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Kultur: Sternstunde

„Adriana Lecouvreur“ an der Deutschen Oper

In seiner Zeit als Intendant der Pariser Oper saß der legendäre Rolf Liebermann bei wirklich jeder Vorstellung im Zuschauerraum. Gefragt, warum er sich das antue, antwortete der Komponist: „Es gibt in jeder Saison zwei, vielleicht drei unvergessliche Abende. Die will ich nicht verpassen.“ Wer am Sonnabend der konzertanten Aufführung von Francisco Cileas „Adriana Lecouvreur“ an der Deutschen Oper beiwohnte, erlebte so eine Sternstunde. Eine jener raren Aufführungen, die sich in die Erinnerung einbrennen, weil alles stimmt, weil sich das vermessene Versprechen des Musiktheaters, alle Sinne gleichzeitig zu reizen, einlöste.

Cileas 1902 in Mailand uraufgeführter Vierakter erzählt vom tragischen Ende einer berühmten Schauspielerin des 18. Jahrhunderts, die in Liebe zum Kriegshelden Moritz von Sachsen entbrennt und von ihrer adligen Nebenbuhlerin mittels eines vergifteten Veilchenstraußes ermordet wird. Eine Rolle, wie maßgeschneidert für Angela Gheorghiu. Die rumänische Sängerin repräsentiert das Diventum alter Schule: Hinter den Kulissen eine Zickenkriegerin, auf der Szene der Mittelpunkt, die Inkarnation weiblicher Eitelkeit, mit betonierter Ebenholz-Wasserwelle und schwarzem Collier zur bodenlangen Robe in Granit. Makellos leuchtet ihr Lirico- spinto-Sopran, maximal manieriert gestaltet sie das Pianissimo, mit trügerischer Bescheidenheit, die nur darauf angelegt ist, den Spitzenton umso effektvoller setzen zu können. Faszinierend, dieser Frau zuzuschauen, die sich gegen die Regeln des modernen Klassikbusiness mit seinen „anfassbaren“ Stars weiterhin zum unnahbaren Kunstwesen stilisiert.

Das Gegenteil der Gheorghiu ist ihre Gegenspielerin an diesem Abend: Anna Smirnova trägt eine Kurzhaarfrisur, versucht vergeblich, ihre nicht idealen Formen durch einen Pailletten-Kittel zu kaschieren – und singt die Fürstin von Bouillon mit so viel dramatischer Attacke, so viel Leidenschaft, dass sie am Ende so viel Applaus bekommt wie die Titelheldin.

Objekt beider Begierde, und Anlass für viele im Saal, Ticketpreise bis zu 120 Euro zu bezahlen, ist Jonas Kaufmann. Gefragter ist derzeit kein Tenor auf dem Musiktheatermarkt. Ebenso stilsicher, wie er sich im deutschen und französischen Repertoire bewegt, geht der Münchner das italienische Fach an, lässt die Kantilenen erblühen, strotzt vor viriler Stimmkraft, streut raffiniert Schluchzer ein. Am musikalischsten, aber sind die leisen Passagen, wenn Kaufmann sich zurücknimmt, gekonnt Diminuendi gestaltet.

Bis in die Nebenrollen sind alle Partien glänzend besetzt, Burkhard Ulrich gibt einen perfiden Abbé und Markus Brück, der feinsinnige Menschengestalter, macht den unglücklich liebenden Michonnet zum Held der Herzen. Francisco Cileas Melodien sind genuin italienisch, beim Orchesterklang aber hat er sich viel bei der französischen Schule abgelauscht. Dirigent Marco Armiliato gelingt es, die Farbigkeit dieser Partitur aufzufächern, den Konversationston, der das Stück prägt, leicht zu halten, in den lyrischen Momenten mit seinen Protagonisten zu atmen. Und das Orchester des Hauses wächst über sich hinaus, vermag die Handlung mit akustischen Mittel so packend zu erzählen, dass die fehlende Inszenierung nicht als Mangel empfunden wird. Ein ausdauernd bejubelter Erfolg, der einen Tag vor dem offiziellen Start der Staatsoper im Schillertheater eine klare Botschaft aussendet: Wer an der Bismarckstraße große Oper im großen Haus sehen will, wählt die Deutsche Oper. Frederik Hanssen

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