zum Hauptinhalt

Kultur: Stillstand jetzt!

Die 6. Winterakademie im Theater an der Parkaue

Stadtstrände sind eine feine Sache. Aber falsches Urlaubsflair ist nicht gemeint, wenn es im Theater an der Parkaue heißt: „Sagen wir Berlin liegt am Meer“. Das zielt auf die fernere oder nähere Zukunft und die Frage, in welcher Welt wir leben werden, wenn die Klimakatastrophe richtig losgeht, den Meeresspiegel um ein paar Meter steigen lässt und der Hauptstadt Seeblick beschert. „Ob wir in die Schule schwimmen müssen?“, grübelt ein Mädchen im Videoeinspieler. Tja. Pack die Badehose ein, das war ja immer schon ein Berliner Hit.

Zum sechsten Mal hat die Parkaue ihre jährliche Winterakademie veranstaltet, ein Format, das Kinder und Jugendliche mit Künstlern in sogenannten Laboren zusammenführt. Man vermeidet hier gern den Begriff Workshop, weil es nicht darum geht, unter theaterpädagogischer Anleitung vorgestanzte Ideen durchzupauken. Sondern darum, ergebnisoffen Wirklichkeits- und Fiktionen-Forschung zu betreiben. Diesmal eben entlang des Gedankenspiels: „Sagen wir Berlin liegt am Meer.“ Kein schlechter Ansatz, dass diejenigen sich mit dem Untergang von morgen befassen, die ihn auch werden ausbaden müssen.

Über hundert Kinder und Jugendliche im Alter zwischen acht und 20 Jahren haben an den zehn Laboren teilgenommen und sich den Kopf über Weltverbesserungsmaßnahmen zerbrochen. Beköstigt übrigens vom berühmten niederländischen Koch Wam Kat, der bei Castor-Transporten oder G-8-Gipfeln die Demonstranten versorgt.

Die Abschlusspräsentation der Labore lässt insgesamt auf ein ziemlich ausgeprägtes Umweltbewusstsein schließen – und wirft famose Fragen auf wie die, ob es wohl auch in Zukunft noch „echte Bücher gibt, ohne Strom“.

Im Labor „Suchquadrat 2011“, das die Kölner Künstlergruppe Ligna leitete, spielen die Teilnehmer Zeitmaschine. Als Katastrophenforscher reisen sie aus dem Jahr 2071 in unser Heute zurück und entdecken lauter Ressourcenfresser, die mit dafür verantwortlich sind, dass aus der Alexa-Shoppingmall dereinst das Berliner Unfallkrankenhaus für Flutopfer wird. Mit der Kamera bewaffnet nehmen sie Schwimmbäder ins Visier, auch Druckereien, und fordern „Stillstand jetzt!“ für Autos und andere Dreckschleudern.

Das alles hat nichts Schlaumeierisches, und man bekommt auch nie den Eindruck, hier würden Kinder als Zugpferde für Erwachsenenthesen eingespannt. Ein weiteres gutes Beispiel: das Labor „Monsterclub“, das der Horror-Aficionado Jörg Buttgereit betreut hat. Es lässt in einer munteren Trashphantasie Konsummonster und andere Ungeheuer Gestalt annehmen. Und schenkt einem den bedenkenswerten Satz eines jungen Mädchens: „Die meisten Kinder sind für die Grünen. Aber wenn sie älter werden, wählen sie nur noch SPD oder Die Linke.“ Patrick Wildermann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false