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Kultur: Still das Meer, glücklich der Zirkus

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin: Kent Nagano dirigiert Beethoven und Ives

Was sich in einem Programm des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin entdecken lässt: Volkstümliche Thematik ist bei Charles Ives besser gegen Trivialisierung geschützt als bei Ludwig van Beethoven. Während der Amerikaner uns mit den Untiefen des Jahrmarkt-Sounds und Zitaten frommer Choräle überfällt, baut der deutsche Klassiker das Volksliedmäßige für den Konzertsaal aus. Die stilistische Unbekümmertheit gewisser populärer Themen Beethovens – sei es in der neunten Symphonie oder im Violinkonzert – neigt um so verlockender zur Verballhornung, je mehr eine Interpretation in die Regionen des Erhabenen strebt. Wie eine Verfertigung der Gedanken beim Intonieren mutet Christian Tetzlaffs Beginn des D-Dur-Konzerts an. Eine Verheißung von introvertierter Schönheit, von der nicht abgewichen wird. Das Publikum in der Philharmonie zeigt sich enthusiasmiert von einem Reichtum violinistischer Lyrik, der sich jeder Teufelsgeigerei entzieht. Und doch: Das verzärtelte Melos, quasi jede Note und jede Spielfigur als eine Weltanschauung, macht das „edle Seitenthema“ seichter, als wenn es etwas mehr zupackend, mit einem Flair virtuoser Geberlaune geboten würde. Die Verklärung der Komposition führt dazu, ihre schlafenden Tücken zu wecken.

Polytonalität, Polymetrik, Mut zur Banalität und ein Chaos aus verblüffender Einfachheit machen die vierte Symphonie von Charles Ives hingegen zu einem Ereignis, das schwer anfechtbar ist. Man hört und staunt, wie das DSO unter seinem allgegenwärtigen Maestro Kent Nagano das Einzelne in der Gleichzeitigkeit verteidigt. Die Musik geht ihren Sonderweg, weil sie ohne Unterlass am feinsten Faden festhält. Obwohl Ives, wie berichtet wird, nie ein Radio besaß und selten Konzerte besuchte, ist ihm die Tonalität von Brahms vertraut. In der unerschütterlichen Verflechtung seines Zitatenschatzes aus Kirchenlied und Zirkus indes ist er 1916 Pionier. Eingefügt in ein chaotisch kontrolliertes Umfeld, macht ein Adventslied den Anfang der Partitur: „Watchman tell us of the night“, eine Melodie von Lowell Mason verkündet „Zeichen der Verheißung“. Es singt der Rundfunkchor Berlin, der sein Meisterstück an diesem Abend mit Beethoven/Goethes Naturbildern „Meeresstille und Glückliche Fahrt“ abgelegt hat. Sybill Mahlke

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