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Kultur: Sterne sehen

Wärme, die von innen kommt: Placido Domingo heizt seinen Fans in der Berliner Waldbühne ein

Ob Placido Domingo vor dem Auftritt in der Berliner Waldbühne sein Horoskop in der „Frau im Spiegel“ gelesen hat? Die Zeitschrift aus dem Verlag Ehrlich & Sohn ist Hauptsponsor seines einzigen Deutschland-Open-Air-Konzerts in diesem Sommer, und der Tenorissimo ist – nein, nicht, wie man vermuten könnte, ein Stier, sondern im Sternzeichen des Wassermanns geboren. „Puh, das grenzt ja schon an Überforderung: So viele Menschen, die etwas von Ihnen wollen“, schreibt Astrologin Antonia Langsdorf in der aktuellen Ausgabe, „Schauen Sie mal genau hin: Da sind Liebe und Zuneigung mit im Spiel! Wer scheinbar nur Ihre Geselligkeit sucht, will auch Ihr Herz!“

In der Tat: Schätzungsweise 15000 Zuhörer sind trotz gesalzener Preise von bis zu 137 Euro und mieser Wetteraussichten in die Waldbühne gekommen. Auf der Rasenfläche direkt vor der Bühne, wo sie Klappstühle aufgebaut haben, bleibt kein Sitz frei. Große Lücken dagegen ganz oben im 22000-Plätze-Halbrund: Die Fans schauen eben nicht auf den Euro, wenn ihr Held in der Stadt ist. Ein wenig müssen sie die Zähne zusammenbeißen – doch nicht wegen Placido: Der ist in allerbester, Staunen machender Verfassung. Nein, wegen Joachim, dem Tiefdruckgebiet, das eiskalte Luft übers Olympiagelände weht. Immerhin regnet es nicht.

Mit Jules Massenets „Le Cid“ eröffnet Domingo das Programm. A la bonne heure, der Mann hat Geschmack – und mit 120 verschiedenen Partien einen schier unerschöpflichen Repertoirefundus. Es folgen Wagners „Winterstürme“ aus der „Walküre“ und „La solita storia“ aus Cileas „Arlesiana“. Zuvor aber geleitet der Meister seine Sangespartnerin des Abends, Veronica Villarroel, galant bis zum Rampenrand; ein Gentleman durch und durch, in seiner Ritterlichkeit ebenso ungekünstelt wie beim Handkusswerfen oder den Standbein-Spielbein-Posen, wann immer die Musik sich pathetisch aufbäumt. „Geldverdienen allein ist kein Ziel für Sie“, steht in der „Frau im Spiegel“. Die Hellseherin aus Bergisch Gladbach hat das Zeug, einen doch noch zum Sternenglauben zu bekehren. Trotz 45 Jetset-Jahren auf allen Bühnen rund um den Globus bringt der dunkellockige Herr im schwarzen Gehrock da oben die Arien-Evergreens so frisch, so teilnehmend, als interpretiere er sie zum allerersten Mal. In Wahrheit aber steckt dahinter das Raffinement des Routiniers.

„Wenn ich anfange, mich selber langweilig zu finden“, hat Placido Domingo jüngst erklärt, „dann werde ich abtreten“. Der Abend in der Waldbühne macht den Fans Hoffnung, dass er ihnen noch eine gute Weile erhalten bleibt. Begeistert – so hört es sich wenigstens durch die exzellente Tonanlage an – stürzt er sich auf „Dein ist mein ganzes Herz“, „Some Enchanted Evening“, dann auf die „West Side Story“ im Duett mit Veronica Villarroel, die ihrerseits als Operettendiva mit „My fair Lady“ und „Giuditta“ glänzt (während das Staatsorchester Frankfurt unter Eugene Kohn bemüht im Hintergrund werkelt). Bei „Granada“ geraten die 15000 endgültig ins kollektive Delirium. Großzügig spendiert Domingo spanische Zarzuela-Hits, tanzt noch eine Walzerrunde mit Signorita Villarroel, während das Waldbühnenrund „Lippen schweigen“ summt, und entschwindet dann – ohne das bei Open Airs bislang als unvermeidlich geltende „Traviata“-Trinklied angestimmt zu haben.

Während sich die euphorisierten Massen noch die 197 Stufen zum Ausgang hinauf kämpfen, sitzt der nimmermüde Placido Domingo bereits beim Gala-Dinner im Adlon. Ab Montag sollte der 64-Jährige dann aber dringend den Rat der Astrologin befolgen: „Gehen Sie ökonomischer mit Ihren Kräften um!“

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