir geht’s um die aktive Kontemplation: Man muss wirklich aufpassen, und dann, wenn es passiert, wenn dieses unsichtbare Ding aus dem Wasser hochkommt, um nach der Fliege zu schnappen – das packt einen richtig.

Haben Sie dann eine Kamera dabei?

Ich hab’s versucht, aber gemerkt: Ich kann nicht beides gleichzeitig machen, muss mich auf eins konzentrieren.

Glauben Sie, dass das Fliegenfischen Ihre Fotografie verändert hat?

Ja. Anfang der 80er Jahre hatte ich alle meine formalen Fragen beantwortet. Wenn ich in eine Stadt fuhr, wusste ich, wo ich mich für ein interessantes Foto hinstellen muss. Ich hatte das Gefühl, ich wiederhole mich. Zeit, was anderes zu machen. Nach Montana zu gehen. In den 80ern habe ich vor allem Landschaftsaufnahmen gemacht. Und ’82 wurde ich Lehrer, am Bard College in Upstate New York, da leben wir auch. Ich hatte das Gefühl, ich habe was weiterzugeben. Ich bin der Auffassung, dass man im Leben vorwärtskommt, indem man anderen hilft, ihr Potenzial auszuschöpfen.

Seit 1973 hat sich die Welt der Fotografie dramatisch verändert.

Ja, das hat gute und schlechte Seiten. Meine Studenten kommen heute mit größeren Erfolgsfantasien als vor 20 Jahren. Aber Erfolg bringt auch Probleme mit sich: Kann sich die Arbeit organisch entwickeln – oder bleibt einer stehen, weil er Anerkennung für eine bestimmte Arbeit bekommen hat. Andererseits finde ich es großartig, dass die Leute von ihren Bildern leben können, das war in den 70er Jahren unmöglich. Diese Bilder hier habe ich damals für 125 Dollar verkauft, und davon bekam die Galerie die Hälfte. Heute kosten sie 25 000 Dollar.

Wovon haben Sie denn dann gelebt?

Meine Familie hat mich unterstützt, außerdem bekam ich einige Stipendien, Aufträge von Museen und Zeitschriften.

Gelegentlich fotografieren Sie heute Mode, Werbung, Kataloge.

Das war eine Entdeckung! Weil ich Aufgaben bekam, die ich mir selber nicht gestellt hätte. Und ich finde es aufregend, mit anderen zusammenzuarbeiten. Ich war es ja gewöhnt, monatelang allein im Auto rumzufahren, nur mit der Kamera auf dem Beifahrersitz. Aber ich kann ganz gut allein sein.

Interview: Susanne Kippenberger

Galerie Sprüth Magers, bis 8. 1. 2011, Oranienburger Str. 18., Di–Sa 11–18 Uhr.

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