zum Hauptinhalt

Steve Schapiro: "Notfalls mache ich auch Vogelgeräusche"

Intime Momente und das richtige Licht: Starfotograf Steve Schapiro erzählt über seine Begegnungen mit Tina Turner, David Bowie und Jackie Kennedy. Außerdem spricht er über angeborene Fotogenität.

Mr. Schapiro, lassen Sie uns über Ike und Tina Turner reden, die Sie 1976 fotografierten: Auf dem Bild stehen die beiden Arm in Arm vor ihrem gemalten Porträt. Die gemalten Künstler lächeln extrabreit, der echte Ike lächelt aber kein bisschen...

Ja, er wollte damals nicht fotografiert werden. Und sie kamen zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr gut miteinander aus... Das war eine Fotosession für das „People Magazine“, und Tinas Karriere ging gerade steil nach oben, seine nach unten. Ich mag an dem Foto vor allem den Imagewandel: Auf dem gemalten Bild sehen sie noch aus wie brave Kirchgänger, sie mit Kreuzkette und hochgeschlossen.

Hat Ike Turner das Foto autorisiert?
Damals hatte man als Künstler keine Kontrolle über solche Bilder. Wenn man zugestimmt hatte, sich fotografieren zu lassen, war es das.

Und hat Ike Ihnen danach einen bösen Brief geschrieben?
Ich glaube, solche Dinge waren ihm egal. Wir hatten damals keinen PR-Menschen dabei, heute ist das natürlich anders. Vor allem in den Sechzigern hatte man eine Eins-zu-Eins-Beziehung zu dem Künstler, den man fotografierte. Niemand war anwesend, der aufpasste, dass die Frisur saß und keine Zigarette mit aufs Bild kommt. Es herrschte eine viel intimere Arbeitsatmosphäre.

Aber Ihre Schauspielerfotos, etwa von Barbra Streisand, wirken so perfekt, als hätte ein ganzes Make-up-Team mitgearbeitet...
Barbra ist sehr speziell... Sie hat eine genaue Vorstellung davon, wie sie aussehen möchte. Deshalb ist sie so ein großer Star. Ich habe am Set von „Funny Girl“ mitgearbeitet, und Barbra wusste absolut, welche Art von Licht vorteilhaft für sie ist, denn sie war auch Theaterschauspielerin. Sie konnte an der Hitze der Scheinwerfer erkennen, ob das Licht richtig gesetzt ist. Als der Regisseur William Wyler und ich ein Bild mit ihr machen wollten, weigerte sie sich, weil die Scheinwerfer nicht stimmten. Die Produktion musste unterbrochen werden. Aus ihrer Perspektive hatte sie recht! Außerdem mochte Barbra am liebsten die linke Seite ihres Gesichts. Manchmal, wenn auf einem Foto die rechte Seite besser aussah, entwickelte ich es spiegelverkehrt, damit ich die Zustimmung zur Veröffentlichung bekam.

Und wie ist David Bowie vor der Kamera?
Bowie ist ein extrem fantasievoller Mensch. Die meisten meiner Bowie-Fotos stammen aus einem Shooting, das von vier Uhr nachmittags bis vier Uhr nachts ging. Er kam mit unglaublichen Outfits an. Wenn ich ihn fotografieren wollte, sagte er: Moment mal, und erschien 20 Minuten später mit einem komplett anderen Outfit. Ich würde Bowie nie sagen, was er anziehen soll. Bei derart hochtalentierten Menschen sind deren Ideen einfach oft besser als die eigenen!

Haben Sie denn im Vorfeld nicht schon eine Vorstellung?
Ich versuche immer, die Seele von jemandem zu zeigen. Für das „Life“-Magazin hatte ich mal zwei Stunden Zeit, um René Magritte zu fotografieren. Wir sind ins Museum of Modern Art gegangen und haben die Bilder dort genutzt. Das war besser, als ihn vor einen Baum oder eine Wand zu stellen. Wenn man Requisiten nimmt, muss man immer Dinge finden, die die Persönlichkeit illustrieren. Bei der Arbeit für „Life“ hatte man immer einen Reporter dabei, so dass man entscheiden konnte, ob man sich mit dem zu Fotografierenden unterhält oder einfach auf einen hochemotionalen Moment wartet. Der Mensch, den ich fotografiere, soll nicht an mich denken, sondern sich in seiner eigenen Welt befinden.

Und das schaffen Sie vor allem durch Zurückhaltung?
Ich bin vor Shootings immer sehr nervös, weil ich natürlich nicht weiß, ob ich mit dem Menschen auf einer gemeinsamen Wellenlänge sein werde.

Und wenn das nicht der Fall ist?
Das ist schon ein paar Mal passiert, ich sage Ihnen aber nicht, mit wem! Für einen recht bekannten Comedian musste ich immer Vogelgeräusche machen, um ihn zum Lächeln zu bringen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was jemanden zu einem guten Fotografen macht.

Was ist bei Setfotografie anders?
Eigentlich ist der Unterschied zwischen Dokumentarfotografie und Standbildern gar nicht so groß, man sucht nach den gleichen Dingen. Beim Film hat man das Drehbuch gelesen, hat also eine vage Idee davon, was im nächsten Moment passiert. Dazu kommen technische Unterschiede: Am Set benutzt man einen Schalldämpfer für die Kamera. In ganz leisen Szenen muss man sich sehr gut mit dem Regieassistenten absprechen, damit man direkt danach ein Foto machen darf, das hoffentlich noch die gleiche Emotionalität einfängt.

Ist es nicht schwieriger, das Persönliche einzufangen, wenn einer im Kostüm steckt?

Ja, aber dann kann man die Rolle einfangen, wie bei „Der Pate“. Ich habe versucht, Don Corleones Persönlichkeit festzuhalten. Daraus wurden dann die ikonischen Bilder von Marlon Brando mit Katze.

Was braucht ein Fotograf?
Glück und Beharrlichkeit. Ich habe bei W. Eugene Smith gelernt, sieben andere Fotografen waren damals in meiner Klasse, zwei von uns hatten Erfolg, die anderen verschwanden von der Bildfläche. Das Wichtigste ist, es wirklich zu wollen. Ich habe 1960/61 angefangen, Fotoserien zu machen: eingewanderte Arbeiter aus Arkansas, Drogenabhängige in East Harlem. Ich schickte die Fotos solange an „Life“, bis sie mir einen Auftrag gaben.

Fotografie und Filmbusiness haben sich extrem verändert...
Als ich mit meiner 35-Millimeter-Kamera anfing, gab es Fotografen mit explodierenden Blitzlampen. Dann kam die digitale Kamera, jetzt gibt es iPhones. Ich arbeite momentan mit einer Digitalkamera. Schwarz-Weiß-Fotografie kann Gefühle besser abbilden. Ich habe mal ein Bild im französischen Annecy geschossen, von einem Obststand auf einer Brücke, dahinter der wunderschöne alte Kanal, gesäumt von alten Gebäuden. Als ich das Farbbild entwickelte, sah ich, dass zwei türkise Bälle auf dem Obststand lagen, die den Blick sofort an sich zogen. Für schwarzweiß gibt es eine andere Palette.

Warum sehen manche Menschen auf Fotos anders aus als in Wirklichkeit? Ich meine nicht wegen einer Retusche...
Es gibt angeborene Fotogenität. Als ich das Model Christie Brinkley kennenlernte, dachte ich, das klappt nie, ihr Gesicht ist viel zu breit. Auf den Fotos sah es fantastisch aus, es war wie Magie. Außerdem ist es eine Frage des Lichts. Ein Foto ist nicht die Wahrheit, es zeigt immer nur, was der Fotograf sehen möchte.

Was macht ein Foto zu einer Ikone?
Ich habe Jackie Kennedy einmal auf dem Flughafen in Washington fotografiert, beim Besuch des iranischen Schahs. Die Pressemeute drängelte sich vorn. Klein wie ich bin, glitt ich unter ihnen weg, und fotografierte von unten. Jackie guckte nicht in unsere Richtung. Wer das Foto sieht, muss sofort überlegen: Was um alles in der Welt denkt sie nur? Man schaut immer wieder hin, weil man es nicht komplett versteht. Ikonografische Bilder sind oft die, die man nicht ganz versteht.

Das Gespräch führte Jenni Zylka

Camera Work, Kantstr. 149, bis 19.11.; Di-Sa 11-18 Uhr.

Steve Schapiro, geb. 1934, begleitete John F. Kennedy und berichtete vom Attentat auf Martin Luther King. Die Galerie Camera Work zeigt seine „Heroes“-Serie sowie Set-Aufnahmen.

Zur Startseite