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Unter Brüdern. Kiddi (Theodór Júlíusson, links) und Gummi (Sigurður Sigurjónsson).

© Arsenalfilm

Stilles Filmdrama "Sture Böcke": Die Welt als Wolle und Vorstellung

Schweigsame Isländer: Grímur Hákonarson erzählt in „Sture Böcke“ von Schafzüchtern in Not.

Da wird wohl mancher erst mal ungeduldig: So viel Schnee. So dicke Pullover. So wenig Worte. Und dann auch noch Schafe. Muss das sein, so viele Island-Klischees? Aber der Film lohnt sich. Nicht nur weil er in Cannes dieses Jahr den Preis der Nebenreihe Un certain regard gewonnen hat.

Er ist eine Übung im Sehen. Im Da-Bleiben. Hinsehen. Im Stoischsein. Wie die Schäfer, die ihre Herde vorantreiben, schweigsam, aber mit höchster Wachsamkeit. So ist dieser Film, und so muss man auch als sein Zuschauer sein.

Mancher bleibt dann womöglich noch nachher, nach dem vermeintlichen Ende, obwohl die Außenwelt schon lockt, mit ihrem Licht, ihrer Kommunikation, ihrer Schnelligkeit. Und wer die Geduld hat, wird im Abspann mit einer weiteren Entdeckung belohnt: mit Vidur aus Halldórsstadir, Grámi aus Lækjavellir, Litlaljós, Krúselía, Gæf, Jökla, Feit, Blíd und Saga. So heißen die Schafe, die in dem Film mitspielen. Einzeln untereinander aufgelistet, ganz wie die menschlichen Schauspieler.

Das ist nicht einfach kurios, es deutet auch das Thema und die Tonlage: Was unterscheidet eigentlich Mensch und Tier? Aussehen, Verhalten, die sogenannte Kultur? Das Leben im Inneren des Hauses statt draußen im Stall? Das fragt dieser Film, nur um die Frage lustvoll zu verneinen: Nichts von alledem.

Seit 40 Jahren haben die Brüder nicht miteinander gesprochen

Schließlich geht es hier um Menschen, die mit ihren langen Bärten und Norwegerpullovern ihren Schafen nicht nur äußerlich ziemlich ähnlich sind. Sondern die geliebten Tiere auch in der eigenen Badewanne waschen, sie zuverlässig füttern, während Besucher leer ausgehen, und ihnen genau jene liebevolle Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen, die sie ihren Mitmenschen vorenthalten.

Eine Katastrophe wäre es für Gummi (Sigurður Sigurjónsson) und Kiddi (Theodór Júlíusson), sollte ihr berühmter Schafbockstamm durch eine Seuche aussterben – und dann haben die beiden Brüder auch noch seit 40 Jahren nicht miteinander gesprochen. Wenn es etwas zwischen ihnen zu klären gibt, lassen sie einen Hund die Nachrichten zwischen den benachbarten Häusern hin- und hertragen.

Leicht hätte aus diesem Stoff eine grobe Komödie werden können. Und „Sture Böcke“ hat durchaus komische Momente, zum Glück. Vor allem aber, und das ist es, was der Abspann auch verrät, nimmt er seine Figuren vollkommen ernst: die Menschen, die Schafe und die Menschen, für die die Schafe die besseren Menschen sind. Er nimmt sie ernst, ohne sich deshalb eine leise Ironie zu versagen. So leise ist sie, dass man sich bis zuletzt kaum sicher sein kann, ob sie wirklich da ist oder der Zuschauer sie mit seinem Blick erst hinzufügt.

Schneeschippen und Wiederwarmwerden als erfüllende Tätigkeiten

Hier spürt man die Dokumentarfilmerfahrung des Regisseurs. Grímur Hákonarson nimmt keine Deutungen vorweg. Er beobachtet so zurückhaltend, dass man das alles selbst entdecken kann: die fremde, verschneite Dorfwelt, in der der Wettbewerb um den schönsten Schafbock alle in Atem hält. In der Schneeschippen und Wiederwarmwerden vollkommen erfüllende Tätigkeiten sind. Eine Welt, die zunächst befremdlich, aber dank der Bilder von Sturla Brandth Grøvlen (der Kameramann wurde für Sebastian Schippers „Victoria“ auf der Berlinale ausgezeichnet) auch wunderschön ist. Und dann ist der Weg zwischen Gummis und Kiddis Haus plötzlich so vertraut wie der eigene zur U-Bahn. Vertraut nicht im Sinne von gemütlich, eher als Ergebnis einer Notwendigkeit. Auch die eröffnet manchmal den Blick auf Neues, Erstaunliches.

„Sture Böcke“ erzählt leise: vom Tier, das der Mensch ist, mit seinen Bedürfnissen, Rivalitäten, seiner Unvernunft und seiner Körperlichkeit. Auch die Annäherung zwischen den beiden Brüdern bleibt still. Keine Worte. Nur Körper, die sich wärmen. Eine große, kleine Geschichte. Vielleicht gerade so groß wie der Unterschied zwischen Mensch und Tier.

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Julia Dettke

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