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"Stereo" mit Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu: Ich und er

Zwei aus dem gleichen Holz: Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu spielen erstmals Hauptrollen im selben Film. Und erklären ihrem Publikum, dass sie keinesfalls Stars sein wollen. Dumm nur, dass sie es trotzdem sind.

Für den Herren aus Herbrechtingen bei Heidenheim ist die Sache klar: Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu sind Stars. „Auf jeden Fall, Vogel verkauft sich ja sogar international“, frohlockt Gernot Berger. Er steckt die eben erjagten Autogramme in seine Umhängetasche und kramt ein Pappschild „Karte gesucht“ hervor. Seine Mission ist erfüllt, die Beute gemacht, der Promijäger wandelt sich zum Kinogänger. Marke: gehobene deutsche Filmkunst. „Dafür stehen Vogel und Bleibtreu ja.“

Es ist Samstagabend. Filmfestspiele. Am Potsdamer Platz drängeln sich die Verehrer des Hollywood-Kinos am roten Teppich vor dem Berlinale-Palast, um einen Blick auf George Clooney oder Matt Damon zu erhaschen. Vor dem Zoo-Palast, bei der Premiere des deutschen Thrillers „Stereo“, ist die Lage entspannter. Tiefer als zwei Reihen staffeln sich die Schaulustigen am roten Teppich nicht. Für ihre eigenen Leute schwärmen die Deutschen nun mal verhaltener. Vier hochgewachsene junge Männer prosten sich mit der Bierflasche zu. Partygänger, die am roten Teppich vorglühen? Nein, Studenten der Filmakademie Ludwigsburg, so wie der Autogrammjäger gezielt zur Berlinale angereist.

Schade, dass es an diesem Abend nichts mit Karten geworden ist. Vogel und Bleibtreu sind ausverkauft. Bedeuten ihnen die beiden was? Viermal zögerndes Nicken. „Schauspieler sind Fleisch“, frotzelt einer. Wohl Regiestudenten, wie? Viermal Kopfschütteln. Es sind angehende Produzenten. „Wenn es deutsche Stars gibt, dann die“, sagen die vier. Warum? „Weil sie nicht nur Komödien machen.“ Das ist dann wohl als Watsche für Til Schweiger und Matthias Schweighöfer zu verstehen. „Und weil es gute, facettenreiche Schauspieler sind. Bodenständig. Auch wenn Bleibtreu manchmal auf dicke Hose macht.“

Freundliches Geplänkel, kein Gespreize

Im Moment ist davon nichts zu sehen. In grauem Anzug mit weißem Einstecktuch zeichnet er so brav wie sein gleichfalls in dunklen Zwirn gewandeter Kollege Vogel ein hingehaltenes Papier nach dem anderen ab. Sweatshirt-Träger im Festtagsgewand. Freundliches Geplänkel mit den Anhängern, keine Hektik, kein Gespreize, Kumpeltypen halten Hof. Ein österreichischer Tourist hat die Namen noch nie gehört. Ein paar Meter weiter entspinnt sich dafür zwischen einem Herrn um die 40 und einer Dame Ende 20 dieser Fachdialog:

„Mensch, ist der klein.“

„Dass der so klein ist, hätte ich nicht gedacht, der Jürgen Vogel, der alte Glatzkopf.“

„Der Moritz Bleibtreu ist auch nicht viel größer.“

„Aber mehr Haare hat er schon.“

Das ist auch auf den Filmplakaten für „Stereo“ zu sehen. Die Schaukästen vor dem Premierenkino der Festivalsektion Panorama sind damit bepflastert. Darauf droht in Nahaufnahme ein düster blickender Männerschädel. Dass die linke Hälfte behaart ist und die rechte kahlrasiert – links ein halber Moritz Bleibtreu, rechts ein halber Jürgen Vogel – begreift man erst auf den zweiten Blick. Die beiden Schauspieler des deutschen Kinos, die es wie keine anderen schaffen, vom Arthaus- wie vom Mainstreampublikum gemocht zu werden, in einem Schädel und in einer gemeinsamen Hauptrolle vereint, also zum ersten Mal in Stereo, das ist schon was.

Da habe man nun wirklich lange drauf gewartet, sagen die Journalisten am Samstagmittag bei der Pressekonferenz mit dem Filmteam im Hotel Hyatt am Potsdamer Platz. Längst nicht so viel los im Saal wie zwei Stunden später bei Clooney und seinen „Monuments Men“, doch der Empfang für den Regisseur Maximilian Erlenwein und seine Truppe ist warm. Moritz Bleibtreu dreht regelmäßig in internationalen Produktionen, auch ausländische Journalisten kennen ihn. Außerdem sind die beiden Stammgäste auf der Berlinale: Vogel zuletzt 2012 im Wettbewerb in Matthias Glasners Gewissensdrama „Gnade“, Bleibtreu 2010 ebenfalls im Wettbewerb in Oskar Roehlers Aufregerfilm „Jüd Süß – Film ohne Gewissen“. Einen silbernen Bären haben beide ebenfalls längst bekommen: Jürgen Vogel 2007, Moritz Bleibtreu 2006. Ersterer für seine radikale Darstellung und Mitarbeit als Drehbuchautor und Produzent in dem Vergewaltiger-Drama „Der freie Wille“ von Matthias Glasner. Letzterer für seine Darstellung eines liebesunfähigen Sexsüchtigen in Oskar Roehlers Verfilmung des Romans „Elementarteilchen“ von Michel Houellebecq.

Vogel immer breit grinsend, Bleibtreu immer skeptisch

Dass beide durchaus schon gemeinsam in Filmen gespielt haben – 2013 in Oskar Roehlers „Quellen des Lebens“ und 1994 in Rainer Kaufmanns „Unschuldsengel“ – ist kein Geheimnis, doch noch nie zwei Hauptrollen gemeinsam. „Uns richtig die Bälle zugeworfen, uns als Schauspieler wirklich kennengelernt, das haben wir zum ersten Mal“, wie Moritz Bleibtreu das nennt. Er habe jemanden gesucht, der es an physischer Präsenz mit Vogel aufnehmen könne, spricht der Regisseur in die Mikros. Da gebe es nicht viele in dieser Schauspielerliga. Da seien er und der früh zum Projekt gestoßene Vogel gleich auf Bleibtreu gekommen. Wie sie da nebeneinander fläzen, beide Pulli, niemals Kragen, immer Jeans, miteinander flachsen, die Kollegen über den grünen Klee loben, den Drehort Halle preisen, Vogel immer breit grinsend, Bleibtreu immer skeptisch, muss man nicht groß fragen, wieso. Das passt. So wie „Stereo“ zu ihnen passt. Ein Psychothriller, der sie jeweils als das andere Ich des anderen vereint. Im Bösen, wie im Guten, untrennbar, abgründig.

In der mysteriösen Geschichte spielt Jürgen Vogel den motorradverrückten Erik, der sich irgendwo in der Provinz ein neues Leben aufgebaut hat: ölige Werkstatt, hübsche Freundin, reizendes Kind, alles da. Bis plötzlich der finstere Kapuzenträger Henry, gespielt von Moritz Bleibtreu, auftaucht. Henry ist ein zynischer Aggressor, stammt offenbar aus Eriks Vergangenheit und verfolgt ihn auf Schritt und Tritt. Und das Schlimmste ist: Nur er kann ihn sehen. Eine dumpfe, einerseits halluzinierte, aber doch immer realer werdende Bedrohung, die bald massiv in Eriks Leben eingreift und nicht nur sein bürgerliche Familienidyll, sondern auch seine Psyche zersetzt.

„Ist mir scheißegal, ob wir vor Clooney ausverkauft waren“

Auf der Pressekonferenz bekommen sie dafür nur Lob, was eher Standard ist und nicht viel heißen muss. Bis ein Journalist von RTL aufsteht und kolportiert, dass die Karten für „Stereo“ innerhalb einer Minute verkauft gewesen seien, viel schneller als die für Clooneys „Monuments Men“, dass Vogel und Bleibtreu mithin einen amerikanischen Blockbuster ausgestochen hätten und dass es überall heiße, ihr Film sei auch viel besser. Kurzes Gejohle auf dem Podium. Jürgen Vogel entfährt ein „Geil“, ohnehin sein Lieblingswort. Moritz Bleibtreu mag RTL nicht glauben. Kein Wunder. Er macht schon 15 Jahre keine Fernsehfilme mehr, weil das Medium seiner Ansicht nach den Respekt vor dem Publikum verloren hat. „Ist mir scheißegal, ob wir vor Clooney ausverkauft waren“, bellt er, er schätze an „Stereo“, dass der Film sich traue, richtig Kino zu machen, nicht, dass er besser als ein Blockbuster sei. Gott, ist das deutsch. Understatement, Bodenhaftung bis zur trotzigen, rotzigen Verweigerung.

Auch Samstagnachmittag in einem Hotel unweit des Kurfürstendamms. Vogel und Bleibtreu geben Interviews. Zu wenige, zu kurze, der Andrang ist groß. Willst du gelten, mach dich selten.

Jürgen Vogel, geboren 1968 und Moritz Bleibtreu, Jahrgang 1971, haben es auf ihre Art geschafft. Vogel, der Autodidakt aus zerrütteter Hamburger Familie, der Schulversager, mit 15 zu Hause ausgezogen, direkt ins Filmgeschäft, Großfamilienvater, Berliner, ungemein produktiv, einer der am meisten ausgezeichneten deutschen Darsteller, Radikalrealismus-Schauspieler. Und Bleibtreu, rebellischer Sohn des Schauspielerpaars Monica Bleibtreu und Hans Brenner, in München geborener Hamburger, von der Mutter allein aufgezogen, ebenfalls Schulversager, Schauspielunterricht, Koch und Kellner in New York, Paris und Rom, 1994 dann nach Fernseh- und Bühnenrollen das Kinodebüt, 1998 der Durchbruch in „Lola rennt“, vielfach ausgezeichnet, Kleinfamilienvater, Bauch-Schauspieler.

„Guten Tag, freut mich“, sagt Moritz Bleibtreu. Auch Jürgen Vogel ist ein Muster an Verbindlichkeit. Da sind sie als deutsche Stars so professionell wie die Amerikaner. Nur in souveränem Jungs-von-nebenan-Ton statt mit glamouröser Aura.

Erst mal die zwingende landsmännische Frage zur Schlüsselepisode auf der Pressekonferenz: Warum ist es Ihnen egal, mit „Stereo“ den Clooney-Film zu schlagen – wofür allerdings beim Ticket-Verkauf der Berlinale auch noch keine Auswertung vorliegt?

"Unsere Kinohelden sind Anti-Helden"

Moritz Bleibtreu: "Weil es in Deutschland keine Publikumsstars gibt. Wir leben in einem Land, das seine kulturelle Identität verloren hat. Die Identifikation mit Stars hat unheimlich viel mit Heldenfiguren im Kino zu tun. Die können wir in Deutschland nicht erzählen, dazu tragen wir zu viel geschichtliche Schuld, zu viel Komplexe auf den Schultern."

Jürgen Vogel: "Genau, unsere Kinohelden sind Anti-Helden. Außerdem bin ich nicht Schauspieler geworden, um was Besonderes zu sein. Seit ungefähr 20 Jahren, seit die Castingshows aufkamen, wollen auch in Deutschland alle Stars sein. Mir geht schon das Wort auf den Sack, genau wie Vip oder Promi. Ich will nichts Besonderes sein, ich will einfach nur die Leute mit meiner Schauspielerei berühren, gute Filme drehen, meinen Job ordentlich machen. Star sein, da scheiß ich drauf.“

Moritz Bleibtreu: „Da schließt sich auch der Kreis zu den Heldenfiguren. Bei der Rollenbesetzung des amerikanischen Starsystems geht es um Sympathiewerte, Aussehen, Stilisierung einer Person, zu der die Leute aufschauen. Das ist mir genauso scheißegal wie Jürgen, und das geht bei uns auch gar nicht.“

So geht das munter weiter. Ein Stichwort gibt das andere, kein Blatt passt zwischen sie. Vogel und Bleibtreu, in ihrer Filmfigur facettenreich verschmolzen als Variante von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, sind im Leben zwei Köpfe auf ein und derselben Medaille, verliehen für Deutschlands führenden Antistar. Vogel holt sich einen Schokoriegel und lässt Bleibtreu weiter analysieren. Sie stammten ja beide aus unterschiedlichen Hintergründen, und trotzdem hätten sie die gleichen Lebenslehren aus ihren Erfahrungen gezogen, sagt er. Locker sein, nicht so von Ehrgeiz zerfressen. Aber trotzdem Leistung abliefern, mahnt Vogel. „Wie Moritz’ Mutter immer so schön gesagt hat: Man muss bar bezahlen, sich als Schauspieler die Hände dreckig machen.“ Bleibtreu nickt, rückt auf den Sofarand vor und sagt im Django-zahlt-heute-nicht-Ton: „Wir gehen von keinem Filmset, ohne bar bezahlt zu haben.“ Das klingt nicht nur so, das ist der Ehrenkodex der erklärten Nicht-Akademiker mit ebenso erklärter Straßenjungen-Sozialisation. Vogel legt noch mal eine Schippe Bescheidenheit nach: „Wir sind normale Typen unserer Generation, Familienväter, wir versuchen privat gute Menschen zu sein und diesen ganzen Schauspielerei-Rummel nicht zu ernst zu nehmen.“

Bedürfnis nach Helden

Pech nur, dass auch das deutsche Publikum ein Bedürfnis nach Helden spürt. Und dass es auf die in vielen Rollen und unzähligen Interviews erkannte Integrität von Vogel und Bleibtreu fliegt. Und sie trotz oder wegen des gerne gepflegten Proll-Images zum Vorbild, zur moralischen Instanz erhebt. Da kann einem dann schon mal ein Shitstorm um die Ohren fliegen, wie sie das vor einem guten halben Jahr erlebten. Da haben Vogel und Bleibtreu mit anderen deutschen Helden der Popkultur wie Joko Winterscheidt, Rapper Cro, Palina Rojinski oder Christian Ulmen zusammen in Werbespots Reklame für McDonald’s gemacht. In den sozialen Netzwerken sind die Fans Sturm gelaufen. Haben über Vogel Sätze wie „Jeder hat seinen Preis, das allerletzte“ und über Bleibtreu „Ich bin entsetzt darüber, dass du dich für McDonald’s prostituierst, auch du gehörst zu denen, die käuflich sind“ geschrieben. Bleibtreu hat bei der Gelegenheit klargestellt, dass er noch nie politisch oder karitativ engagiert war, ja nicht mal wählen geht, jedoch gerne Geld verdient, um Rollen in Low-Budget-Filmen wie etwa „Stereo“ annehmen zu können. O-Ton: „Ich bin kein Vorbild, ich bin Schauspieler.“

Inzwischen hat sich die Wutwelle wieder gelegt, Vogel und Bleibtreu lächeln entspannt. Da stehen sie voll drüber. Nein, die Reaktionen hätten sie nicht überrascht. Ja, natürlich gebe es Leute, die sich mit ihnen identifizieren. Das sei okay, sagt Jürgen Vogel, „aber die Art von Idealisierung, in der Leute mich erheben und mir sagen, was ich machen darf und was nicht, die will ich nicht“. Und Bleibtreu sekundiert, jeder von denen möge sich doch selbst fragen, ob er nie Burger esse und ein politisch korrektes Leben führe. „Für mich bleibt danach die Bestätigung übrig, dass es irre einfach ist, sich über das zu definieren, was man scheiße findet.“ Jedenfalls ist es eine sehr deutsche Eigenschaft.

Wenn schon Star, dann lieber Anti. Wenn schon Leistungsträger, dann aber lässig. Wenn schon Vater, dann aber auch Tattoo-Rebell. Wenn schon konsequent, dann aber auch korrumpierbar. Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu sind der Spiegel einer ganzen Generation in diesem Land. Und das wissen sie auch ganz genau.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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